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Fünf Millionen beim Hochamt

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Vor kurzem fand die erste englische Fernsehübertragung eines Hochamtes statt, und zwar aus der St.-Anne-Kathedrale in L e e d s. Es war zweifellos ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte der englischen Katholiken, da ja die Messe im wesentlichen einen Akt des Tuns und Sehens, nicht des „Hörens" darstellt, den ein ganzes Jahrhundert der englischen Reformationszeit völlig zu unterdrücken gesucht hat, nachdem. er ein Jahrtausend lang Mittelpunkt des Lebens im katholischen England gewesen war. Die herrlichen Kathedralen und Klosterkirchen Englands sind um der Messe willen gebaut und in Ehren gehalten worden, die dann so heftigst verfolgt wurde, daß heute kaum ein Bruchteil der englischen Fernsehteilnehmer wissen dürfte, worum es bei diesem, feierlichen Meßopfer geht.

Die Zahl der Fernsehteilnehmer — etwa vier bis fünf Millionen — dürfte gleich der Zahl jener sein, denen vor 400 Jahren in England die heilige Messe genommen wurde. Viele von ihnen mögen ' der "Uebertragung nicht ganz verständnisvoll gefolgt sein. Für andere dagegen bedeutete diese Uebertragung, wie aus späteren Berichten ersichtlich war, eine Einführung in die Weite des katholischen Glaubens und das Erwecken von Interessen, die weiterführen .mögen, zumal-es die Fernsehübertragung ermöglichte, den Zuschauern Erklärungen zu geben, die in der Kirche sonst nicht tunlich sind.

Die katholische Kirche hat sich in ihrer Aufgabe, Intellekt und Herz der Menschheit anzusprechen, stets .der. Unterstützung( des Anklangs an Auge und Ohr bedient.. Und unter den Erfindungen dieses Jahrhunderts, die in den Dienst des Apostolats genommen werden können, dürfte sich das Fernsehen als bedeutendster Einfluß erweisen. Was die technische und kulturelle Revolution anbetrifft, die der Film in diesem Jahrhundert herbeigeführt hat, werden die Katholiken zugeben müssen, daß sie sich dieser Erfindung keineswegs hinreichend bedient haben. Außer einigen wenigen Meisterwerken, wie etwa „Monsieur Vincent“ oder „Das Lied von Bernadette“, sind die Bemühungen der Katholiken trotz der hervorragenden Arbeit mancher katholischen Organisationen, gemessen an der gigantischen Verbreitung des Films auf der.ganzen Welt, unbefriedigend geblieben.

Es ist daher von größter Dringlichkeit, daß die Katholiken aller Länder von Anfang an bei der Einführung des Fernsehdienstes mitreden — und mittun. Die Kontroverse, die heute in England zwischen den Konservativen geführt wird, die den Fernsehdienst dem Staatsmonopol der BBC entziehen und in den Dienst privater Geschäftsinteressen stellen möchten, und Labour, die dies, meistens mit Hinweis auf den degradierenden Reklamecharakter des amerikanischen Fernsehdienstes, bekämpfen, muß auch den katholischen Standpunkt berühren. Die englische Wochenzeitschrift „Tablet“ vertritt hier eine Ansicht, die, wenn auch nicht ohne heftigen

Widerspruch, heute lebhaft diskutiert wird. Dem „Tablet“ geht es darum, diesen mächtigen Apparat der Einflußnahme auf die öffentliche Meinung dem Staate zu entziehen, so daß sich, in Ländern etwa, die konfessionell gemischt sind, nicht die eine oder andere Partei zum Schaden der anderen dieses Apparats bemächtigen kann.

Mangels einer öffentlichen Zählung, die sich mit der Religionszugehörigkeit befaßt, haben sich die englischen Katholiken mit den höchst unverläßlichen Aufstellungen der einzelnen Gemeinden Zufriedenzustellen, und die oft zitierte Zahl von fast vier Millionen Katholiken dürfte in Wirklichkeit viel höher liegen. Jedenfalls bergen derartige quantitative Berechnungen ein Element der Unfairneß in sich. Diesp Fragen werden heute in manchen katholischen englischen Kreisen besprochen, mehr noch vielleicht als die prinzipiellen Fragen, ob etwa die Uebertragung einer Messe zu bejahen ist oder nicht. Die Anzahl jener Katholiken in England, die die kürzlich im „Hochland“ vorgetragene pessimistische Ansicht Clemens Münsters von der Gefahr der Vermassung einer unter andere „Unterhaltungen“ eingereihten Fernsehmesse teilen, scheint eher klein zu sein. Bei der Frage, ob der Fernsehdienst als Bildungs- oder als Unterhaltungsmittel, anzusehen.;sej,., so., schrieb eine englische katholische Zeitschrift neulich, sollte man nicht leichtfertig supponieren, daß „Bildung“ oder „Unterhaltung“ an sich einen Wert besäßen.

Die erste Fernsehübertragung der heiligen Messe wie auch die Ankündigung, daß das Zeremoniell der Kanonisierung Pius X. im kommenden Sommer vom britischen Fernsehdienst übernommen werden wird, hat die Proteste einiger protestantischer Kreise hervorgerufen. Der Sekretär. der Protestant Truth Society schickte ein Telegramm mit folgendem Wortlaut an die BBC: „Die Protestanten Englands verwahren sich gegen das fast zwei Stunden dauernde römisch-katholische Zeremoniell in Leeds. Es ist überdies ein Skandal, daß die BBC die Kosten dieser Uebertragung bezahlt. Nichts könnte weiter von dem Neuen Testament und der Religion Christi entfernt sein, als was am Sonntag gezeigt und als Hochamt beschrieben wurde.“ Ein „anglikanischer Priester“ schrieb an den „Daily Telegraph“, daß der ganze Gottesdienst „höchst unenglisch“ gewesen sei un f daß die Erklärung des Bischofs von Leeds, er fühle sich für alle Menschen in seiner Diözese verantwortlich, ob sie seines Glaubens seien oder nicht, als eine direkte Beleidigung des (anglikanischen) Erzbischofs von York aufgefaßt werden müsse. Eine ganze Reihe von Briefen widersprach jedoch diesem Korrespondenten, darunter auch einer eines „anderen anglikanischen Priesters“, der die Uebertragung mit der würdevollen Zeremonie der Krönung verglich. Er wünschte, daß ein „Hochamt“ bald auch von einer anglikanischen Kirche übertragen werden möchte und daß die Katholiken dann zuschauen und mitbeten würden, wie es neulich viele Anglikaner getan hätten.

Die gegnerischen Stimmen waren, wie die BBC bekanntgab, eine verschwindende Minderheit. Bischof Heenan von Leeds erhielt viele zustimmende Zuschriften. Er hatte sich in seiner Predigt vornehmlich an diejenigen seiner unsichtbaren Zuschauer gewandt, die für die Messe kein Verständnis aufbringen konnten und denen er von seiner eigenen Verwirrung erzählte, als er als Kind seiner ersten Bischofsmesse beiwohnte. „Heute weiß ich, wie einem Bischof dabei zumute ist“, sagte er; „die Ehrungen, die ihm erwiesen werden, gelten nicht ihm, sondern seinem Amt.“

Wenn aus der Fernsehübertragung dieser englischen Messe eine Lehre gezogen worden ist, dann war es die von der Wichtigkeit der Messe als ein Opfer der Gemeinschaft. Die Gemeinde der Leedskathedrale war zu sehr z.ischauende und nicht mitfeiernde Gemeinde. Die Notwendigkeit der Dialogmesse wurde hier fühlbar, die den englischen Katholiken noch verhältnismäßig unbekannt ist. Die englischen Katholiken sind, durch ihre Minderheitenlage und dadurch, daß die anglikanische Kirche viele der katholischen Gottesdienstformen übernommen hat, leider noch in einer Haltung befangen, die der

Dialogmesse, den Abendmessen oder etwa der Mitternachtsmesse der Osternacht argwöhnisch gegenübersteht. Zweifellos werden diese „Neueinführungen“ mit der Zeit auch in England willkommen sein, wie es einige bereits sind. Die Furcht beispielsweise vor dem Gebrauch der englischen Sprache in der Liturgie stößt auf das Hindernis in der besonderen Lage der englischen Katholiken, denen nicht ein so klar umgrenzter Protestantismus, sondern eine den Anspruch auf echte „Katho- lizität“ erhebende anglikanische Kirche gegenübersteht.

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