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Nach tausendjährigem Ritus ...

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Es kann als ein Glück bezeichnet werden, daß der Herzog von Norfolk als passionierter Reiter ein Training besitzt, das ihn auch große Strapazen leicht bewältigen läßt. Denn ihm als dem ranghöchsten der Herzöge Englands und Träger der erblichen Würde eines Adelsmarschalls obliegt es, sämtliche Vorbereitungen und Anordnungen zu treffen, die für einen klaglosen Verlauf der Krönungsfeierlichkeiten erforderlich sind; und mit diesen Pflichten ist ein Arbeitspensum verbunden, das ihn schon seit Monaten nicht zur Ruhe kommen ließ und ihn und seinen Stab noch weiter in Atem halten wird, bis der große Tag vorüber ist. Allein schon die Festsetzung der Rangordnung für rund viertausend prominente Gäste, darunter viele aus dem Commonwealth und dem nichtbritischen Ausland, die sich weniger um die Regeln des höfischen Protokolls als um die gehörige Respektierung ihrer offiziellen Stellung kümmern werden, ist ein schier unlösbares Problem.

Wenn um die Mittagsstunde des 2. Juni die Tochter Georgs VI. unter dem Geläute der Glocken, dem Schmettern der silbernen Staatstrompeten und dem Jubel der Menge in festlicher Prozession ihren Einzug in die West-minster Abbey hält, wird sie sich dessen bewußt sein, daß seit Eduards I. Krönung im Jahre 1274 alle ihre Vorgänger auf dem Throne die Insignien des königlichen Amtes in dieser Kirche empfangen haben, und andere vor ihnen in dem Gotteshaus, das früher an derselben Stelle stand; von Wilhelm dem Eroberer, der da am Weihnachtstag 1066 zum König geweiht, nicht gekrönt, wurde, wie es damals hieß, waren es siebenunddreißig in ununterbrochener Reihe bis zu ihrem Vater. Und es wird ihr ins Gedächtnis gerufen werden, daß diese historische Stätte, die jetzt mit ihrer Ueberfülle profaner Denkmäler fast einem Pantheon gleicht, schon von ihren Erbauern, den Benediktinermönchen des nebenan liegenden Stiftes St. Peter, als Krönungskirche geplant worden war;, denn das dem Abt dafür erteilte Privileg, den zur Herrschaft gelangten Monarchen , über . das Krönungszeremoniell zu unterrichten, wird noch immer ausgeübt, seit der Reformation allerdings vom anglikanischen Propst von Westminster.

In diesem Zeremoniell, das Kirchliches mit Weltlichem verbindet, finden sich auch Einzelheiten zufälligen Ursprungs, die keine tiefere Bedeutung besitzen und lediglich aus Respekt vor der Ueberlieferung beibehalten worden sind. So ergab es sich bei der Krönung Richards I. im Jahre 1189, daß die beiden ältesten der anwesenden Prälaten die Bischöfe von Durham und von Bath und Wells waren, und ihnen daher die Aufgabe zufiel, den König während der Feierlichkeiten zu „stützen“, das heißt, ihm zur Seite zu stehen. Daraus entstand ein unerschütterliches Vorrecht, und auch jetzt wieder, wie bei allen seitherigen Krönungen, werden es die Inhaber der genannten Bischofssitze sein, die der jungen Königin assistieren. Aber gerade im wesentlichen, im religiösen Kern der Zeremonien, kommt mehr zum Ausdruck als bloß der konservative Sinn des Engländers und seine Anhänglichkeit an das Althergebrachte. Hier zeigt sich selbst heute noch, nach vierhundertjähriger Trennung von Rom, e i n Festhalten an der katholischen Tradition, wie es sonst nirgends mehr im Leben dieses Staates zu beobachten ist. Freilich, an Stelle des Hochamtes, mit dem in der alten Zeit die Krönungsfeierlichkeiten verbunden war, ist das protestantische Abendmahl getreten, und statt des Lateinischen wird seit der ersten Elizabeth die Landessprache gebraucht. Aber an der Hervorhebung des sakralen Charakters einer Königskrönung hat sich nichts geändert, und das Ritual ist überwiegend so geblieben, wie es schon vor Ende des ersten Jahrtausends gebräuchlich war. Auch jetzt noch wird die feierliche Handlung mit einem „Veni Creator“ eingeleitet und mit einem „Tedeum“ beschlossen, und eine der Hymnen, die vom Chor gesungen wird, ist bei dem gleichen Anlaß schon im 8. Jahrhundert gesungen worden.

Die bei der Krönung der früheren katholischen Herrscher Englands benützten In-signien und Geräte sind allerdings, mit wenigen Ausnahmen, Cromwells Zerstörungswut zum Opfer gefallen; die Nachbildungen, mit denen sie noch im 17. Jahrhundert ersetzt wurden, sind aber bis ins Detail genau, und die alte Bezeichnung ist ihnen geblieben. So ist es, offiziell wie im allgemeinen Sprachgebrauch, der Thronsessel St. Eduards, auf dem die Königin für den Krönungsakt selbst Platz nehmen wird, und es ist die Krone desselben heiligen Bekenners, den ihr der Erz-bischof von Canterbury aufs Haupt setzt. Aus der früheren katholischen Zeit stammen auch die Oelampulle und der Löffel, die beide bei der feierlichen Salbung Verwendung finden, und aus dem 14. Jahrhundert jener wohlgehütete Schatz, der reich illuminierte Liber Regalis, der auch heute noch als Richtschnur für das Krönungszeremoniell dient.

In schroffem Gegensatz zu alledem steht freilich der Text des Krönungseides, der sich in seiner jetzigen, gemilderten Fassung nicht mehr ausdrücklich gegen den Katholizismus richtet, aber noch immer eine entsprechende Rücksichtnahme auf die Empfindungen des katholischen Teiles der Bevölkerung vermissen läßt; abgesehen davon, daß er Formulierungen enthält, die auch unter nichtkatholischen Christen Bedenken auslösen müssen.

Die Eidesleistung erfolgt in Form von Fragen, die der Erzbischof von Canterbury an den Monarchen stellt und von diesem mit den Worten „Ich will es“ beantwortet werden.

„Wollen Sie alles tun, was in Ihrer Macht steht, um die gesetzlich etablierte protestan-tisch-reformierte Religion im Vereinigten Königreich zu erhalten? Und wollen Sie dafür Sorge tragen, daß die Stellung der Kirche in England und ihre Doktrin, ihr Gottesdienst, ihre Disziplin und ihre Leitung, wie das Gesetz es vorschreibt, unversehrt bewahrt und erhalten bleiben?“ Das sind zwei der umstrittensten dieser Fragen. Die erste, mit dem folgenden „Ich will es“, mag die Anhänger der schottisch-presbyteranischen Kirche befriedigen, und vielleicht auch den Großteil der Anglikaner; für deren rechten Flügel aber, für die sogenannten Anglokatholiken, die behaupten, die anglikanische. Kirche sei keineswegs protestantisch, sondern die rechtgläubige katholische Kirche Englands, ist eine solche Stipulation unannehmbar. Was übrigens auch ein anglikanischer Prälat, der Bischof von Monmouth, vor kurzem öffentlich erklärt hat. Und was die zweite der genannten Fragen anbelangt, so enthält sie eine Forderung, deren Sinn der Erzbischof von Canterbury selbst kaum zu definieren imstande sein dürfte. Welches sind, genau genommen, die Doktrin und die liturgischen und disziplinaren Vorschriften der anglikanischen Kirche, welche die Königin unversehrt zu bewahren schwören muß? Soll sie sich darüber etwa bei dem anglikanischen Bischof informieren, der die Gottheit Christi in Wort und Schrift geleugnet hat, und trotzdem nicht abgesetzt werden konnte? Oder bei den anglikanischen Geistlichen der High-Church-Richtung, die bis auf die Suprematie des Papstes die katholischen Dogmen anerkennen, ihre Liturgie und die Einrichtung ihrer Kirchen dem katholischen Vorbild angleichen, und die Ansicht vertreten, sie hätten dieselben Befugnisse und Vollmachten, wie gültig geweihte katholische Priester? Oder vielleicht bei jenen des linken Flügels, der „Low Church“, die jede liturgische Handlung als Götzendienst ablehnen und selbst schon das apostolische Glaubensbekenntnis als „überholt und reformbedürftig“ erklären?

Nun, das sind Probleme, die -das Bewußtsein der jungen Königin in den bewegten und ergreifenden Stunden des 2. Juni höchstens nur flüchtig berühren werden; kaum mehr als die Frage, warum die englischen Monarchen auch heute noch den Titel eines Verteidigers des Glaubens führen, den Heinrich VIII. für seine Assertio Septem Sacramentorum vom Papste zu Rom verliehen bekam. Sie wird an diesem bedeutungsvollen Tag keinem anderen Gedanken Raum geben können, als der Er-messung der schweren Pflichten, die ihr die Krone auferlegt; einer Verantwortung„ der sie mit mutiger Entschlossenheit entgegensieht, und mit dem festen Willen-, es ihrem verewigten Vater gleichzutun in der selbstlosen Hingabe für das Wohl der Völker, deren Liebe sie sich schon an dem Tag errungen hatte, an dem sie zum erstenmal in das Licht der Oeffentlichkeit trat.

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