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Der Zug fährt zwar ab..

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„Das religiöse Gefühl verdient größte Achtung, besonders von demjenigen, der von keinem Glauben an das Uebernatürliche erfüllt ist: eben deswegen, weil dieser den menschlichen Werten des Geistes höchste Wichtigkeit zumessen muß, soweit diese rein autonom sind und von keiner Uebeilegung oder Ableitung herrühren.“ \

„Das religiöse Gefühl, falls es aufrichtig ist, auch wenn es vom einfältigsten Glauben an alle Mythen begleitet wird, wenn es auf einer hinkenden Logik beruht, die die explosive Gewalt des Denkens künstlich begrenzt, so ist es doch ein Zeichen sittlicher Sorge, eines Strebens nach Gutem und eines Sehnens nach Ueberwindung des Instinktiven und Zufälligen; es wäre ungerecht, den sozialen Wert von all dem zu unterschätzen“

So schreibt der italienische Publizist Ric-cardo Bauer in der linksintellektuellen, antiklerikalen Florentiner Monatsschrift . „Ii Ponte“ (Februar 1953/St. 149). Darnach ergeht er sich in Klageliedern über das heutige katholische Leben in Italien, das seiner Ansicht nach das ganze Land in eine einzige „bigotte Kirchweih“ verwandle. Viel bezeichnender als sein Geschimpfe ist aber sein obenstehendes Lob, denn es zeigt dem mit „hinkender Logik“ denkenden Katholiken, unter welchen Bedingungen er von den hegelianischen Staatsvergötterern im Falle ihrer Machtergreifung noch auf Achtung, genauer gesagt Gnade, zu hoffen hätte.

Der ausländische 'Leser wird erstaunt fragen: Aber der Anriklerikalismus ist in Italien doch überwunden, Kirche und Staat haben sich doch versöhnt, die Lateranverträge sind doch auch in der republikanischen Verfassung verankert worden? Ja letztlich hat doch auch die katholische Regierungspartei 4948 eine erdrückende Mehrheit erhalten?

Gewiß, die Zeiten vor 1915 sind vorüber: Die Züge fahren heute auch ab, wenn unter den Passagieren ein Priester zu finden ist (früher wurde er zum Aussteigen gezwungen !); polizeiliche Schikanen gegen Glockengeläutc und andere äußere Kundgebungen des Glaubenslebens existieren nur in der Sehnsucht der „freiheitsliebenden“ Elemente; ebenso gehört auch der obszöne, platte Vulgärantiklerikalismus, der selbst einen erbitterten Kirchenfeind wie Professor Gaetano Salvemini anekelte, zur Vergangenheit. Im Gegenteil, vor den Wahlen entdecken auf einmal alle Parteien, einschließlich der Kommunisten, ihr Interesse an den Katholiken.

Jedoch haben die Feinde der Kirche (selbst nennen sie sich „Laien“, in Verkennung der wirklichen Bedeutung des Wortes; richtig wäre: Laizisten, die Anhänger des Laizismus) in Italien so bedeutende Schlüsselstellungen erringen “können, daß sie für lange Zeit auf plumpe Kampfmittel verzichten können. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wenn man erklären wollte, warum das „Risorgimento“, Italiens nationale Erneue-mngsbewegung im 19. Jahrhundert, nicht ▼on Katholiken geführt wurde und auch aus etlichen Gründen nicht von Katholiken geführt werden konnte. Als Papst Pius IX. am Beginn seines Pontifikats Laien suchte, die seinen Staat reformieren sollten, fand er bestenfalls „liberale Katholiken“; die Betonung lag auf dem Wort „liberal“, das im vorigen Jahrhundert oft zur Verschleierung rücksichtsloser Intoleranz dienen mußte. Es ist eben eine traurige Tatsache, daß Italiens Katholiken seit über einem Jahrhundert vom geistigen Leben der , Nation mehr oder weniger ausgeschlossen worden sind; leider gewinnt der Beobachter manchmal den Eindruck, daß sie sich damit abgefunden haben.

1873 wurden die theologischen Fakultäten an den italienischen Universitäten aufgelöst und das theologische „Studium fristet seitdem ein Aschenbrödeldasein in ungenügend dotierten bischöflichen Seminarien. Die Universitäten sind seit dem „Risorgimento“ ein „Bollwerk gegen jeglichen konfessionellen Obskurantismus“. Die Professoren werden in Italien vo'n den Fakultäten gewählt, Katholiken müssen Spitzenleistungen aufweisen, um eine Professur zu erringen. Heutzutage gibt es z. B. unter den ungefähr fünfzig Lehrkräften der philosophischen Fakultät der Universität Florenz zwei Katholiken. Nicht anders verhält es sich an den 27 restlichen Staats-universitäte*n. Trotzdem ist Prof. Salvemini, Italiens Pfaffenfresser Nr. 1, schon ungehalten, weil die von der Mailänder Herz-Jesu-Universität verliehenen akademischen Titel auch staatlich anerkannt werden. (Die Herz-Jesu-Universität wird nicht mit staatlichen Geldern erhalten, aber für manche Leute ist der katholische Staatsbürger nur zum Steuerzahlen da!)

An den philosophischen Fakultäten herrscht, besonders durch den Einfluß Bene-detto Croces, der deutsche Idealismus: Kant, Fichte, Hegel. Daher erklärt es sich, daß alle italienischen Parteien, mit Ausnahme der christlichen Demokraten, den „Staat“ förmlich anbeten. Das wirkt sich besonders auch auf dem Schulwesen aus. Sogar die Liberale Partei betont in ihrem Wahlprogramm ganz besonders, daß sie gegen jede staatliche Zuwendung an konfessionelle Schulen Einspruch erheben wird. Weiterhin bewirkt aber die Heranziehung „Fichtescher Ichheiten“ das Aussterben jedes objektiven Denkens unter der nichtkatholischen Mehrheit der italienischen Intellektuellen. Das zeigt sich nicht nur in der allgemeinen politischen Publizistik, sondern gerade auch in den antiklerikalen Kampfschriften „II Ponte“ und „Ii Mondo“. Deren Mitarbeiter sind gar nicht in der Lage, die tatsächlichen Schattenseiten des katholischen Lebens in Italien zu erkennen; ihre Kenntnisse über die katholische Kirche erschöpfen sich bestenfalls mit dem Katechismus der Volksschule, es sei denn, apostasierte Priester werden als Spezialisten zugezogen. Die genannten Zeitschriften lesen sich daher wie eine für „intellektuelle Leser“ zurechtgemachte Ausgabe des seinerzeitigen Wochenblattes „Das Schwarze Korps“. Allerdings verfügen die Zeitschriften über kein Reichssicherheitshauptamt für unbelehrbare Leser.

Irgendwelche Kontakte zwischen katholischen und nichtkatholischen Gebildeten Italiens, zur Klärung praktischer Tagesfragen odd zur Ausschaltung unfairer Waffen im Kampf der Ideen, finden kaum statt. Schuld daran trägt vielleicht auch das verfehlte Festhalten an der Fiktion des „rein katholischen Landes Italien“. Bei der Volkszählung im Jahre 1951 enthielt z. B. der Fragebogen keine Frage nach der Religion des Gezählten! Ebenso erweisen sich die von den italienischen Katholiken so erstrebten gesetzlichen Formen als ungenügend, wenn sie nicht auch von Eroberungen des Geistes begleitet sind. Aber allein die Tatsache, daß die italienischen Katholiken jetzt darangehen, Positionen im kulturellen Leben des Landes zu beanspruchen und auch zu erringen, löst auf der Gegenseite stürmische Proteste aus. Führende Intellektuelle haben eine „Vereinigung für die Freiheit der Kultur“ gegründet, die allerdings auch gewisse kulturelle „Lenkungen“ jenseits des Eisernen Vorhanges in mildem Ton zurechtweist.

Der latente Antiklerikalismus hat natürlich unvermeidliche Auswirkungen auf politischem Gebiet. Ganz abgesehen von den Kommunisten und Nenni-Sozialisten, sehen auch ein Teil der Sozialdemokraten, die jetzt wieder abgespaltenen alten „Aktionspar-teiler“, und die „Linksliberalen“ in der katholischen Kirche und nicht im sowjetischen Kommunismus die Hauptgefahr für die demokratischen Freiheiten Italiens. Sollten diese Elemente einmal an die Macht gelangen (was aber nach menschlichem Ermessen nur in Verbindung mit den Kommunisten möglich wäre), so würden sie bestimmt einen beispiellosen Kulturkampf entfesseln; sie hätten für sich Ausgangsstellungen, von denen Hitler und Himmler bestenfalls geträumt haben. Abgesehen von der sogenannten „bürgerlichen Intelligenz“ ist die Landbevölkerung in großen Teilen Italiens, besonders in der Emilia-Romagna, Toskana und Umbrien, Ligurien und Latium völlig ent-christlicht. In der Erzdiözese Siena gibt es Pfarreien mit ungefähr 1000 Seelen, wo bestenfalls 20 Personen den Sonntagsgottesdienst besuchen. Seit der Einigung Italiens haben Volksschullehrer und Sprengelärzte der italienischen Landbevölkerung das Evangelium des „Laizismus“ gekündigt, nach dem letzten Krieg, der in Italien nach 1943 auch in einen Partisanen- und Bürgerkrieg ausartete, hat der Kommunismus die Saat des Laizismus geerntet.

Abschließend muß betont werden, daß die großen Wahlerfolge der Partei Degasperis an sich noch kein Maßstab für das religiöse Leben sind; aber gerade in den entchrist-lichten Gebieten merkt man eine erfrischende Regsamkeit der Katholiken, gerade in der sogar von der Hierarchie vernachlässigten Intelligenz spürt man eine Sehnsucht nach Vertiefung des Glaubenslebens.

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