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Historischer Kompromiß? — historische Katastrophe

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1860 landete Garibaldi mit seinen jakobinischen Insurgenten in Sizilien; es war das Ende der feudalen Bourbonen-Herr-schaft — und der Beginn des liberalen Nationalstaates Italien. Tomasi de Lampedusa — selbst Träger eines großen Namens — läßt in seinem „Leoparden“ den Fürsten Salina sagen: „Damit alles bleibe, wie es ist, muß sich alles ändern“; und der Fürst schickt seinen Neffen zu den Garibaldianern. 1922 marschiert Mussolini gegen Rom. Seinen Faschisten schloß sich auch ein junger Mann aus kleinbürgerlichem Milieu an, Marcello Cle-rici, der später sogar Mitglied der Geheimpolizei wurde — weil er sehr diffizile Probleme mit seinem Ego hatte und überdies Italiener war. Alberto Moravia, scharfzüngiger römischer Romancier, nennt seinen Romanhelden den „Konformisten“ und läßt diesen Clerici sagen, daß das Wichtigste an einem Italiener eben immer sei, „aufs richtige Pferd zu setzen“. 1976 schreibt Italiens Starjournalist Indro Montanelli, jahrelanger Kommentator des „Corriere della Sera“ und des „Giornale nuovo“ über seine Landsleute — knapp vor dem entscheidenden Urnengang vom 20. Juni: „In der Außen- wie in der Innenpolitik stürzt sich der Italiener in die Arme des Siegers. Wenn ein Italiener für die Kommunisten gestimmt hat, ohne Kommunist zu sein, so versucht er, es jetzt zu werden...“

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1860 landete Garibaldi mit seinen jakobinischen Insurgenten in Sizilien; es war das Ende der feudalen Bourbonen-Herr-schaft — und der Beginn des liberalen Nationalstaates Italien. Tomasi de Lampedusa — selbst Träger eines großen Namens — läßt in seinem „Leoparden“ den Fürsten Salina sagen: „Damit alles bleibe, wie es ist, muß sich alles ändern“; und der Fürst schickt seinen Neffen zu den Garibaldianern. 1922 marschiert Mussolini gegen Rom. Seinen Faschisten schloß sich auch ein junger Mann aus kleinbürgerlichem Milieu an, Marcello Cle-rici, der später sogar Mitglied der Geheimpolizei wurde — weil er sehr diffizile Probleme mit seinem Ego hatte und überdies Italiener war. Alberto Moravia, scharfzüngiger römischer Romancier, nennt seinen Romanhelden den „Konformisten“ und läßt diesen Clerici sagen, daß das Wichtigste an einem Italiener eben immer sei, „aufs richtige Pferd zu setzen“. 1976 schreibt Italiens Starjournalist Indro Montanelli, jahrelanger Kommentator des „Corriere della Sera“ und des „Giornale nuovo“ über seine Landsleute — knapp vor dem entscheidenden Urnengang vom 20. Juni: „In der Außen- wie in der Innenpolitik stürzt sich der Italiener in die Arme des Siegers. Wenn ein Italiener für die Kommunisten gestimmt hat, ohne Kommunist zu sein, so versucht er, es jetzt zu werden...“

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Italien, das verwundbarste Land des Mittelmeerraumes, war seit dem Ende des römischen Imperiums nie Subjekt —, sondern immer Objekt der Politik. Das Land nahm die Goten und Langobarden, die Byzantiner und die Sarazenen, die Normannen und die Franzosen, die Deutschen und die Spanier — und schließlich auch die Amerikaner auf; und blieb sich gleich — eben. „Damit alles bleibe, wie es ist, muß sich

alles ändern.“ Und was bleibt, ist vor allem der „Konformist“.

„Korruptes Mandarinentum“

Die dennoch historische Dimension des Urnenganges vom 20. Juni ist freilich mittlerweile wohl auch jedem Italiener deutlich vor die Augen getreten. Seit US-Außenminister Kissinger ebenso aufgeregt argumentierte wie der deutsche Bundeskanzler, scheint wohl klar zu sein, wie man in der Welt die Bedeutung der Wahlen einschätzt. Freilich: wer schuld an der italienischen Krise ist, steht jetzt wohl nur noch am Rande der Diskussion ...

Italiens Wahlkampfaussagen, Parolen und Versprechungen sind allerdings noch seltener als anderswo an den Realitäten zu messen.

Und deshalb sollte man auch davor warnen, die derzeit geäußerten Vorstellungen der Großparteien besonders hoch zu werten — nach der Wahl wird alles anders gemacht.

Da sind die Christlichen Demokraten. Seit dreißig Jahren tragen sie die Hauptlast der Regierungstätigkeit; und bei ihnen gab es nie eine echte demokratische Alternative — weil im Grunde auch durch alle Jahre niemand die DC aus der Verantwortung entlassen wollte. Das gilt es zu bedenken, wenn man jetzt frivol auf das „korrupte Mandarinentum“ schimpft. Welche Gruppe, die die Opposition nie kennengelernt hat, nützt sich nicht ab, wo sind nicht Machtmißbrauch und Korruption eine ständige Bedrohung?

Nun, diese in unseren Tagen vielgeschmähte DC (und gerade die Pfründenempfänger der Schickeria schmähen am lautesten) hat Italien trotz romanischem Auf und Ab durch alle diese Jahre auf dem Weg der Demokratie gehalten und — alles in allem — auch zu einigen spektakulären wirtschaftlichen Aufschwüngen verholten. Aber ein Armenhaus wird eben nicht in wenigen Jahren ein Luxusbungalow — schon gar nicht dann, wenn die

Armenhausbewohner ständig Lust am Dauerstreik bekunden! Diese DC ist auch keineswegs eine „rechte“, eine übermäßig konservative Partei. Das Sozialrevolutionäre Gedankengut eines Don Sturzo ist immer wieder Impetus der DC gewesen, die linken „Correnti“ der DC haben sich mit Freude immer wieder von den Ger werkschaften erpressen lassen. Und die Gesinnungsfreunde der Christdemokraten in Europa wissen ein Lied davon zu singen, wie Rom immer wieder die ganze europäische christliche Demokratie auf einen stark Sozialrevolutionären Kurs zwingen wollte.

Anderseits besteht kein Zweifel, daß sich diese Partei nie zu einer echten personellen Erneuerung durchringen konnte. Da tauchten immer wieder die gleichen Namen in allen Regierungskonstellationen auf: Fanfani, Moro, Rumor, An-dreotti, Leone — sie wechselten sich als Regierungschefs oder als Ressortchefs immer wieder in einem Karussell der Macht ab. Neue Männer stießen kaum zur DC, Nachwuchs* wurde auf Hinterbänke verbannt — oder auch gelegentlich mit einer fetten Pfründe in die verstaatlichte Wirtschaft abgeschoben. Und die einst, zu de Gasperis Zeiten, so mächtige Jugendbewegung wurde von der gleichen Krise heimgesucht wie die Katholische Aktion Italiens, von wo der personelle und geistige Zufluß der DC jahrzehntelang erfolgte.

Nun, die Christdemokraten — so-

fern sie nicht schon resigniert haben — treten dem ausländischen Besucher heute mit jener Lässigkeit entgegen, die Zuversicht vortäuschen soll. In Wirklichkeit weiß die DC auch vor dem 20. Juni nicht, was sie mit der Macht — nach dem Urnengang — anfangen soll. Die Fortsetzung des „Mitte-Links“-Kurses verwehrt sich — weil die Sozialisten nicht wollen. Und die ausgestreckte Hand der Kommunisten zum „historischen Kompromiß“? Nein, diese Hand bietet nicht loyale Kooperation, sondern ein Danaergeschenk

an:.,, . . ........0 ■ *

Ein solcher Regierungspakt wäre

— abgesehen vom Prinzipiellen — nur dann möglich, wenn eine starke, gefestigte, gutorganisierte DC der KP auf Regierungssesseln gegenübersäße.

Aber eine DC in einigen verbliebenen Ressorts in Rom — gegen die Macht der roten Regionen von Turin bis Neapel und gegen die ständige Herausforderung der Gewerkschaften — wie soll das ein „historischer Kompromiß“ sein? Es wäre eine historische Katastrophe für die DC.

PSI: Volksfront

In den großen Städten und mehreren Regionen haben sich Italiens Sozialisten und Kommunisten mittlerweile bereits zu einem Volksfrontbündnis zusammengetan. In Rom hängen schon gemeinsame Plakate von Sozialisten und Kommunisten, es finden laufend sogar gemeinsame Veranstaltungen und Versammlungen statt. Die Sozialisten wollen eine Volksfront, und biedern sich den noch abwartenden Kommunisten ganz offen an. Die Ressentiments einer alten Garde von romantischen Syndikalisten und häretischen Anarchisten bröckeln ab.

Die Sozialisten Italiens sind ja wahrhaftig das eigentliche Problem der italienischen Demokratie. Ihre

— durchwegs —- süditalienische Führerschaft weiß nicht, wie sie vor den Wähler treten soll: als Verbündeter, als Gegner der KP? Zum letzteren hat man nicht den Mut —1 das erstere kostet Stimmen.

So zappelt die PSI bereits jetzt im Netz Enrico Berlinguers. Kommt kein „historischer Kompromiß“ zustande — dann wären die Sozialisten als schwächstes Glied für eine Steigbügelrolle gerade gut genug.

Allparteienlösung?

Die Verworrenheit des Spektrums wird nicht einfacher für jene Auguren, die neuerdings als Diskussionsstoff in Roms Salons — wo die Linke längst eingeführt ist — eine „Allparteienlösung“ diskutiert. Eine Allianz aller Großparteien sollte — so meinen sie *- wenigstens vorübergehend die Wirtschaft sanieren.

Nun, unter normalen Umständen wäre diese Therapie des „nationalen Notstands“ sicher richtig. Nur bedeutet sie in Italien die De-facto-Volksfront unter Mitverantwortung der Chrisdemokraten — und einfach eine Katastrophe, für jene Partei, die einst unter de Gasperi ein

Stützpfeiler des freien Nachkriegseuropa war.

KP: der Kampf an der Basis

Man spürt die Umbruchsstimmung in diesen Tagen in Italien. Italiener behaupten, daß nichts mehr funktioniere; daß in den Ämtern und Ministerien nicht mehr gearbeitet werde; daß sich.auch im Heer ganz neue — opportunistische — Stimmen mehren. Nur die 80.000 Carabinieri stützen noch das Regime. Wie lange? Domani...

Vor allem aber sind die Intellektuellen, die Schriftsteller, Journalisten und jene die Maßstäbe setzende Schickeria zu einem Wettbewerb der Servilität angetreten. Wie in der Renaissance, als sich die Linien des Hauses Medici aWösten, wirft man sich dem gerade Mächtigsten — und dem demnächst Kommenden — an die Brust. Daß Enrico Berlinguer, der sardische Graf mit dem zerfurchten Gesicht eines Condottiere von diesem Uberschwang nicht erdrückt wird, läßt auf eine gute Konstitution hoffen. Denn er wird sie brauchen können — gegen seine eigenen Genossen.

Denn mittlerweile spielt sich — nur von wenigen beobachtet — ein wilder Kampf um die Ausgangsbasis innerhalb der KPI ab. Und diese Basis ist leninistisch, nicht reformistisch, sie ist teilweise stalinistisch, jedenfalls alles andere als „sozialdemokratisch“.

. Man weiß dort nämlich zweierlei: erstens muß ein Ministerpräsident Berlinguer die Macht der unerträglich gewordenen Gewerkschaften stutzen — will er effektiv regieren; und das geht gegen die KP-Kader in den Betrieben; und er muß einen außenpolitisch zurückhaltenden Kurs einschlagen — was ihn in der internationalen Arbeiterbewegung diskreditierbar macht. Die nächste Auseinandersetzung kommt also bestimmt. Und Berlinguer mag heute schon mehr Gegner in der eigenen Partei haben — als im übrigen Italien.

Das ist freilich kein Trost für Italiens Demokraten. Sie wissen auch, daß das Beispiel ihres Landes auf Frankreich und Spanien nicht ohne Einfluß bleiben wird.

Sie fürchten, daß der Westen — wie üblich — schwach und uneinig auf eine KP-Regierung in Italien reagieren wird. Schon finden sich heute Opportunisten außerhalb der rotweißgrünen Grenzpfähle, die auch nur den Boykott gegenüber einem demokratisch gewählten System als „undenkbar“ zurückweisen. Sie sitzen ebenso in der Europäischen Gemeinschaft wie in den Staatskanzleien von NATO-Staaten.

Und der Vatikan?

Italiens Kirche und die Christlichen Demokraten haben lange Jahre unerschütterliche Zusammenarbeit demonstriert; trotz deutlichem Hinweis auf die differenzierten Aufgabenstellungen. Daß die seelsorglichen Pflichten für die Kirche bestehen bleiben, ist unbestritten, Auch Don Camillo taufte Peppones Kind.

Daß es nicht einfach werden wird, ist aber den Realisten in der Kirche ziemlich klar. Papst Paul VI. hat darüber ebensowenig einen Zweifel gelassen wie auch Erzbischof Benelli kürzlich in Wien.

Nur hat man im Vatikan seine Erfahrung mit italienischen Regierungen. Und ein vatikanischer Diplomat meint: „Wir haben die Freimaurer um Vittorio Emanuele ausgehalten, die uns den Kirchenstaat wegnahmen — wir haben auch mit den ersten Faschisten leben müssen und wir haben die Nazis erlebt. Signore Berlinguer muß erst zeigen, daß er Italiens Probleme besser lösen kann. Man wird sehen.“

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