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Josef im Brunnen

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Italiens Außenminister Amintore Fanfani hat demissioniert, weil ein ihm eng verbundener Freund, der Professor Giorgio La Pira, vor einer Journalistin politische Meinungen vertreten hat, die absolut im Gegensatz stehen zu der offiziellen italienischen Regierungspolitik und jener der westlichen Verbündeten. Aber auch die peinliche Tatsache, daß die inkriminierbaren Äußerungen im Hause Fanfanis gemacht wurden, allerdings in Abwesenheit des Hausherrn, der zu dem Zeitpunkt noch in New York beim Kofferpacken war, erklärt noch nicht Fanfanis Reaktion — in einer Zeit, da Ministerrücktritte aus politischem Takt und moralischer Sensibilität zu den größten Raritäten gehören.

In Wirklichkeit war der Rücktritt des Außenministers nicht unproportioniert. Über Fanfanis Demission freuen sich heute viele wie über ein edles Wild, das zur Strecke gebracht worden ist. Viele andere hätten es jedoch vorgezogen, der Außenminister würde seinen Beschluß zurückgezogen haben. „Vierzig Millionen Gewehre sind gegen mich gerichtet”, hatte Fanfani noch den Mut zu scherzen, bevor er sich zur Kontemplation in die Gegend von Arezzo zurückzog, wie er es in Zeiten seelischer Unruhe zu tun pflegt. Ministerpräsident Aldo Moro, die Verantwortlichen der Democrazia Cristiana und der Koalition versuchten noch zu beschwichtigen, um nicht den Fährnissen einer Kabinettskrise begegnen zu müssen, von der man weiß, wie sie beginnt, aber nicht, wie sie endet. Doch Fanfani blieb bei seinem Entschluß.

Eine politische Freundschaft

Der Rücktritt wird in mehreren Zusammenhängen verständlich: einmal wegen des besonderen, gewiß, exzeptionellen Verhältnisses, das Fanfani an den 62jährigen, aus der sizilianischen Provinz Ragusa stammenden Wahlflorentiner La Pira bindet, und zweitens wegen der Vorgeschichte der merkwürdigen Friedensmission des katholischen Universitätsprofessors La Pira in Hanoi. Dann endlich wegen der Rolle, die Fanfani in der politischen Situation seines eigenen Landes spielt. La Pira ist für Fanfani nicht nur ein ihm eng verbundener Freund, sondern auch sein Mentor, sein Inspirator, und mehr als eine Aktion und Initiative Fanfanis ist dem Kopf La Piras entsprungen, wie zum Beispiel die Idee, bei den letzten Präsidentschaftswahlen als Kandidat aufzutreten, um sich in offenem Gegensatz mit der eigenen Partei durch die Kommunisten und Neofaschisten wählen zu lassen. Die italienische Öffentlichkeit ist jedenfalls überwiegend der Meinung, Fanfanis politisehe Ansichten deckten sich weitgehend mit jenen La Piras.

Wenn Fanfani die in seinem Haus gefallenen Wertungen als „unrecht und unbegründet” bezeichnet, so blieb ihm auch keine andere Formulierung übrig. Wahrscheinlich urteilt er selbst nicht oberflächlich, töricht und anmaßend wie La Pira über Moro, Nenni, Rusk, Johnson und auch über Paul VI., aber darauf kommt es auch weniger an. Bedenklich ist das politische Weltbild La Piras: das Bild von einem zerfallenden Kommunismus und Atheismus, die eigentlich gar nicht mehr existieren, von einem friedliebenden, wehrlosen („acht Millionen Fahrräder und ein Atom- bömbchen”) und handelsbereiten China, dem der Westen mit seinem Verteidigungsbündnissen und -Systemen begegnet: das Bild von Don Camillo und Peppone, mit seiner ganzen gefährlichen Falschheit auf die politische Weltbühne transponiert.

Wer bezahlt La Piras Reisen?

Universitätsprofessor La Pira war es gewesen, der, miit dem oben geschilderten Gepäck politischer Auffassungen ausgerüstet, in Hanoi bei Ho Chi Minh vermittelt hat. Heute besteht keine Unklarheit mehr darüber, daß der nordvietnamesische Staatschef ihm genau die gleichen Dinge gesagt hat, die er allen an- I deren Vermittlern sagte, nämlich: Erst müssen die Amerikaner raus, dann werden wir sehen. Ho Chi Minh hat selbst erklärt, La Pira habe genau das Gegenteil von dem verstanden, was er ihm gesagt hatte. Aber selbst wenn man bei dem Vietnamesen geistige Vorbehalte annimmt, will es die Logik nicht fassen, daß sich Ho Chi Minh gerade La Piras Vermittlung hätte bedienen wollen, da er sich ganz anderer, diskreterer und weniger fragwürdigerer Kanäle bedienen kann. Eine bisher aber noch ungeklärte Sache ist: Wer bezahlt La Piras Reisen von Kuba bis Warschau, von Algier bis Hanoi?

Jedenfalls kommt das Reisegeld nicht aus seiner eigenen Tasche, in der sich, das kann zu La Piras Lob gesagt werden, kein löchriger Heller befindet. Ein kurzes Gespräch zwischen Rusk und dem Vorsitzenden der Generalversammlung der UNO, Fanfani, hat dem amerikanischen Staatssekretär gezeigt, daß La Pira Visionen gehabt hatte und die Situation in Vietnam unverändert ist. Er würde sich auch nicht damit abgegeben haben, wenn Fanfani nicht die Sache mit seinem Prestige gedeckt und für sie gutgestanden wäre. Washington ließ die ganze Angelegenheit mit eleganter Rücksicht beiseite und auch in Fanfanis Heimat, in Italien, schwieg Aldo Moro über die Blamage seines Parteifreundes. Nur die Kommunisten versuchten La Pira zu akkreditieren, obwohl sie bestätigen mußten, daß Hanois Bedingungen immer die gleichen seien.

„Sprungbrett” UNO

Der Vorsitzende der Generalversammlung der UNO wird jeweils auf ein Jahr gewählt, und wenn der Posten auch die Anerkennung persönlichen Prestiges bedeutet, so ist die Aufgabe des Vorsitzenden doch sehr beschränkt; er ist ein Moderator ohne besonderen Einfluß. Aber Fanfani müßte nicht der sein, der er ist, ambitioniert, ideenreich und phantasievoll, wenn er nicht sofort versucht hätte, aus dem Posten des UNO-Vor- sitzenden eine breite politische Plattform zu machen, Initiativen zu ergreifen, Dinge in Bewegung zu bringen, die ihm Bewunderung und Italien Autorität gewinnen. So hat sich das Wunschdenken mit dem Einfluß La Piras bei ihm addiert, wo es der Berechnung eines kühl abwägenden Geistes bedurft hätte. Es gibt aber noch eine andere Meinung: Daß Fanfanis Reinfall auf seine krampfhafte Suche nach Prestigegewinn in Italien zurückzuführen sei. Wie wäre er dagestanden, wenn er hätte sagen können: „Seht her, den Frieden in Vietnam und vielleicht in der Welt habe ich mit meinem Freund La Pira hergestellt.” Leider liegen aber die Dinge anders und eine neue innenpolitische Schlappe kommt zu anderen in der letzten Zeit erlittenen hinzu. Da ist seine taktisch völlig verfehlte Aktion gegen die Koalition der linken Mitte durch das Interview im „Espresso”: Fanfani setzte sich im Nachhinein von dem Votum der italienischen Delegation bei den UNO gegen die Aufnahme Chinas ab. Damit hoffte er die Sozialisten in Verlegenheit zu bringen, die auch gegen ein solches Votum gewesen waren, aber sich der Disziplin des Mehrheitsbeschlusses im Kabinett unterworfen hatten. Doch Fanfanis Position war durch die monatelange Abwesenheit aus Italien geschwächt, und Moro hatte keine Mühe, den Pfeil abzuwehren.

„Die Freiheit gewählt”

Es gibt Leute, die sogar die Episode der Äußerungen La Piras im Hause Fanfani, wo Frau Bianca Rosa Fanfani die Begegnung mit der angeführten Journalistin bewerkstelligt hat, auf ein Ränkespiel des demissionierten Außenministers zurückführen. Aber so macchiavellistisch denkt und handelt Fanfani sicherlich nicht, daß er seinen Freund bloßstellen und seine eigene Gemahlin hineinziehen würde. Der weitere Unfall hat ihm nur gezeigt, daß seine Stellung derartig kompromittiert ist, daß die Partie mit Moro besser aufgegeben wird, um eine Revanche nehmen zu können. Fanfani ist nur widerwillig in die Regierung Moro eingetreten und hat es vermieden, sich mehr als notwendig mit ihr zu identifizieren. Mit seinem Austritt aus der Regierung Moro hat er „die Freiheit gewählt” und es hat ein großes Rätselraten darüber begonnen, wie er sie benützen wird. Die grotesken Umstände seines demon- stratiten Rücktritts sind seinem Vorhaben jedoch sicherlich nicht günstig.

Welches Vorhabens? Konnte Fanfani wirklich meinen, La Piras Plan realisieren zu können? „Fanfani gleicht dem Juden Joseph”, hatte er gesagt, „man hat ihn verflogt, gefangen, auf den Grund eines Brunnens geworfen. Man hat ihn aber nicht getötet, und Joseph kam aus dem Brunnen hervor und wurde ein großer Minister des Pharao und gab Ägypten Frieden und Größe. So ist Fanfani: man hat ihn kritisiert, sie bekämpfen ihn, aber dann wird er hervorkommen aus dem Brunnen …” … um was zu tun? La Pira meint, daß eine einfarbige (christlichdemokratische) Regierung Fanfani die Unterstützung der Neofaschisten und Kommunisten finden würde! Ist der ehemalige Außenminister der gleichen Meinung? Fast möchte man es glauben, denn in der KP gibt es eine Richtung, die eine Regierung mit Fanfani an der Spitze nicht ablehnen würde. Seit Togliattis Tod ist Italiens Kommunistenpartei ideologisch dermaßen desorientiert, daß ihr die gewagtesten Kompromisse zuzumuten sind. Der Rechten macht Fanfani selbst schöne Augen, sobald sich ihm die Gelegenheit bietet. Es ist die Frage, ob die ganze Friedensdnitia- tive La Pira-Fanfani nicht auch dem Bestreben entsprang, die Geneigtheit der Kommunisten zu einem Kompromiß zu erhöhen?

Fragen ohne Antwort

Das sind beunruhigende Fragen, die sich heute die Regierungsparteien stellen und in erster Linie die Christlichdemokraten. Die Situation in der Partei ist nicht so, der Zusammenhalt ist nicht so fest, daß man die Fanfanianer missen möchte. Es war Moros und des Parteisekretärs Rumor Plan, der Regierung und der Partei größere Festigkeit zu geben, indem man Vertreter aller Strömungen ins Kabinett nahm. Auf diesen Plan wird man nicht gern verzichten wollen, und so sind neue Versuche, Fanfani wiederzugewinnen, nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern wahrscheinlich. Wann? Im Jänner sind einige Stichtage fällig: der Parteikongreß der Sozialdemokraten, der Nationalrat der DC, anschließend die „Überprüfung der Mehrheit”, das heißt, die gelenkte, kontrollierte Kabinettskrise, aus der eine verjüngte und von einigen dürren Ästen befreite Regierung Moro-Nenni hervorgehen soll. Mit Fanfani?

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