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Ein Moralist im Quirinal

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Mag sein, daß die Italiener dem mustergültigen Moralisten in der Politik oft die „furbi” vorziehen - die Schlauen und Verschlagenen —, „um sich dann über eben diese zu beklagen”. So meinte einst etwas melancholisch Francesco Cossiga. Aber dieser Christdemokrat, der nun, so schnell und einmütig wie nie zuvor in der italienischen Nachkriegsgeschichte, zum Staatsoberhaupt gewählt wurde, entspricht solcher Volksmeinung so wenig wie der Sozialist Sandro Pertini, den er ablöst.

Gewiß, hätten nicht tausend Parlamentarier aller Parteien, sondern deren Wähler abstimmen können, dann wäre Pertini trotz seiner fast 89 Jahre und mancher (nicht nur dadurch bedingten) verzeihlichen Schwächen wohl Präsident geblieben.

Die Bürger liebten den alten Herrn nicht nur, weil er stets unter die Leute ging und ihnen „aufs Maul schaute”, ohne ihnen nach dem Mund zu reden. Sie verehrten ihn auch, weil er sich nicht in die Schablonen der Politikerkaste einfügte, ihr sogar manchen Schabernack spielte („furbo” auf seine Weise) und doch großen politischen Stil überzeugend verkörperte.

Konnte der würdige Nachfolger eines solchen Präsidenten aus dem üblichen Machtspiel der Parteien, aus ihren internen Eifersüchteleien hervorgehen?

Unter den christdemokratischen „Patriarchen” bot sich mancher Name an. Der Sozialist Bettino Craxi, brennend interessiert, noch möglichst lange Regierungschef der Fünfer-Koalition zu bleiben, konnte nicht sehr wählerisch sein. Er hätte nur gern die Kommunisten, die er ebenso formal wie die Neof aschisten konsultierte, aus dem Spiel gelassen.

Der christdemokratische Parteichef de Mita jedoch riskierte es gegen alle Landessitten, mit un-verdeckten Karten zu spielen: Wenn schon der Präsident der Republik laut Verfassung „die Einheit der Nation repräsentiert”, dann müsse man ganz offen die Zustimmung der zweitgrößten Verfassungspartei, der KPI, gewinnen, ohne dabei der Versuchung zu „historischen Kompromissen” zu erliegen. KPI-Chef Natta, angeschlagen von zwei Wahlniederlagen, stimmte zu.

Cossiga wurde in Sassari auf Sardinien 1928 in einer jener Honoratiorenfamilien geboren, die stets miteinander verschwägert und verbunden waren, auch wenn die einen zuweilen Freimaurer oder Kommunisten wurden, die anderen Liberale oder Katholiken blieben. Das förderte die Toleranz, bei aller Grundsatztreue und manchmal sturen Korrektheit, die man den Sarden nachsagt.

Cossigas politischer Weg war weniger durch die Partei vorgezeichnet, für die er sich schon als katholischer Jugendaktivist ganz selbstverständlich entschieden hatte, als vielmehr durch wissenschaftliches Interesse an Staat und Recht.

Als Student so eifrig wie als Klassenprimus im Gymnasium und als Ministrant am Altar, schaffte Cossiga bereits als 20jäh-riger den juristischen Doktor, mit 28 dozierte er Verfassungsrecht in Sassari, mit 30 saß der Professor im Römischen Parlament und wurde - als fachkundiger Zeuge allzu häufiger Regierungskrisen und bürokratischer Hemmnisse — immer mehr zum Fürsprecher institutioneller Reformen:

„Unsere Verfassung ist in manchen Teilen überholt”, sagte er und meinte vor allem das Zwei-Kammer-System, das in Italien den Gesetzgebungsmechanismus umständlich verdoppelt, aber auch die langwierig arbeitende Justiz und nicht zuletzt die unter dem eigenen traditionellen Gewicht ächzende Exekutive.

Seit 1976 Innenminister in der Regierung Aldo Moros, dann in den von den Kommunisten mitgetragenen Kabinetten Andreottis, bekam Francesco Cossiga freilich zu spüren, was die Praxis von der Theorie unterscheidet. Leicht ließ sich zwar die intellektuelle Distanz von den innerparteilichen Richtungskämpfen der Democra-zia Cristiana wahren — zumal Cossiga dabei in Moro einen politischen Lehrmeister fand, dem sogar der Brückenschlag zu den Kommunisten gelang, ohne daß er sich wirklich mit ihnen einließ.

Schwierig wurde es jedoch, als die Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwesen in einen dramatischen Konflikt mit christlich verstandener Freundespflicht geriet.

Kämpfer gegen Terroristen

Im Kampf gegen die Terroristen, den er mit Härte und - auch privat an Elektronik interessiert - mit modernsten Mitteln aufnahm, ließ er zunächst starke Worte vernehmen: „Von jetzt an wird der Staat jedem, der ihn mit Waffen angreift, auf gleiche Weise antworten. Es wird nicht mehr hingenommen, daß die Bauernsöhne des Südens (aus denen sich Italiens Polizei vorwiegend rekrutiert) von den Sprößlingen der römischen Bourgeoisie umgebracht werden.”

Dann, als Moro entführt und am 9. Mai 1978 ermordet wurde, erlitt Cossiga den größten Schock seines Lebens. Noch am gleichen Tag tat er, wozu sich vorher noch nie ein Minister Italiens entschlossen hatte, ohne in einen Skandal verwickelt zu sein: Er trat zurück.

Moro hatte ihn brieflich angefleht, nicht „einem abstrakten Prinzip der Legalität” zu gehorchen, sondern für Austauschverhandlungen mit den Rotbrigadi-sten einzutreten. Plötzlich hatte Cossiga erkennen müssen, was so viele politische Macher verdrängen, wenn sie an die Grenze des Machbaren und ins äußerste moralische Dilemma geraten: ihre Ohnmacht.

Diese hatte Cossiga weder die Befreiung des Freundes noch das Opfer der Staatsräson erlaubt. „Betrachtet mich von heute an als politisch tot”, sagte er damals. Niemand, der den um viele Jahre Gealterten und plötzlich Ergrauten sah, verstand es als bloße Phrase.

Nachdenklicher, spürbar gereift und ausgleichend, verschaffte Cossiga sich zuletzt als Präsident des Senats Ansehen bei allen Parteien. Jetzt, als Staatsoberhaupt könnten von ihm noch eigenwilligere politische Impulse aus dem Quirinalpalast ausgehen als von Pertini. Als Verfassungsjurist kennt Cossiga jedoch genau die Grenzen diesest^mtes. Es wird ihn nur dazu anregen, jenes Maß innenpolitischer Solidarität zu fördern, ohne die Italiens Demokratie weder stabil noch lebensfähig sein kann.

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