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Italienischer Hürdenlauf

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So wechselhaft und trügerisch wie Italiens diesjähriger Sommerhimmel hat sich auch der Schein stabilerer politischer Verhältnisse erwiesen, der manche Auguren bereits frohlocken ließ: Nun sei ganz klar, daß sich das Land auch ohne Kommunisten regieren lasse.

Aber nach kaum drei Wochen schon mußte der Christdemokrat Cossiga unter kommunistischem Druck sein Anfang Juli verordnetes Anti-Inflationsprogramm revidieren und teilweise vertagen.

Seit Mitte letzter Woche mußte er sich selber - als erster Ministerpräsident der italienischen Nachkriegsgeschichte - vor beiden Häusern des Parlaments gegen den Vorwurf des „Geheimnisverrates" und der „Begünstigung in Amt" verteidigen - in der Affäre seines Parteifreundes Donat-Cat-tin, der den Regierungschef aufgesucht hatte, um etwas von seinem Sohn zu erfahren, dessen Name bei Terroristenverhören aufgetaucht war.

Mit 507 gegen 416 Stimmen beschloß zwar das Parlament, die Untersuchung des Falles nicht fortzusetzen, doch 41 Abgeordnete des eigenen Lagers ließen den Regierungschef bei der geheimen Abstimmung im Stich. Dem ebenfalls abgelehnten radikalen Antrag, Cossiga vor dem Verfassungsgerichtshof anzuklagen, schlössen sich die Kommunisten nur im ersten Punkt an -so als ob Cossiga, falls er seinem Parteifreund wirklich ein Amtsgeheimnis preisgegeben hätte, sich nicht auch zugleich der Begünstigung schuldig gemacht hätte.

Den Kommunisten geht es freilich weder um Logik noch um Ehrabschneidung, sondern darum, sich selbst und dem Land zu beweisen, daß ohne ihr aktives Mittun kein stabiles Regieren und kein Krisenmanagement möglich ist.

Dabei hatte Cossiga nach den Juni-Wahlen, die ihn stärkten, das gegenwärtig brennendste Problem des Landes, die auf über 20 Prozent hochgeschnellte Inflation, energisch angepackt. Zwar scheiterte sein allzu kühner Versuch, die „Scala mobile" zu bremsen - jene angenehme und trügerische Rolltreppe, die in Italien alle Löhne und Gehälter vierteljährlich nach oben befördert, genau im Tempo der Inflation, die sie damit zugleich beschleunigt.

Die Gewerkschaften drohten mit Generalstreik, als Cossiga das Tabu dieser Automatik berührte, die Millionen Arbeitnehmern als einziger Schutz gegen die undurchschaubaren Krisenmechanismen erscheint. Auch die Abwertung der Lira, die nicht nur von interessierten Exporteuren als Heilmittel empfohlen wird, konnte sich die Regierung aus ähnlichen Gründen bislang nicht leisten.

So verfiel Cossiga Anfang Juli auf eine kuriose Ersatzlösung: Er dekretierte ein Bündel von Maßnahmen, zu denen neben einer Benzinpreiserhöhung (auf umgerechnet 1,57 Mark) und einer Übernahme betrieblicher Soziallasten durch den Staat vor allem die Bildung eines „Solidaritätsfonds" gehörte. Mit diesem schönen Namen wurde die weniger schöne Überraschung verbrämt, daß alle Arbeitnehmer künftig auf ein halbes Prozent ihres Einkommens verzichten sollten - zugunsten einer Kasse, aus der kranke, vor allem staatliche Betriebe des italienischen Südens und damit auch deren Arbeitsplätze subventioniert werden sollten.

Versüßt wurde die bittere Pille durch ihre Verpackung: Nach fünf Jahren sollten die solidarischen Zwangssparer ihr Geld wiederbekommen - sogar mit Zinsen.

Für eine Regierung, die auf Marktwirtschaft schwört und zugleich von sozialistischer Unterstützung lebt, war dieser Einfall nicht so erstaunlich. Würden ihn aber auch die Gewerkschaften verdauen? Das Uberraschende geschah: Die christdemokratisch und sozialistisch orientierten Verbände (CISL und UIL), aber auch die kommunistische CGIL, die größte Gewerkschaft, waren für die Idee schnell zu gewinnen.

Nicht nur, weil ihnen die Mitbestimmung bei der Verwendung des „Solidaritätsfonds" in Aussicht gestellt wurde, vor allem, weil ihnen durch diese Art Kaufkraftabschöpfung die peinliche Alternative erspart bleibt, die „Scala mobile" antasten zu lassen. Der Schein schien gewahrt.

Eben dies überzeugte den kommunistischen Parteichef Berlinguer nicht, als er die drei Gewerkschaftsvorsitzenden aufsuchte. Energisch stellte er ihnen, auch seinem eigenen Genossen, dem CGIL-Chef Lama, die Gefahr vor Augen, daß ihnen die Arbeiterschaft weglaufen werde. „Wie kann man ihr Opfer zumuten, ohne genau zu wissen, wo und wie ihr Geld verwendet wird?"

Daß die Kommunisten in diesem Sinne gegen das Cossiga-Dekret hemmungslos agitieren würden, selbst auf Kosten der Gewerkschaften - daran ließ Berlinguer keinen Zweifel. Seine Drohung wurde ihm noch dadurch erleichtert, daß sich inzwischen auch im Regierungslager Zweifel an Cossigas Methode regten. Warum ließ er sein Programm nicht im Parlament von den Parteien diskutieren und als Gesetz verabschieden, sondern suchte zuerst den Segen der Gewerkschaften, um es auf dem Verordnungswege durchzuboxen?

„Das ist ein technischer und politischer Fehler; der kommunistische Protest ist berechtigt", so ließ sich sogar der konservative Fraktionsvorsitzende der Christdemokraten, Gerardo Bi-anco, vernehmen.

Es dauerte kaum drei Tage nach Ber-linguers Einspruch, bis sich die leicht geknickten Gewerkschaftsführer zu Cossiga begaben, um ihm einzugestehen, daß sie bei all ihrer Macht nicht mächtig genug seien, dem Regierungschef den Sprung über parlamentarische Hürden zu ersparen oder ihm gar als Widerpart gegen die zweitgrößte Partei, die kommunistische, zu dienen.

Tags darauf schon mußte Cossiga dann kleinlaut den Rückzug antreten -einen geordneten zwar, doch mit allen Anzeichen jenej politisch-bürokratischen Vertracktheit, die Italiens Versuche, seiner Krise zu entkommen, so oft ins Groteske verzerrt.

Das umstrittene Dekret, noch eben als Stein der Weisen bewundert, wird nämlich nicht einfach aufgehoben; dafür wäre das Staatsoberhaupt, auf Würde bedacht, nicht zu haben. Man läßt das Dekret nur verfallen - was verfassungsmäßig erst nach zwei Monaten geschieht, wenn es vorher nicht in ein Gesetz umgewandelt wird. Das halbe Prozent, das deshalb im Juli und August in den Lohntüten der Italiener fehlen wird, bekommen sie im Herbst zurück - vorläufig. Dann nämlich soll ein „richtiges" Gesetz zum gleichen Zweck entstehen - diesmal mit Hilfe der Kommunisten.

Denn „im Prinzip" haben sie ja gar nichts dagegen, wie ihr Parteiorgan „Unita" versicherte. Schließlich hatten sie vorletzte Woche auch für die Polizeireform gestimmt, und sie wollten letzte Woche Cossiga nicht unbedingt über die Affäre seines Parteifreundes Donat-Cattin stürzen lassen. Sie wollen, sotange sie mit sich selber nicht ganz im reinen sind, das Land nur daran erinnern, daß es mit Mühe ohne sie, gewiß aber nicht gegen sie regierbar ist.

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