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Italien nimmt Abschied vom konfessionellen Staat

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Italien nimmt Abschied vom konfessionellen Staat. Im Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl wird das Konkordat von 1929 der geänderten politisch-gesellschaftlichen Situation der Apenninenhalbinsel und dem geänderten Selbstverständnis der Kirche angepaßt.

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Italien nimmt Abschied vom konfessionellen Staat. Im Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl wird das Konkordat von 1929 der geänderten politisch-gesellschaftlichen Situation der Apenninenhalbinsel und dem geänderten Selbstverständnis der Kirche angepaßt.

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Es sei darum gegangen, die beiden Verfassungsgrundsätze der Freiheit und der Gleichheit und damit den Verzicht auf jeden Gewissenszwang und jedes Privileg auch im Konkordat zu verankern, meinte Italiens christdemokratischer Ministerpräsident Giulio Andreotti, als er am 25. November der römischen Abgeordnetenkammer den Entwurf einer Konkordatsrevision vorlegte. Das Parlament hat der Regierung inzwischen grünes Licht gegeben, auf der Basis dieses Entwurfs weiterzuverhandeln.

Eine Kommission unter dem Vorsitz des vatikanischen „Außenministers“ Erzbischof Casaroli und des ehemaligen christdemokratischen Justizministers Gonella hatte es sich nicht leichtgemacht. Angesichts der „tiefgehenden politischen und sozialen Umwandlung Italiens in den letzten Jahrzehnten“ und der „vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorangetriebenen Entwicklungen in der Kirche“, wie es im Vorwort heißt, sind von vatikanischer Seite nicht wenige Opfer gebracht worden.

Eher zu den Formalitäten gehört der Verzicht auf die Feststellung, daß die katholische Religion Staatsreligion sei. Dafür wird feierlich die Freiheit der kirchlichen Organisation und die freie Ausübung der geistlichen Gewalt proklamiert. Mehr an die Substanz gehen die Veränderungen etwa im Schulbereich. Das Konkordat von 1929 hatte die „christliche Lehre als Fundament und Krönung des öffentlichen Unterrichts“ betrachtet, nach der Revision wird der Staat nur mehr den „Wert der religiösen Büdung“ anerkennen. Der Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen blieb zwar erhalten, das Elternrecht auf religiöse Bildung der Kinder wird ausdrücklich anerkannt. Aber Religion ist kein Pflichtgegenstand mehr. Ein deutlicher Reflex der bedrängten Situation der katholischen Privatschulen in vielen „laizistisch“ beherrschten Städten ist in der geplanten Bestimmung zu sehen, wonach die den privaten Schulen zugestandenen Rechte „auch“ den katholischen Privatschulen zugute kommen müßten.

Im Bereich des Eherechts sind von der gemischten Kommission „radikale Neuerungen“ ausgehandelt worden. Der Konkordatstext soll in Zukunft nicht mehr von der Ehe als einem Sakrament sprechen, sondern davon, daß „die bürgerlich-rechtlichen Auswirkungen der nach den Normen des kanonischen Rechts geschlossenen Ehen anerkannt“ werden. Mit dieser feinen Unterscheidung will man den nur kirchlich getrauten Paaren die Möglichkeit der seit zwei Jahren ja endgültig in die italienische Rechtsordnung eingeführten Scheidung offenhalten. Außerdem wird die Kontrolle der staatlichen Gerichtsbarkeit überdiekanonischen

Ehenichtigkeitserklärungen verschärft. So sollen von Staats wegen auch bei Ehenichtigkeitserklärungen dem wirtschaftlich schwächeren Teil Alimente zugesprochen werden können.

In allen Bereichen, ob es sich nun um das Zeugnisverweigerungsrecht der Priester oder die spirituelle Betreuung der Soldaten, Kranken und Gefangenen handelt, gehe es wie Andreotti dem Parlament versicherte, nicht um „Privilegien“ der katholischen Kirche. Im großen und ganzen hält sich der Revisionsentwurf an jene postkonziliare Konzeption, von der auch der „Osservatore Romano“ gesprochen hat: Staat und Kirche als zwei verschiedene, aber nicht miteinander verfeindete Größen, die einander nicht ignorieren dürfen, sondern im Rahmen ihrer jeweiligen Aufgabe im Sinn des Allgemeinwohls zusammenarbeiten sollen.

Trotzdem löste Andreottis Präsentation der Konkordatsrevision einen Sturm auch in den Medien aus, wobei die Fronten gar nicht der mitteleuropäischen Optik entsprechend verlaufen. Während die KP von einem „nützlichen Entwurf sprach, der als Grundlage für eine „positive Lösung“ dienen könnte, schnaubte der bürgerliche Liberale Aldo Bozzi, ein Antiklerikaler der alten Schule: „Dieser Entwurf unterwirft den italienischen Staat weiterhin der Kirche.“ Für die Liberalen besteht die einzige Lösung in einer „einvernehmlichen Eliminierung“ des Konkordats aus der italienischen Rechtsordnung, ihnen geht es ebenso wie den Sozialisten und Sozialdemokraten, den Republikanern und den „Demoproletariern“ auch um die Einstellung aller staatlichen Zahlungen an die Kirche, aber auch um die komplette Streichung des Religionsunterrichts und die Einführung der verpflichtenden Ziviltrauung.

Sobald das Verhältnis von Kirche und Staat ins Spiel kommt, fallen in Italien die Schatten des 19. Jahrhunderts auf die politische Szene. Der bürgerliche Antiklerikalismus hat auf der Apenninenhalbinsel alle Stürme des 20. Jahrhunderts relativ ungebrochen überstanden. Rigorose Trennung von Staat und Kirche, ein Laizismus nach dem Vorbüd der französischen Dritten Republik, sind sein Traumbüd, das in den Medien und im intellektuellen Milieu gepflegt wird, in manchen Gegenden aber auch zur Volkstradition gehört Darüber hinaus sind mit Ausnahme der Democrazia Cristiana und der Neofaschisten alle politischen Parteien Italiens auf Laizismus eingeschworen, rhetorische Übungen in dieser Richtung gehören zum Pflichtsoll bürgerlicher wie marxistischer Politiker.

Um so mehr schmerzt es das „laizistische“ Italien, daß es den Christdemokraten 1947 - übrigens im trauten Verein mit den Kommunisten - gelungen ist, die von Mussolini ausgehandelten Lateranverträge in die Verfassung der italienischen Republik aufzunehmen. Vor allem das Konkordat, als Bestandteil der Lateranverträge, hatte es den laizistischen Parteien angetan, war doch durch dieses Konkordat Italien 1929 wieder zu einem konfessionellen Staat gemacht und das antikirchliche Erbe des Risorgimento liquidiert worden. (Nur eines durfte selbst der Diktator Mussolini nicht wagen: die Wiedererrichtung theologischer Fakultäten an den italienischen Staatsuniversitäten.)

Daher sind die Polemiken um das Konkordat seit 1947 ein Dauerbrenner der italienischen Innenpolitik. Daß manches an diesem Konkordat der Realität der Gegenwart nicht mehr entsprach, war klar. Trotzdem wagte sich niemand an das „heiße Eisen“. 1967 hatte das Parlament zwar die Regierung aufgefordert, Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl aufzunehmen, aber die Initiative verlief im Sande. Dann kam der Wirbel um die Einführung der Scheidung, der im Mai 1974 mit dem Sieg der Scheidungsfans endete.

Dieser Sieg heizte die Polemik wesentlich an. Außenseiter der politischen Szene, wie die von Marco Pannella geführte Radikale Partei mit ihrer krausen jakobinischen Ideologie, machten sich für die ersatzlose Abschaffung des Konkordats stark. Daß sich nun ausgerechnet die schwache christdemokratische Minderheitsregierung, die nur dank kommunistischer Stimmenthaltung und des öffentlich ausgesprochenen Wohlwollens der KP an der Macht ist, an die Konkordatsrevision wagt, hat mehrere Gründe. Andreotti verfügt seit Beginn seiner politischen Karriere über die besten Verbindungen zum Vatikan, seine Frömmigkeit ist ebenso sprichwörtlich wie sein eher sarkastischer Humor. Dem Ministerpräsidenten muß daran gelegen sein, der von Tag zu Tag aufsässiger sich gebärdenden innerparteilichen Opposition vor Augen zu führen, daß er imstande ist, der KP auch substantielle Konzessionen zu entlocken. Der Berlinguer-Re-gie wiederum geht es darum, im Zeichen der Strategie des „historischen Kompromisses“ den italienischen Katholiken und dem Vatikan zu demonstrieren, daß die besonnene und aller antiklerikalen Rhetorik abholde Politik der KP entscheidend dazu beiträgt, die Rechte und Freiheiten der Kirche in der italienischen Verfassung verankert zu erhalten.

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