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Zauberformel: „Konvergenz“

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Die demokratische Ordnung Italiens wird heute durch die Parteien des Zentrums garantiert, durch Christlichdemokraten, Liberale, Sozialdemokraten und Republikaner. Ihre Grundlage ist breit genug, um diese Ordnung zu sichern, sie reicht sogar aus, die soziale Entwicklung zu fördern, obwohl das Reformwerk leichter fiele, wenn stärkere Kräfte dahinter stünden; die Basis ist aber keineswegs breit genug, um in aller Ruhe in die Zukunft blicken zu können. Im Gegenteil. Der Bodengewinn der extremen Linken hält unvermindert an, und der Zeitpunkt, an dem sich der Schwerpunkt vom demokratischen Zentrum auf die Seite eines im Zeichen des totalitären Bolschewismus stehenden Linksextremismus verlagern wird, ist, wenn schon nicht politisch, doch zumindest arithmetisch leicht vorauszusehen: bei den Provinzial wählen im Jahre 1956 erhielt die äußerste Linke (Linkssozialisten und Kommunisten) 35,1 Prozent der Wählerstimmen, bei den politischen Wahlen 1958 37,7 Prozent, bei den Provinzialwahlen am vergangenen 6. November 38,9 Prozent!

Dies ist die harte Sprache der Zahlen, die nackte Realität der Tatsachen, und alles übrige ist rhetorischer Leerlauf. Die Gründe für den Vormarsch der Kommunisten — denn auf ihr Konto kommt der Bodengewinn vor allem — sind vielfältig und nicht leicht erfaßbar: die soziale Gesellschaft Italiens ist tiefgreifenden Veränderungen unterworfen, es wickeln sich umfassende Binnenwanderungen ab, ein sozialer Flüchtlingsstrom ergießt sich unaufhaltsam in die Großstädte, die Emanzipierung der Frau hat nunmehr die ganze lange Front von Arbeit und Beruf erfaßt, die Welt der Jugend ist verändert und wendet sich neuen Orientierungen zu.

Eine breitere Plattform für die Demokratie

Unter solchen Umständen ist es klar, daß die Frage nach den Möglichkeiten, die demokratische Basis zu verbreitern, immer eindringlicher und angstvoller gestellt wird. Vor allem dort, wo die größten Verantwortlichkeiten sind, in den Parteisekretariaten der Zentrumsparteien und bei der Regierung. Der in der vergangenen Woche in Rom zusammengetretene Nationalrat der Democrazia Cristiana stand im Zeichen dieses Grundproblems der italienischen Innenpolitik.

Die Chance der Demokratie liegt heute ausschließlich — der unfruchtbare Antikommunismus der äußersten Rechten ist eher ein Hemmnis — in der Differenziertheit des Linksblocks. Dfe Linkssozialisten vom Jahre 1961 sind nicht mehr die des Jahres 1948, als nach ihres Führers Pietro Nenni eigenem Ausspruch die Verschiedenheit der Wahllisten nur noch taktischen Gründen entsprang und keine programmatische Begründung hatte. Nenni, der damals den Kommunismus als die Partei der Zukunft betrachtete, hat inzwischen seinen Standpunkt revidiert. Heute steht er an der Spitze von autonomistischen Gärungen innerhalb seiner Partei, mit der Absicht, die sterile Gemeinsamkeit mit den Kommunisten zu lösen und sich in die aktive Politik einzuschalten. An der Aufrichtigkeit des Willens Nennis, sich dem demokratischen Lager zuzuwenden, wird eigentlich von niemandem mehr Zweifel erhoben, auch die Notwendigkeit der Verbreiterung des demokratischen Lagers wird allgemein als unumgänglich betrachtet. Die Meinungen gehen, wie die dreitägige Diskussion im Parteiparlament der DC gezeigt hat, erst dort auseinander, wo es um die Methode geht. Für die einen ist die vorausgehende vollkommene und polemische Loslösung von den Kommunisten die Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit den Linkssozialisten, die anderen wieder wären bereit, Nenni und den Seinen einen Kredit einzuräumen, um den Prozeß der Demokratisierung zu erleichtern; für die einen ist die erreichte Konvergenz der demokratischen Parteien, auf der die Regierung Fanfanis beruht, viel zu kostbar, als daß sie durch unvorsichtige Annäherung an Nenni aufs Spiel gesetzt werden dürfe, die anderen wieder sehen in der Gewinnung der Linkssozialisten eine historische Aufgabe, der sich eine zeitlich so beschränkte Situation wie die Regierung Fanfani unterordnen müsse; für die einen ist die in einigen Provinzhauptstädten und Provinzverwaltungenauf genommene Zusammenarbeit mit den Nenni-Sozia- listefi ein' der lokalen Notwendigkeit entsprungenes und auf den rein administrativen Sektor beschränktes Faktum ohne weitere politische Schlußfolgerungen, für die anderen wieder ist sie eine erste Erprobung der Möglichkeiten einer weitergespannten, schließlich auf die nationale Ebene ausgedehnten gemeinsamen Politik.

In der Erwartung vorteilhafterer Entwicklungen bleibt für die DC nichts anderes zu tun übrig, als sich mit dem Erreichten zu begnügen, mit der Regierung Fanfani und der „Konvergenz“ der demokratischen Parteien, die ihre beste Garantie darin findet, daß niemand etwas Besseres an ihrer Stelle vorzuschlagen hat. Der Ausdruck „Konvergenz“ ist eine neue glückliche Prägung für eine Bündnisart, die sonst schwierig zu umschreiben ist. Es handelt sich um keine Koalition, denn der DC ist die Regierungsverantwortung allein überlassen worden, es ist auch keine wirkliche Allianz, denn jede der teilnehmenden Parteien bleibt in ihren programmatischen Forderungen und Prinzipien völlig frei. Es ist eine einfache Willenskundgebung der „konvergierenden“ Parteien, die Demokratie Italiens nicht vor die Hunde gehen zu lassen, wie sie in der kurzen, der DC und dem Lande aufgedrängten Regierung Fernando Tambronis im vergangenen Sommer beinahe vor die Hunde gegangen wäre. Und dieser Zweck sei wichtig genug, um sich so weit zu verständigen, daß auch die Durchführung einiger großer Reformwerke und wichtiger Gesetze möglich wird. Die konvergierenden Christlichdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen und Republikaner haben derzeit vier Aufbaupläne laufen, die innerhalb von zehn Jahren viertausend Milliarden Lire für Schule, Straßen,

Landwirtschaft und Mezzogiorno freimachen sollen. Das Einverständnis unter diesen Parteien zu pflegen, ist auch Fanfanis Wunsch. Der „Geist der Revision“, den er in einer in Rapallo gehaltenen Rede beschworen hat, bedeute nicht, wie er im Nationalrat der DC erläuterte, Revision der Prinzipien, sondern nur Revision der Methoden. Seinem Wunsch würde es entsprechen, wenn auch die Liberalen, die der Verbreiterung der Basis nach links am mißtrauischesten gegenüberstehen, die historische Perspektive erkennen und bei ihrer Verwirklichung mittäten, was auch zur Stärkung der Einigkeit unter den Demokraten beitrüge. Die Politik der Konvergenz sei zweifellos die schwierigste von allen, und sie erfordere Opfer von allen: Schweigen und Verzicht vom Ministerpräsidenten, die Abnützung als alleinige Regierungspartei von der DC, von den übrigen die Unterstützung einer Regierung, die nicht die ihrige ist. Aber das alles sei ein geringer Preis für die Freiheit Italiens.

Die Wandlungen Gronchis

Die Linie Moro-Fanfani hat die Approbierung seitens der großen Mehrheit der Mitglieder des Parteiparlaments gefunden. Widersacher waren wenige Exponenten des rechten Flügels, vor allem Tambroni, der eine weitere Alternative ins Spiel bringen wollte: Auflösung der Kammern und Neuwahlen. In ihren Gegenargumenten haben Moro und Fanfani sich darauf beschränkt, darauf zu verweisen, daß Wahlen nicht immer eine Lösung der Schwierigkeiten bringen. Unausgesprochen blieb ein anderes

Argument, das in Tambronis, wie in den Köpfen der anderen, verborgen blieb: die Einigkeit unter den konvergierenden Parteien, die verhältnismäßige Sanftmut der Liberalen, hat noch eine weitere Wurzel, nämlich den gleichen Willen, eine Regierungskrise vor dem November unter allen Umständen zu vermeiden, um nicht, dem Staatspräsidenten Gronchi Gelegenheit zu geben, nochmals die Fäden der Politik in die Hand zu nehmen und sie nach seinen eigenen Absichten zu verknüpfen. Nach dem November hat Gronchi keine Möglichkeit mehr, die Kammern aufzulösen, da im Mai 1962 die Präsidentschaftswahlen fällig sind. Gronchi möchte wiedergewählt werden, die demokratischen Parteien des Zentrums wollen seine Wiederwahl nach Möglichkeit verhindern. Diese Haltung ist das Ergebnis einer merkwürdigen Wandlung, die Gronchis politische Persönlichkeit während seiner Amtszeit durchgemacht hat: als „aktiver Katholik“ und mit den kommuni- stisch-linkssozialistischen Stimmen gewählt, mit einer sozialrevolutionär gefärbten Proklamation vor die Nation getreten, endet er seine Amtszeit als Schützling der extremen Rechten, die ihrerseits wieder in Tambroni ihren Paladin sieht. Die Krise des Sommers 1960, als während der Regierungszeit des gegen den Willen der DC zum Ministerpräsidenten ernannte Fernando Tambroni der Aufeinanderprall der Extremen zu einem offenen Bürgerkrieg zu führen schien, hat einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen, daß man einer Wiederholung solcher Abenteuer auf jeden Fall vorbeugen möchte.

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