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Nordamerikanischer Katholizismus

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In dem mit vorbildlicher Vornehmheit und einer sauberen Klarheit geschriebenen Werk „Geschichte der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten““ zeichnet der Verfasser den steilen Aufstieg, den die katholische Kirche Nordamerikas aus kleinen und bedrückten Anfängen bis zur heutigen Größe genommen hat, eine Geschichte, lehrreich für die gesamte Kirche der Welt. „Wenn irgendwo in der Kirchengeschichte, dann war in Nordamerika an der Ausbreitung und Konsolidierung der Kirche das Ordenswesen in hervorragendem Maße beteiligt.-Ihren heutigen blühenden, ja glänzenden Custand verdankt die Kirche der Vereinigten Staaten zu einem Großteil ihren Ordensleuten, allerdings auch (!) den Bischöfen, die das Ordenswesen auf jede Weise gefördert haben. Besonders die Klosterfrauen haben in ihren Schulen Generationen von zukünftigen Priestern, katholischen Müttern und Familienvätern herangebildet. Wenn die amerikanischen Katholiken heute auf irgend etwas stolz sein dürfen, dann auf ihre fast 150.000 Ordensschwestern“ (S. 67). Und ein anderes noch: „Die Kirche in Amerika ist groß geworden durch die unermüdliche Kleinarbeit pflichttreuer Seelsorger, die in unerschütterlichem Vertrauen auf die Kirche als Ganzes und auf alle ihre einzelnen Aeußerungen, Generation auf Generation zu eifrigen Christen erzogen haben“ (S. 131). Zahlenmäßig stellen die Katholiken heute die relativ stärkste Gruppe. Als die Unabhängigkeit der Staaten erklärt wurde (1783'), waren es etwa ein Prozent, heute ein Fünftel der Gesamtbevölkerung. „Fast vier Fünftel sind protestantisch, wenn auch von diesen der größere Teil keiner bestimmten Konfession oder ■ Denomination angehört“ (S. 33). Die 32 Millionen Katholiken verteilen sich auf über 120 Diözesen. In weitem Abstand folgen die Baptisten mit 10 Millionen und die Methodisten mit 8 Millionen, die Lutheraner mit über 3 Millionen. Alle übrigen Konfessionen liegen unter diesen Zahlen. (Adolf Keller, Amerikanisches Christentum heute, Zürich 1943, S. 466.)

Was diese Katholiken auszeichnet, ist ihre Lebendigkeit, Geschlossenheit, ihre Opferbereitschaft. Sie haben etwas Mutiges, Vorwärtsdrängendes, Eroberndes, und das alles mit der Selbstverständlichkeit einer in Jahrhunderten gewachsenen Haltung. Sie kommen aus einer lange durchstandenen Missionssituation, und dies prägt heute noch mit ihr Antlitz. Schon der kirchliche Aufbau sagt das. Die Wahl der Bischöfe erfolgte zuerst wie überall durch das Kollegium der Bischöfe selbst. Dann durch den Klerus. Die Bischöfe wehrten sich seit je gegen das Institut der Domkapitel. An Stelle dieser traten Diözesan-konsultoren, die zur Hälfte vom Bischof, zur anderen Hälfte vom Klerus gewählt wurden. Die Pfarrer sind, zum Unterschied von Europa, im Regelfall versetzbar, also stets zur Verfügung des Bischofs. Nur etwa ein Zehntel hat die Inamovibilität, und das als Privileg.

Die Pfarrdisziplin wurde oft mit einer in Europa längst nicht mehr bekannten Strenge geführt. Es gab Pfarrer, die verweigerten den Eltern die Sakramente, weil sie ihre Kinder nicht in die katholische Pfarrschule schickten (S. 183). Die Synode von 1884 muß noch vor übergroßer Strenge warnen. Das durchgebildete und mit für Europa unvorstellbaren Kosten erhaltene konfessionelle Schulwesen ist das Beste, was die Kirche in Amerika geleistet hat. Es ist auf der ganzen katholischen Welt ohne Beispiel (S. 245). Es umfaßt alle Formen von Schulen vom Elementarunterricht bis zu den Colleges und Universitäten. In Nordamerika gibt es keine Priesternot (S. 295). Die Seminare können oft die Anmeldungen nicht alle annehmen. Chikago hat das größte Priesterseminar der Welt (S. 305). Innerhalb der Gesamtbevölkerung siedeln freilich die Katholiken nicht überall in der gleichen Dichte. Zahlenmäßig am stärksten ist ihr Hundertsatz im Nordosten und etwa auch im Südwesten der USA. Das hält das Missionsbewußtsein weiter wach. Ebenso, weil die Katholiken im wesentlichen Stadtbewohner sind. Für die Diaspora in der Mitte und für den Nordwesten des Bundes sind Missionsmittel modernster Technik und gut geschulte Seelsorger bereitgestellt. Ehedem arbeitete man mit Eisenbahnkapellen, heute mit Kapellenautos, die sonntags das weite Land durchbrausen. Ueberdies wurden hier in den letzten vier Jahrzehnten über 500 Kirchen gebaut.

Nordamerika, noch vor 100 Jahren selber Missionsgebiet und angewiesen auf die Missionäre und die geldliche Unterstützung Europas, ist heute die finanzielle Hauptstütze der katholischen Missionen und stellte nach der letztverfügbaren Statistik (1949) 4123 Missionspriester, Brüder und Schwestern.

Im fahre 1936 bereiste der damalige Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli die Kirche der Vereinigten Staaten. Er war auch Gast bei Präsident Franklin D. Roosevelt. Nach seiner Rückkehr schrieb er an den Präsidenten: „Meine Reise in den Vereinigten Staaten hat in mir die tiefsten Eindrücke meines ganzen Lebens hinterlassen“ (S. 307).

Diese Stellung in den USA mußten sich die Katholiken unter schweren Hemmungen, in zäher Ausdauer erringen. Die protestantischen Sekten haben, und das wissen sie, das Antlitz des Landes geprägt. „Die Puritaner ebenso wie später die Quäker, die schottischen Presbyterianer und die deutschen Sektierer gaben der amerikanischen Gesellschaft jenes Gepräge von Wohlanständigkeit, Ehrbarkeit und Respektabilität, gegen das der zuchtlose Haufe der Abenteurer, der Abschaum von Europa, nicht aufkommen konnte“ (S. 14). Aber, sie mochten untereinander noch 'so uneins sein, ihre Abneigung gegen die Papisterei verband sie alle. Die Unabhängigkeitserklärung ist nur von einem Katholiken mit unterschrieben (S. 23). Der erste Kongreß beginnt mit einer antikatholischen Botschaft. So ist die bis heute noch fühlbare öffentliche Meinung geworden, und die besagt: die katholische Religion ist ein Fremdkörper im Land. Eine Stimmung, die sich oft zu fanatischen und durchaus amerikanischen Haßausbrüchen steigerte und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein bei den Katholiken einen Minderwertigkeitskomplex nährte, den sie aber tapfer durchstanden und überwanden. Die Katholiken waren vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen (S. 28), Brandschriften gegen sie wurden veröffentlicht, Klöster niedergebrannt und Kirchen und Pfarrhöfe zerstört oder verwüstet. Hunderte von Irländern umgebracht. Die Woge dieses Hasses erreichte ihre Höhe um die Mitte des vorigen Jahrhunderts mit der Geheimgesellschaft „Know Nothing“ und den Nativismus, der Abwehr der in Amerika Geborenen gegen die katholischen Einwanderer. Merkwürdigerweise gab die gleichzeitige Abwehr Oesterreichs gegen die Irredenta in Venetien (Hinrichtung des Revolutionärs Ugo Bassi) unter der Gleichsetzung: Oesterreich = Papst = katholische Tyrannei, jahrelang diesem Haß die Losung. Dem aus Ungarn geflüchteten Ludwig Kossuth wurde 1852 ein begeisterter Empfang bereitet. Nichts bezeichnet aber die un-beirrte Festigkeit und Unerschrockenheit der Katholiken mehr als die Tatsache, daß gerade in den Jahren dieser nativistischen und protestantischen Haßorgien (von 1840 bis 1860) die Seelsorger doppelt zupackten und 29 neue Diözesen errichtet und ausgebaut wurden.

Ende der sechziger Jahre setzte eine neue Haßwelle ein, die diesmal von der Ku-Klux-Klan-Feme unter rassischer und scharf antikatholischer Parole lief (S. 147). Das alles erstellte wieder den Hintergrund für den „Amerikanismus“ jener Katholiken, der eine möglichste Angleichung der Kirche an den Geist der Amerikaner verlangte und in Bischof Keane, dem Rektor der ersten katholischen Universität, und Erz-bischof Ireland seine Führer hatte. Der „Amerikanismus“ wurde von Rom 1899 verurteilt. Hertling stellt aber (stillschweigend gegen Anton Gisler) richtig, daß der Amerikanismus keine Häresie und auch kein Vorläufer des Modernismus war (S. 242 f.).

Der Historiker teilt die Geschichte der USA in die Zeit der Pioniere und — seit etwa 1840 — die der großen E in Wanderungen. Beide, Pioniere und Einwanderer, müssen kühn, müssen wagemutig sein und ihres Risikos stets bewußt. Der scharfe Gegenwind und ihr eigener Kampf um den Platz hat die nordamerikanischen Katholiken nicht geschwächt. Beides hat sie gefestigt und erst recht zusammengeschlossen.

Das jugendlich Frische, Zupackende, das Unternehmerische und Missionarische dieser Christen ist nur aus ihrer Geschichte heraus zu verstehen. Wie die Amerikaner überhaupt. Während sich die europäischen Kirchen nach der schweren Krise der Glaubensspaltung gegen eine, geschichtsmorpho-logisch gesehen, typische Alterserscheinung, die Aufklärung, mühsam zur Wehr zu setzen hatten, begann für Amerikas Kirche erst die Zeit ihrer Jugend.

Hertling setzt die protestantische Einwanderung mit 1620, die ersten katholischen Siedler mit 163 5 an. Der Protestant Adolf Keller nennt Katholiken als die ersten Besiedler (Amerikanisches Christentum, S. 308 f.). Aber die 15 Jahre Unterschied können auf keinen Fall die Bedeutung haben, die ihnen ihre Mißbraucher zuschreiben.

Es ist symbolhaft und für den Geist dieser Kirche nicht ohne Bedeutung, daß die ersten katholischen Geistlichen, die nach Amerika kamen, Jesuiten waren (S. 16, 19). Diese Pioniere hatten keine Pfarren, wie man sagt, „zu betreuen“. Sie waren auf der Suche und Jagd nach Katholiken, ohne Wohnsitz, Unternehmer Gottes, immer bereit, dort einzusetzen, wo die Not am größten war. Was später nachkam, waren nicht immer die Besten. Genau so wie bei den Einwanderern überhaupt. Aber die von der Französischen Revolution auch über den Ozean versprengten Priester waren die für Amerika richtigen Bekenner und Arbeiter (S. 48). Auch die ersten amerikanischen Bischöfe waren Pioniere. Ihre Kathedralen sind zum Teil heute noch klein und unansehnlich. Bischof Richmond war noch 1840 gleichzeitig Pfarrer und andere auch. Eine Kirchenprovinz im Nordwesten hatte an Gläubigen zu Beginn ein paar Pelzhändler und einige Familien Indianer. Der große Kardinal-Erzbischof James Gibbons, der später wesentlich zum Ansehen der Kirche in den Vereinigten Staaten beitrug, der 1921 mit 87 Jahren starb, hatte seine erste Diözese mit zwei Priestern und 800 Katholiken übernommen. Nur allmählich wuchsen die verstreuten Missionsstationen zur Diözese und zur Kirche Amerikas zusammen. Und dieser Anfang war anderseits sehr modern. Die erste katholische Zeitung war — bezeichnend! — ein Pfarrblatt (1822). Schon damals waren die Theologen Werkstudenten (S. 92). Die Kirchen waren vielfach schon geheizt.

Neben den Jesuiten wirkten die Franziskaner, dann die Lazaristen, besonders im Süden (S. 65, 115); die ersten Redemptoristen kamen 1832 aus Oesterreich. In dieser Zeit lebte die Kirche Amerikas von Priestern und von den Geldern, die aus Europa kamen. Unter den größten Geldquellen der damaligen Kirche Amerikas rangiert die österreichische Leo-poldinenstiftung (seit 1828). Sie schickte (kaum zu glauben für uns Heutige!) in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens 364.000 Gulden an die amerikanischen Bischöfe. Neben den Priestern gab es jederzeit tapfere Laien. Ja, das Laienelement war mit den „Trustees“, welche die wirtschaftliche Gebarung in den Händen hatten, fast zu einer Gefahr für die Ordnung geworden. Was kraß offenbar wurde, als diese dem Bischof von New York wegen einer Meinungsverschiedenheit drohten, das Gehalt zu sperren. Rom hatte öfter Sorge, es könnte sich in den USA eine Kirche mit eigenen Gesetzen herausbilden (S. 8 5, 180). Aber die Sorge wurde durch die eindeutige, männliche Treue der amerikanischen Katholiken zerstreut. Dennoch: die schon starke, wohlorganisierte und angesehene Kirche der Vereinigten Staaten unterstand bis 1908 noch der Propagandakongregation. Freilich wurden einige Staaten der Mitte erst Mitte des 19. Jahrhunderts missioniert; nach Colorado kam erst 18 52 der erste Missionär, 18 58 wurdfc hier die erste Kirche gebaut. In wenigen Jahrzehnten standen 112 Kirchen, die Seelsorge lag in den Händen von 64 Priestern.

Aus dieser erobernden Missiortskirche wird die mündige Kirche Amerikas mit stärkster Bindung an Rom. 1858 wurde das amerikanische Kolleg in Rom errichtet. Das Gefühl, unter ihren Landsleuten „Dissenters“ zu sein, hörte allmählich auf. Heute sind sie selbstbewußte Bürger der gleichen amerikanischen Erde. Mit der Einwanderung, die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts einsetzte und die größte Völkerwanderung der Geschichte darstellt (nach 1850 über 4 Millionen, 1891 bis 1900 fast 4 Millionen, 1901 bis 1910 fast 9 Millionen), bekam die bereits im Wesen aufgebaute Kirche Amerikas einen starken Zuzug an Gläubigen, besonders aus Irland, Deutschland und Oesterreich. Später kamen Italiener und Slawen. Dem Widerstand der Nati-visten begegnete bereits das eigene Selbstbewußtsein und ein unerschrockener Katholizismus. Wesentlich hat dazu beigetragen sein größter Laienapostel Orestes Browson (f 1876 in Detroit). Mit Father Isaak Hecker, dem Gründer der Paulisten (f 1888), gingen die Katholiken von der tapferen Selbstbehauptung zur Eroberung über. In der Zeit, da die Kirche die brutalste Hetze erlebte (1840 bis 1860), gab er die Losung zur Gewinnung der Protestanten aus. Die Zahl der jährlichen Konversionen liegt gegenwärtig über 100.000. (The Official Catholic Directory, 1952.) Der führende Bischof dieser Zeit, John Hughes von New York (1841 bis 1864), war eine Kampfnatur ohne jede Furcht. Als die Nati-visten 1844 im nahen Philadelphia Kirchen niederbrannten und die Flammen nach New York überzuspringen drohten, begab er sich zum Bürgermeister, der selber Nativist war, und forderte ihn auf, die Ruhe zu sichern. Als er höhnisch gefragt wurde: „Sie scheinen wohl Angst zu haben für Ihre Kirchen?“ gab er zurück: „Nicht für die unsern, sondern für die andern. Darauf können Sie sich verlassen: Sobald in New York die erste katholisch Kirche brennnt, zünden wir die ganze Stadt an.“ Und es blieb ruhig in New York. Und von der Kanzel sagte er zum Schrecken der Aengstlichen in seiner eigenen Herde: „Alle sollen wissen, daß wir die Aufgabe haben, die Welt zu bekehren, auch die Einwohner der Vereinigten Staaten, die Städte, das Land, die Marine, das Heer, die Landtage, den Senat, das Ministerium, den Präsidenten, alle!“ (S. 131 f.) Dahin ist freilich noch ein weiter Weg. Aber wenn die Vitalität der nordamerikanischen Katholiken durchhält, wird ein Gutteil dieses vor einem Jahrhundert verkündeten Programms erfüllt werden. — Die katholische Kirche Nordamerikas zählt heute 32 Millionen Gläubige und hat eine Hierarchie von 4 Kardinälen, 34 Erzbischöfen und 166 Bischöfen.

Das Nationalkonzil 1884 bestimmte, daß kein Priester auf eigene Faust Geldsammlungen für Europa veranstalten dürfe. Das war ein Zeichen: Das Verhältnis zu Europa hat sich nicht nur geändert, sondern umgekehrt. Mehr als die Dollar brauchten aber weite Strecken der europäischen (aber noch mehr südamerikanischen) Kirche etwas von dem lebendigen, erobernden und opferbereiten Geist, der die Katholiken Nordamerikas kennzeichnet und der in dem Werk Ludwig Hertlings aus seiner Genese erst richtig verstanden wird.

Ludwig Hertling SJ., Geschichte der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten, Morus-Verlag, Berlin 1954, 334 Seiten, Preis 15.80 DM.

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