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Mama, wo ist Gott?

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DER VERLORENE SOHN. In London schlägt das Herz des größten Konzerns der Welt — des englischen Weltreiches — immer noch. Wer jedoch die Welt von einem Standpunkt aus betrachtet, auf dem der Satz Geltung hat: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Weit' gewinnt...“, für den ergibt sich ein anderes Bild. Ein Bild, das tief unter der Oberfläche des geschäftigen Gepränges liegt. Es trägt die Züge des verlorenen Sohnes.

Als sich König Heinrich VIII, auf Grund des päpstlichen Scheidungsverbotes vor rund Vierhundert Jahren mitsamt seinem Volk von Rom lossagte und die protestantische „Kirche von England“ als Staatsreligion einführte, zog das heute 45 Millionen zählende Volk, gleich dem Sohn, der das Vaterhaus verließ, in die Fremde ... Aber verlassen wir das Bild dieses Vergleiches und fragen wir rund heraus: Wie steht’s mit der Religion?

Diese Frage beantwortete mir ein katholischer Priester sehr klar: „Vier Millionen sind katho lisch — und wie dies für eine Minderheit fast natürlich ist, sind dies praktizierende Katholiken. Weitere vier Millionen sind praktizierende Protestanten in dem Sinn, daß sie zumindest einmal im Jahr ihre Kirche besuchen. Der Rest schreibt als einzige Erinnerung an seine Religionszugehörigkeit die drei Buchstaben C. O. E. (Church of England) auf amtlichen Formularen hinter seine Namen.“ Ich rechne nach: 45 minus 8 ... bleiben also 37 Millionen — wenn man die Kinder abrechnet, rund 30 Millionen Menschen, denen der Glaube' wenig, jedenfalls nicht so viel bedeutet, daß sie daraus bewußte Konsequenzen für ihr Leben ziehen. Eine Religion, die so weit weg ist, wie in mancher Ehe die Liebe, die keine Kraft mehr findet, sich sichtbar oder fühlbar zu machen.

MEIN HAUS IST MEINE BURG. Der Mann, der mir dies erzählte, ist Michael O’Connor. 37 Jahre alt, Aeltester einer siebenköpfigen irischen Lehrerfamilie. Zwei seiner Brüder sind ebenfalls katholische Priester. Seinen Lebenslauf schildert er durch die zwei Worte „irren und versuchen“.. Seine Augen blicken ruhig und bestimmt, seine Worte setzt er einfach und klar. Nur die innere Anspannung seiner Persönlichkeit verrät den genialen Erfinder und Leiter einer einmaligen Organisation, des Büros „Die katholische Kirche antwortet“ (sehr freie Uebersetzung des englischen „Catholic Enquiry Centre“). Lebte der heilige Paulus heute in England, er hätte wahrscheinlich die gleiche Methode zur Glaubensverbreitung gewählt. „Die Hauptfrage für uns war: wie kommen wir an die Leute heran“, beginnt O’Connor die Entstehung seiner Einrichtung zu schildern. In England kann man nicht einfach an eine Haustür klopfen. „Mein Haus ist meine Burg“, heißt das Sprichwort, und jeder persönliche Einbruch in die private Sphäre ist unmöglich, wörtlich und im übertragenen Sinn. Plakate haben zuwenig Breitenwirkung (man kann nicht ganz England vollplakatieren), Radio und Fernsehen sind für religiöse Propaganda prinzipiell gesperrt (weil man sich vor den finanzkräftigen amerikanischen Sekten fürchtet, die „in Kürze die Leute verrückt machen würden“). Bleibt nur noch die Zeitung, und die ist gut, zählen doch die Engländer zu den eifrigsten Zeitungslesern der Welt.

DAS UNAUFFÄLLIGE KUVERT. 1954 begann O’Connor in den meistgelesenen Blättern („natürlich nicht in den katholischen") Inserate aufzugeben — regelrechte Werbeinserate! „Warum werden so viele Menschen katholisch?“, „Tot — was dann?“, „Die Wahrheit über die katholische Kirche“, „Gott und das Leid in der Welt“ — das waren die Ueber- schriften der Anzeigen, die später mit gezeichneten Bildern aufgemacht wurden. („Am meisten schlug das Bild des Priesters bei der heiligen Messe ein.") Auf einem der Bilder fragt ein etwa zehnjähriger Bub mit großem Kinderblick seine Mutter: „Wo ist Gott, Mama?“ — „Wie wollen Sie ihm antworten? Sie können Ihr Kind nicht einfach beiseite schieben“, heißt es dann weiter im Text. „Gott ist Wirklichkeit, nicht irgendeine Erscheinung mit einem Bart. Unser Büro, ,Die katholische Kirche antwortet’, wird Sie in einem Fernkurs -gerne aufklären, Ihnen die Fragen beantworten, die Sie sich vielleicht selbst schon manches Mal gestellt haben.“

Auf dem Kupon schließlich, den der Leser mit seinem Namen an das Büro einschicken kann, steht folgender Text vorgedruckt: „Bitte, senden Sie mir Ihre Broschüre über die Arbeitsweise Ihrer Organisation in einem verschlossenen, unauffälligen Kuvert. Ich gebe Ihnen meine Adresse vertraulich bekannt. Ich verlasse mich auf Ihr Versprechen, daß mich kein Vertreter von Ihnen besuchen kommt. Ich bin kein Katholik.“ Aufmachung und Ausdrucksweise dieser Inserate gründen auf einer genauen Kenntnis der seelischen Situation der Menschen, die man ansprechen will. Sie können sich in ihrer Wirkung mit den Reklametricks großer Geschäftsunternehmen messen.

Inzwischen sind die Anzeigen auf die Titelseiten der größten Zeitungen vorgerückt, auf Zeitungen, die Auflagen bis zu fünf Millionen haben, Zeitungen, die 94 Prozent der Bevölkerung erreichen und bis zu 50.000 österreichische Schilling für ein Inserat (Format: 10 X 20 cm) verlangen — und dies alles ist wahr!

Aber es geht noch weiter. Aus allen Kreisen kamen seit März 1934 mehr, als 116.000 Anfragen auf die Anzeigen; mehr als 64.000 haben anudcn Jerftkursen,.,bestehend. au&, 24 Wachen? lektionen, teilgenommen,. Die unbekannten Fälle nicht mitgerechnet — und es dürften ziemlich viele sein —, konnte „Die Kirche antwortet“ bisher 4200 Taufen — also Konversionen — verzeichnen.

BEREIT SEIN IST ALLES. „Um heutzutage etwas zu erreichen, muß man die Leute organisieren, ihnen konkrete Ziele vorsetzen", sagt Father O’Connor, und man glaubt es ihm — besonders, wenn man das supermoderne Bürogebäude sieht, das er für seine Organisation in einem Villenviertel Londons gebaut hat. Zwei Mitbrüder helfen ihm in der geistlichen Leitung, 18 weibliche Hilfskräfte — darunter eine junge Oesterreichetin, Adrienne von Weidenheim — sind damit beschäftigt, die Flut der wöchentlichen Zuschriften, Adressen, Briefe, Fragen in Karteikästen zu ordnen und die Antwortbriefe, Fernkursbroschüren, Mitteilungsblätter zu bearbeiten und mit Lieferautos auf die Post zu bringen. Uebrigens soll eine ähnliche Einrichtung nun auch für Australien und Neuseeland organisiert werden.

Mit den „konkreten Zielen“ und der Organisation aber meint er sein dichtes Netz von Helfern, auf dem alles gründet. Ideell helfen sie durch ihr Gebet und Opfer („Wir können nur die Wege ebnen, Irrtümer über den Glauben beseitigen — die eigentliche Bekehrung muß er- betet werden!“), materiell durch ihre regelmäßigen Beiträge. 50.000 Katholiken, die mit je einem Leiter (Promotor) in Gruppep gefaßt sind, beten für die Bekehrung ihrer eigenen Pfarre (konkretes Ziel!), nehmen Kontakte auf und leisten ihren regelmäßigen Beitrag (3.50 österreichische Schilling im Monat). Durch diese Beiträge und Spenden kommt jährlich ein Betrag von etwa fünf Millionen österreichische Schilling herein.

DIE KLARE ANTWORT. Natürlich schaut man auf der anderen Seite nicht untätig zu. Auch die englische Kirche inserierte und bot ein Buch zur Aufklärung über den Glauben an. Der Erfolg war entmutigend — er blieb zur Gänze aus. Die interessierten Protestanten lehnten das Buch ganz einfach ab. „Das ist nicht unser Glaube“ — oder vielmehr: „Das ist nicht mein Glaube“, sagten sie, und bezeugten so das Wesen des englischen Protestantismus sehr plastisch. Hier bildet sich nach einer gewissen Grundlehre jeder sein eigenes Glaubens-

gebäüde, das oft großzügigst ausgelegt wird. So löst sich die gemeinsame Grundlage auf, zum Schluß glaubt jeder, was ihm paßt.

Sicher ist es diese Unklarheit, die die englischen Protestanten immer mehr nach neuer Klarheit verlangen läßt. Von Jahr zu Jahr steigen die Konversionen. Die Mutter Kirche weiß um die Not ihres verlorenen Kindes; sie fand diese neue Form, um ihm den Weg nach Hause zu erleichtern. Sie kämpft dabei mit den Mitteln der heutigen Zeit. Father O’Connor entwickelte das Büro „Die Kirche antwortet“ nach den letzten Erkenntnissen der modernen Werbepsychologie — man denkt unwillkürlich an das Schriftwort „Seid klug wie die Schlangen“ — und bringt den alten Glauben ins Land zurück, baut Brücken, lehrt die Mütter antworten, wenn ihr Kind sie fragt: „Mama, WQ ist Gott?"

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