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Der Katholizismus im Leben der Vereinigten Staaten

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Die ehrwürdigste amerikanische Staatsurkunde, die Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1781, mit der die Abgeordneten der dreizehn englischen Kolonien sich von der Krone lossagten und zu den Vereinigten Staaten zusammenschlossen, trägt unter den zahlreichen Unterschriften auch die Namen von Katholiken. Unter den Persönlichkeiten, denen die neue Republik wichtige Staatsaufgaben anvertraute, waren führende Katholiken. Selbst der erste katholische Bischof im neuen Staatswesen, John Carrol, wirkte trotz seines kirchlichen Amtes in zahlreichen wichtigen politischen und diplomatischen Missionen. Die Revolutionsarmee hatte ihre katholischen Kapläne, und die einzigen Indianer, die an der Seite George Washingtons für die Freiheit der Union kämpften, waren Angehörige katholischer Stämme aus Maine und dem benachbarten Grenzgebiet.

Das sind Tatsachen, auf die die amerikanischen Katholiken immer mit Recht hingewiesen haben, wenn im Verlaufe der Geschichte der Vereinigten Staaten antikatholische Strömungen die „Romhörigkeit” und „Unterwürfigkeit unter die auswärtige Macht des Papstes” anzukreiden versuchten. Es ist ein interessantes Phänomen, daß im Falle der Gründung der Vereinigten Staaten die Katholiken fast ausnahmslos auf der Seite der Revolution standen, ganz im Gegensatz zu anderen großen Revolutionen der Geschichte, wo der Katholizismus eher das konservative Element verstärkte. Die Ursachen für die Haltung der amerikanischen Katholiken liegen vor allem in dem Umstande, daß die/ Unterdrückung der Kirche im englischen Mutterland keinen Anreiz bot, ein solches Regime fortgesetzt zu sehen, während die, wenn auch anfänglich beschränkte Religionsfreiheit in der neuen Republik die Erfüllung eines wesentlichen Postulats bedeutete. Dieses Bekenntnis zu den Vereinigten Staaten begründete aber auch eine Tradition, der der Katholizismus zu allen Zeiten treugeblieben ist und die ihm heute jene einflußreiche Stellung im Leben der Nation gibt, aus dem er nicht mehr wegzudenken ist.

Diese „amerikanische” Tradition des Katholizismus der Vereinigten Staaten war so stark, daß er auch die verschiedenartigen nationalen Strömungen der vielsprachigen Einwanderergruppen zu durchdringen vermochte. Die im 19. Jahrhundert florierenden, den seelsorglichen Bedürfnissen der katholischen Einwanderer entsprechenden Nationalpfarren wurden nicht eine Quelle der Zersplitterung, sondern trugen ebenfalls dagu bei, den Geist des amerikanischen Katholizismus auch unter jenen Gläubigen zu festigen, die nicht aus dem anglosächsischen Kulturkreis stammten. Darum ist heute der gesamte Katholizismus in den Vereinigten Staaten seiner Charakteristik nach vollauf „amerikanisch” und damit zu einem wesentlichen Bestandteil der Nation geworden.

Es ist ein lebendiger, aktiver Katholizismus, dessen Dynamik auf Ausbreitung drängt, eine jugendfrische, von Missionseifer getragene Kirche, die mit stetem Schritt nach vorwärts schreitet. Das kommt auch in einem Vergleich mit den anderen Kirchen und Religionsgesellschaften zum Ausdruck. Den 42 Millionen Protestanten, aufgespalten in ungefähr 270 Sekten, und etwa 11 Millionen Angehörigen nichtchristlicher Bekenntnisse stehen mehr als 25 Millionen Katholiken gegenüber, die als eine geschlossene, einige und ungeteilte Kirche die stärkste Religionsgemeinschaft des Landes bilden. 123 Diözesen in 22 Provinzen mit 40.000 Priestern und 145.000 Ordensleuten, mehr als 3,5 Millionen Schülern und Studenten in 300 Seminarien, 200 Colleges und Universitäten, 2400 Oberschulen und 80.000 Grund- und Spezialschulen geben ein beredtes Zeugnis von der organisatorischen Tiefe der Kirche. Im Leben der Nation tritt diese Kraft der Kirche noch eindringlicher vor Augen, wenn man bedenkt, daß mehr als 60 Millionen Amerikaner überhaupt keiner Konfession angehören. Aus der kleinen Diasporagruppe von weniger als ein Prozent der Bevölkerungszahl zur Zeit der Gründung der Vereinigten Staaten sind die Katholiken heute zu einer Stellung von fast 19 Prozent der rund 135 Millionen Einwohner emporgestiegen.

Dem mitteleuropäischen Beobachter fallen viele Unterschiede auf. Vorerst der vorherrschende und tiefgreifende Einfluß der Hierarchie ud des Klerus. Es ist ein „kirchlicher” Katholizismus, in dem der Klerus seine führende Stellung nicht nur innehat, sondern auch erfüllt. Das bringt allerdings mit sich, daß dafür die Latenbewegung erst in langsamem Ausbau begriffen ist. Die amerikanischen Katholiken lieben ihre Religion. 90 bis 95prozentiger Kirchenbesuch an Sonn- und Feiertagen ist die Regel. Weisungen der Hierarchie werden als Selbstverständlichkeiten befolgt. Die Gebefreudigkeif der Gläubigen für die Bedürfnisse der gänzlich auf freiwillige Beiträge angewiesenen Kirche erfüllt immer wieder mit Staunen. Wenn heute der amerikanische Katholizismus neben einem ganz großzügigen Programm zum Auriau von Kirchen, Spitälern und Schulen daheim noch Millionen Dollar jährlich für die Notleidenden der ganzen Welt, darunter auch uns Österreicher, aufbringen kann, so ist e® der Opfermut, der dies ermöglicht.

Der amerikanische Klerus vereinigt in sich alle jene typischen Eigenschaften, die die Nation charakterisieren und ihr den Erfolg bringen: aufgeschlossen, aktiv, strebsam und realistisch. Dazu kommt noch eine bewundernswerte Disziplin und Unterordnung unter die Autorität der Oberhirten, die dem Gefüge der Kirche eine so großartige Einheit geben. Dieser gesunde „Amerikanismus” bringt mit sich, daß die Kirche nie stehenbleibt. Genau so wie der amerikanische Geschäftsmann immer neue Wege zum Erfolg sucht, ist der amerikanische Seelsorger immer wieder bestrebt, seine Aufgaben mit verbesserten und neuen Methoden zu erfüllen. Man denke nur an die weltberühmte Gründung von Boys Town des auch in Österreich bekannten Msgre. Flanagan. Das gleiche trifft auf Orden und Kongregationen zu. Nicht nur, daß eine ganz gewaltige Zahl von amerikanischen Gründungen der Kirche neue Ordenszweige zugeführt hat, lebt hier ein Aktivismus, der wirklich nachahmenswert ist. Ordenshäuser mit eigenen Radiostationen zur Verbreitung katholischer Doktrin und Kultur sind keine Seltenheit. Und so könnte das Bild durch eine Fülle von Beispielen ergänzt werden.

Die Überzeugungstreue der amerikanischen Katholiken ist auch ein gewichtiges Moment im öffentlichen Leben der Nation. Die Zeit, da einzelne Gliedstaaten Gesetze erlassen konnten, die Katholiken vom aktiven oder passiven Wahlrecht aussdilossen, ist endgültig vorüber. Dennoch ist der Katholizismus immer klug genug gewesen, niemals parteipolitisch auf den Plan zu treten. Die beiden großen Parteien haben Abgeordnete und führende Persönlichkeiten in ihren Reihen, die Katholiken sind. Wenn sie auch keine „katholische” Gruppe vertreten, so weiß jeder, daß sie, wo immer entscheidende Fragen auftreten, ohne Ansehung der Partei die Interessen des Katholizismus vertreten werden. Das wissen auch die nichtkatholischen Politiker, die bei ihrer Einstellung zu solchen Fragen genau erwägen, ob sie damit bei der katholischen Wählerschaft ein positives Echo findeh würden. Der „Sieg”, den die antikatholischen Kräfte im Jahre 1928 über den katholischen Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei, Al Smith, davontrugen, war ein wahrer Pyrrhussieg: es würde heute keine Partei sich unterfangen, Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, die von den Katholiken abgelehnt würden. Parteipolitische Erwägungen stehen bei den amerikanischen Katholiken immer hinter ihrer Glaubensüberzeugung zurück. Das gleiche gilt von der Gewerkschaftsbewegung. Es gibt keine christlichen Gewerkschaften im europäischen Sinn. Dafür bringt die Glaubenstreue der katholischen Arbeiter und die vorbildliche soziale Aufgeschlossenheit des Klerus, der zum Großteil selbst aus den Söhnen von Arbeitern stammt, mit sich, daß der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung kulturkämpferische Vorstöße fremd sind.

Was vom politischen Leben gilt, trifft auch auf die private und berufliche Haltung der amerikanischen Katholiken zu.- Er kennt keinen „betonten Klerikalismus”. Für ihn sind seine Grundsätze Selbstverständlichkeit, die er in seinem privaten und beruflichen Leben uneingeschränkt anwendet. Gerade aber diese Selbstverständlichkeit wirkt beispielgebend. Kein Wunder daher, daß der Kirche neue Glieder in immer steigendem Maße Zuströmen und die Zahl der jährlichen Konversionen um die 100.000-Grenze liegt. Dabei umschließt der Kreis der Konvertiten alle Schichten der Nation. Es sei hier nur an den Enkel des Begründers und jetzigen Präsidenten der Ford-Werke, Henry Ford II, erinnert. Diese Wendung zur Kirche ist ein äußerst hoffnungsvolles Zeichen gerade in einer Zeit, wo eine modernistische Theologie den amerikanischen Protestantismus aushöhlt und die christlichen Maximen zu Leitsätzen einer „bloß natürlichen Ethik” herabdrückt und wo fast die Hälfte der Nation überhaupt einem organisierten Kirchentum fernesteht. •Dem KatüoErismns Kommt Kente unzweifelhaft eine Schlüsselstellung im Leben der amerikanischen Nation zu. Darüber hinaus aber nimmt er eine immer bedeutendere Stellung in der universalen Kirche ein, was gerade für die Zukunft von wesentlichem Einfluß sein kann. Wir wissen, welche wichtige Rolle in der europäischen Kirchen- “schichte die Tätigkeit der schottischen und irischen Missionäre spielte. Durch die Trennung der Kirche Englands von Rom ist seit Jahrhunderten dieser Einfluß des anglo- sächsischen Elements verlorengegangen. Im amerikanischen Katholizismus findet dieses anglosächsische Element eine moderne, verjüngte Ausdrucksform, die der westlichen Christenheit neue Impulse gibt und neue Kraft verleiben wird.

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