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Hält Scelba den Schlüssel?

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Tritt der, IX. Kpngreß der führenden Partei Italiens, def Demo- crazia Cristianä; doch noeh zusam men (aber in der Konfusion des Augenblicks gibt es keine absolute Gewißheit dafür), dann ist der einstige Innenminister und Ministerpräsident Mario S c e 1 b a als einziger unter den Notabein der Partei in der angenehmen Lage, sagen zu können, daß er alles vorausgesehen und alles vorausgesagt habe, die Schwierigkeiten, die die „Linksöffnung” zu den Nenni-Sozialisten mit sich bringen werde, die Verschlechterung und nicht die Besserung der politischen Situation, die ernsten wirtschaftlichen Rückwirkungen. Scelba ist einer der Proponenten der dem Kongreß eingereieh- ten vier Anträge, und der seinige ist der einzige, der mit offenem Visier die „Linksöffnung” bekämpft. Sein „Centrismo Popolare” ist auch die einzige der vier konkurrierenden Strömungen, die noch unter der alten Bezeichnung auftritt. Dęnn .Mario Scelba kųąf. njfihts. zu revidieren und nichts .zurückzunehmen. Ąls, . Parteisekretär . Aldo, Moro und Ministerpräsident Amintore Fanfani auf dem Kongreß in Neapel im Januar 1962 den neuen Linkskurs verkündeten, hat sich Scelba, obwohl auf verlorenem Posten stehend, ihnen mit der dem sizilianischen Advokaten zur Verfügung stehenden Beredsamkeit, aber auch in so echter Besorgnis um die Partei entgegengestellt, daß ihn am Ende der Rede die politischen Gegner mit Tränen in den Augen umarmten.

Kein „Heckenschütze”

Der bis an die Halsstarrigkeit heranreichenden Linientreue, so unerwartet bei einem echten Sohn der heißen sizilianischen Erde, steht eine ebenso bis zum Äußersten gehende Loyalität gegenüber seiner Partei zur Seite. Obwohl unbedingter Gegner der Zusammenarbeit mit den Linkssozialisten, hat er der .Regierung Fanfanis und dann Moros „Heckenschützen” aus der De, die mit ihrem Votum gegen die Budgetvorlage in der Kammer auf den Sturz Moros hinarbeiten, auf der Seite seiner Anhänger zu suchen sind. Die dritte Tugend Scelbas ist seine unbeirrbare demokratische Haltung, verbunden mit großem persönlichen Mut. Es sind das alles Eigenschaften, die in solcher Vereinigung nicht leicht bei Süditalienern angetroffen werden. Und dennoch ist Scelba Sizilianer bis ins Mark. Er wurde 1901 in dem Städtchen Caltagirone geboren, wie der Begründer der ersten katholischen Partei Italiens, der Priester und Kämpfer gegen den Faschismus, Don Luigi Sturzo, dessen Sekretär und Mitarbeiter er war und mit dem er ein äußerliches Merkmal gemeinsam hatte, die Hettiternase von weiß Gott welchen phöniki- schen, arabischen, orientalischen Vorvätern her. Der kleine Mann mit dem gemütlichen Embonpoint, dem Kahlkopf und den winzigen, stechenden Augen hat den politischen Karikaturisten die Arbeit leicht gemacht.

Gehaßt von Kommunisten und Faschisten

Caltagirone: 76 Kilometer landeinwärts von Catania, Post- und Telegraphenamt, Gemeindearzt, öffentliche Waage, Bischofssitz, Jolly-Hotel, 41.000 Einwohner. Nicht viel mehr ist aus dem Amtskalender über den Geburtsort Scelbas herauszulesen. Von dort kam der „starke Mann” De Gasperis. Erst Postminister unter Parri und dann De Gasperi, übernahm er das Innenministerium in sieben aufeinanderfolgenden Regierungen. Als im Mai 1947 plötzlich die Polizisten in Rom in funkelnagelneuen weißen Sommeruniformen auf den Straßen erschienen, wurde in der Bevölkerung ein großes Aufatmen spürbar: vorbei der Nachkrieg mit seiner Verwirrung, der Unordnung, der Unsicherheit, dem Schwarzmarkt, den improvisierten Verkehrsmitteln. Der weiße Tropenhelm symbolisierte die Rückkehr zu geordneten Verhältnissen, zur demokratischen Freiheit. Auf die weißen Uniformen folgten aber bald die Wagen der Bereitschaftspolizei, der „Celere”, mit heulenden Sirenen und Wasserspritzen, die gepanzerten Autos, die moderne Ausstattung der Agenten der Pubblica Sicurezza. Straßen und Plätze waren nicht mehr Ubungs- gelände kommunistischer Aktivisten und faschistischer Rowdies. Auf den Fabriksmauern erschienen mit Teer hingeschmierte Worte: „M Scelba”, auf deutsch „Tod für Scelba”. Doch der unbeugsame Innenminister ließ sich nicht einschüchtern. Er wurde zum Urheber eines Gesetzes zum Schutze der demokratischen Ordnung, das sich in gleicher Weise gegen Kommunisten wie gegen die Faschisten anwenden ließ. „Ich bin nicht Antifaschist oder Antikommunist aus Prinzip”, hat er einmal erklärt, „ich bin Demokrat und folglich Antifaschist und Antikommunist.”

Weil er Demokrat ist, respektiert er die demokratischen Freiheiten. Unter der Regierung Tambroni hatte das neofaschistische „Movimento Sociale Italiano” den Kongreß nach Genua einberufen. Aber die extremen Linksparteien organisierten wilde Kundgebungen und stießen Drohungen aus, daß der damalige Innenminister Spataro den Kongreß untersagte. Ein Jahr später war Scelba in der Regierung, und der MSI wollte den Kongreß in Modena abhalten, einer der „rötesten” Städte Italiens. Es kam wieder zu Protesten und Drohungen. Doch Scelba war der Ansicht, daß keiner zugelassenen Partei verwehrt werden könne, sich zu versammeln. Die Faschisten wurden unter sicherem Geleit in die Stadt gebracht, sie saßen in den Wagen der „Celere”, umgeben von bis an die Zähne bewaffneten Polizeitruppen. Sie hielten ihre Versammlung ab, während ein enormes Aufgebot von Polizisten in Stahlhelm und Kriegsausrüstung die Bevölkerung in weiter Distanz hielt. Der Anblick war so komisch, daß auch die Kommunisten auf jede weitere Aktion verzichteten.

Der Mann des „Quadripartito”

Nach dem Sturz De Gasperis und der kurzen Regierung Pella wurde Scelba 1954 Ministerpräsident. Seine Regierung gehörte zu den,.längsten,,-, die, in Italien zu verzeichnensind. . Auf sie gehen Reformen zurück wie das Schulbauprogramm und der erste jemals in Italien unternommene Versuch, die Aktiengewinne zu kontrollieren und zu besteuern, eine ungeheuerliche Herausforderung der Neokapitalisten, die sie jedoch hinnahmen, ohne die Börse in Unordnung zu bringen wie später nach den Nationalisierungen Fanfanis. Mario Scelba ist’ allerdings auch der einzige Ministerpräsident Italiens gewesen, der sich eine eigene Residenz eingerichtet hat, in der dem Staat gehörenden Villa Madama an den Abhängen des Monte Mario. Vielleicht war es dieser fürstliche Sitz, der die eigenen Parteifreunde verärgerte. Es sprach dies für eine Sicherheit der Position des Regierungschefs, die ihm einfach nicht zukam. Gestürzt wurde Scelba jedoch wegen der Frage der landwirtschaftlichen Pachtverträge, in der Christlichdemokraten, Sozialdemokraten und Republikaner verschiedener Meinung waren. Sobald Scelba entfernt war, wurde auch die Frage sofort und prompt vergessen. Sie ist erst jetzt wieder, in veränderter Gestalt, aufgetaucht.

Mit der Auflösung des „Quadripartito”, der Vierparteienregierung, ist Scelbas Einfluß gesunken. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen tauchte sein Name vorübergehend als möglicher Kandidat für die Präsidentschaft der Republik auf, was zeigt, daß sein Prestige unverändert war. Mit Fanfani war er wieder Innenminister, und auf seine vernünftige Initiative, auch im Gegensatz zu den Diplomaten des Außenministeriums, geht die Einrichtung der Studienkommission für Südtirol zurück; heute sind deren Ergebnisse die einzige Grundlage der Verhandlungen mit Österreich. Dann aber kam das „Centro sinistra”, die Linksöffnung, und Scelba zog sich in den Schmollwinkel zurück.

Auf den Positionen De Gasperis

„Centrismo Popolare” ist zu Unrecht auf den rechten Parteiflügel gedrängt. Er iot eine Richtung des Zentrums, aber dem Volk zugewandt, wie das Beiwort „popolare” ausdrücken will. Nichts von Kon- gervatlon oder Reaktion haftet ihm an. Die Sache verhält sich anders: Wenn De Gasperi einmal erklärt hat, die Democrazia Cristiana sei eine Zentrumspartei, die sich nach links bewege, dann hat Scelba die Bewegung nicht mitgemacht, sondern ist auf den Positionen De Gasperis verblieben. Bei den Vorkongressen für den IX. Kongreß der Christlichdemokratischen Partei hat seine Richtung nur 10,60 v. H. der Mandate erlangt. Das würde bei den 674 Delegierten nur 70 Scelbia- ner ergeben, gegenüber den 48,59 v. H. der Mehrheitsgruppe Moros und des Parteisekretärs Rumor, zu der die alten und jüngeren Nota- beln gehören, Colombo, Pella, Andreotti, Sullo, Bonomi, den 20,82 v. H. der Anhänger Fanfanis und den 19,99 v. H. der an die Linksgruppe gefallenen Mandate. Doch darf man annehmen, daß Scelba bei der Auszählung der Stimmen auf dem Kongreß mehr finden wird, als ihm eigentlich zukämen. Es wäre nicht das erstemal, daß Delegierte im Geheimnis der Urne lieber der

Stimme des Herzens folgen als den Anweisungen der Gruppe, der sie — aus welchem Grund immer — angehören.

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