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Furcht vor der Katastrophe

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Macht? In den dunklen, stets ein wenig fragend blickenden Augen Francesco Cossigas blitzt so etwas wie Schalk auf, aber er sagt es sehr ernst und mit dem dozierenden Ton des Professors für Verfassungsrecht: „Ich halte die Gleichsetzung von Politik und Macht für verfehlt. Viele Jahre habe ich Politik gemacht, ohne Macht zu besitzen."

Und seit er vor einem halben Jahr „an die Macht" gekommen ist, an die Spitze der ohnmächtigsten Regierung, die Italien unter den 36 Regierungen seiner 33jährigen Republik erlebt hat, fühlt er sich in dieser Uberzeugung mehr den je bestätigt. „Er hat nicht einmal die Kraft zum Stürzen", bestätigte ihm ein besonders liebenswürdiger christdemokratischer Parteifreund, der neapolitanische Lokalpotentat Gava.

Ist es wirklich nur ein gußeisernes oder auch ein gummiartiges Rückgrat, wie es manchen Parteifunktionären wächst, das den Regierungschef Cossiga bisher über die Runden kommen ließ? Ist es das ruhige, kühl-diplomatische, sehr „italienische" Temperament dieses Politikers aus dem sardischen Sassari, wo er sich - wie KP-Chef Berlinguer, sein Vetter zweiten Grades - noch immer am meisten heimisch fühlt? Oder trug gar diese entfernte Verwandtschaft dazu bei, daß Cossiga ohne echten parlamentarischen Rückhalt selbstsicherer auftritt, als er dürfte?

All dies hat wenig oder nichts zu Cossigas Stehvermögen beigetragen. Was ihn bislang hält, ist paradoxerweise die Bodenlosigkeit der Gesamtlage Italiens: Das Unvermögen der großen Parteien, irgendeine regierungsfähige Mehrheit zu bilden, irgendwelche praktikablen überzeugenden Alternativen und Perspektiven für Gesellschaft, Staat und Wirtschaft zu entwerfen.

Und es ist nicht zuletzt die Furcht vor einer Zukunft, die durch nationale und internationale Sackgassen verbaut erscheint. Zu überwinden wären sie allenfalls durch einen Sprung über den eigenen Schatten, der allerdings auch zum Salto mortale werden könnte. Warum also etwas riskieren? Warum nicht einen bedächtig-strebsamen, für alle halbwegs erträglichen Mann wie Cossiga, das buchstäblich Notwendigste tun, die Krise hinziehen lassen und so -wie oft schon - die Katastrophe noch einmal verhindern?

Solcherart ist die Schwäche, aus der Francesco Cossiga seine kräftige Gelassenheit bezieht. Mit ihr vertritt er nicht nur souverän und ohne Komplexe sein Land, sondern - wie jüngst in Washington und London -auch die Europäische Gemeinschaft, deren turnusmäßiger Präsident er ist. Sie hat ihm letztes Wochenende sogar in der römischen Abgeordnetenkammer das Vertrauen einer Mehrheit eingebracht, die plötzlich von den Kommunisten bis zu den Liberalen reichte.

„Technisch" nannten die Parteien ihr Votum, als ob sich Vertrauen in der Politik ganz wertfrei, ja unpolitisch manipulieren ließe. Doch als einen „technischen", ohne Uberzeugung geleisteten Beitrag hatten die Sozialisten des PSI schon im August 1978 ihre Stimmenthaltung bezeichnet, mit der sie die Bildung des Kabinetts Cossiga gerade noch ermöglicht hatten. Denn die Kommunisten hatten sich, aufgerieben und geschwächt nach dreijähriger, unbe-lohnter Hilfsarbeit für die Regierung des Christdemokraten Andreotti, wieder in die Opposition geflüchtet.

Bald mußte Cossiga erleben, daß ihm der Beistand der Sozialisten aber auch „technisch" nicht sicher war:

Meistens stimmten sie mit den Kommunisten, und unaufhaltsam zerbröckelte die Illusion des Sozialistenführers Craxi, seine Partei als dritte Kraft zur eigenständigen Achse der italienischen Politik zu machen.

Der Waffenstillstand, den Craxi der Regierung zugesagt hatte, sollte zwar nur bis zum Parteikongreß der Christdemokraten Ende Dezember dauern, doch diese schoben den Termin immer wieder hinaus - nicht nur aus Unentschlossenheit, sondern auch in der stillen Hoffnung, Craxi werde seine Genossen doch wieder zur Rückkehr in eine linkere Koalition der linken Mitte (ohne Kommunisten) bewegen können und bis dahin lasse sich Cossigas Gnadenfrist verlängern.

Doch diese Rechnungen gingen nicht auf. Francesco Cossiga, mit galoppierender Inflation, Streikwellen und täglichen Terroristenattentaten konfrontiert, bringt seit Monaten kaum noch Gesetze durchs Parlament Er regiert mit Notverordnungen, die nach zwei Monaten in Gesetze umgewandelt werden müssen, wenn sie nitfht verfallen sollen.

Für solche Dienste aber sind die Sozialisten immer seltener zu gewinnen, zumal seit sich Craxi Ende Jänner dem Druck einer linken, von unbewußten Volksfrontträumen erfüllten Mehrheit seines Zentralkomitees beugen mußte. Endgültig nach dem christdemokratischen Parteitag, der am 15. Februar beginnt, wollen die Sozialisten Cossigas Schicksal besiegeln, sein Kabinett durch „eine Regierung der nationalen Solidarität" ersetzen, der alle verfügbaren Parteien angehören sollen, womit vor allem die Kommunisten gemeint sind.

Ist aber die KP Berlinguers wirklich „verfügbar"? Ist sie - wie jetzt die Mehrheit der Sozialisten sicher zu sein glaubt - durch ihre Kritik am sowjetischen Afghanistan-Abenteuer und an der Sacharow-Verbannung endlich weit genug von Moskau abgerückt, um neben Christdemokraten auf Ministersesseln zu sitzen?

Im Grunde ist nicht nur der Kongreß der Democrazia Cristiana, sondern auch die kommunistische Partei fast ultimativ vor diese Fragen gestellt. Zwar ist das übliche, mehr persönlich als sachlich gestimmte Geplänkel zwischen den neun christdemokratischen „Correnti" im Vorfeld des Kongresses schon eifrig im Gange.

Es scheint, daß die um die Zacca-gnini, Andreotti und Piccoli geschar-ten Anhänger einer Politik der „nationalen Solidarität" eine Mehrheit besitzen, doch die Parole selber schillert: Kaum jemand will darunter auch nur andeutungsweise die direkte Regierungsbeteiligung der Kommunisten verstehen. Selbst Andreotti, der seit langem zugibt, daß Italien ohne , Kommunisten nicht wirksam regierbar ist, wagt sich kaum über die Linie hinaus, auf der er selber einmal Ber-linguer halbwegs entgegenkam.

Zwar hatte Cossiga von seinem Gespräch mit Carter den Eindruck mitgebracht, daß nicht so sehr der Präsident, als die amerikanischen Wähler jeden Kommunisten in der Regierung eines NATO-Landes gerade jetzt unerträglich fanden. Aber könnte sich eine römische Regierung darüber hinwegsetzen, ohne den Eintrittspreis für Berlinguer drastisch zu erhöhen?

Eine billige Lösung wäre es, wenn ihn Moskau zahlen würde, indem es auf die italienischen Genossen den Bannstrahl schleuderte. Seit Berlinguer die Sowjets in Afghanistan eine „Besatzungsarmee" nannte, ist das nicht mehr völlig auszuschließen. Seitdem aber rührt sich in Italiens KP auch offener stalinistischer Widerstand wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Wenn die Partei daran zerbräche, wäre mit dem „eurokommunistischen" Rest sowenig Italiens Stabilisierung erreichbar wie mit einer De-mocrazia Christiana, die sich an der kommunistischen Frage spalten würde.

Kein Wunder also, daß Francesco Cossigas Tage vielleicht gar nicht so schnell gezählt sind, wie es scheint. Daß jedenfalls Notbehelfe von der Art des „technischen Vertrauens", wie es jetzt praktiziert wurde, nicht nur eine Folge jener wilden Obstruktion sein müssen, mit der die kleine lautstarke radikale Partei das Anti-terrorismusgesetz im Parlament blockiert hatte. Gerade der Terrorismus ermöglicht eine Solidarität jenseits von Regierungsformeln. Es wäre sonst nicht nur Cossigas Uhr, die abzulaufen droht.

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