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Konsens oder Konfrontation?

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Genau zur Halbzeit der laufenden ■ .Legislaturperiode ist die öster- reichische Innenpolitik in Bewegung geraten. Mit dem neuerlichen Wahlsieg der SPÖ von 1975 begann für die Regierungspartei eine Periode, die von starkem Optimismus getragen war. Die unmittelbare Ursache war der Wahlsieg selbst, der für das, was man „die öffentliche Meinung“ nennt, überraschend kam. Nach dem Tode Karl Schleinzers, der sich als Oppositionsführer profiliert hatte, und der Neuwahl von Josef Taus machte sich, wenn wir uns richtig erinnern, ein Optimismus innerhalb der ÖVP breit, dem aber, wie sich dann herausstellen sollte, eine reale Basis fehlte. Das Wahlergebnis von 1975 war bekanntlich dasselbe wie von 1971, ohne die geringste Mandatsverschiebung im Parlament, und damit waren die Hoffnungen der Opposition, wieder die Regierungsführung übernehmen zu können oder wenigstens an der Regierungsbildung beteiligt zu werden, gebrochen.

Eine der Ursachen lag in einem Phänomen der „modernen“ Parteistrategie, die bei Wahlkämpfen weniger das Programm als vielmehr die Persönlichkeiten herausstellt, die es vertreten. Diese Taktik gründete weniger in der ÖVP als mehr in der SPÖ, deren wesentliches Wahlprogramm in dem Slogan „Kreisky, wer sonst?“ gipfelte. Die Persönlichkeit des sozialistischen Parteiführers hatte sich so stark profiliert, daß die Sozialistische Partei mit Recht, wie sich erweisen sollte, der Meinung war, daß dieses „Wahlprogramm“ genüge, um die schon 1971 errungene Mehrheit auch weiterhin zu behalten. Es war daher logisch, daß auch die ÖVP auf diese Taktik einschwenken mußte.

Es scheint mir hier am Platze zu sein, auch einige Bemerkungen zu dem System der „Persönlich- keits“-Wahlen zu machen. So unvermeidbar 1975 diese Taktik aus den angegebenen Gründen auch gewesen ist, für die Zukunft ist sie nicht ausreichend: Künftig müssen die politischen Parteien wieder ihr Programm und ihre unmittelbaren Wahlziele in den Vordergrund rücken. Nicht mehr „Herr X, wer sonst?“ dürfen die Wahlparolen für 1979 lauten, sondern es müssen die heute weitgehend differenten ideologischen, programmatischen und taktischen Unterschiede der beiden großen Parteien sein, die dem Wähler als Grundlage für seine Entscheidung vorzutragen sind. Demokratische Parteien sind keine Führerparteien, sondern ideologische Gemeinschaften!

War das erste Jahr dieser Legislaturperiode für die Opposition ein schwieriges, weil sie die Wahl von 1975 zu verkraften hatte, so sind die innerpolitischen Ereignisse des zweiten Jahres für die Opposition Anlaß genug, den Wahlkampf für 1979 auf programmatischer Ebene vorzubereiten.

Die wirtschaftliche Lage unseres Landes ist alles andere als erfreulich. Handels- und Zahlungsbilanzdefizit haben ein wahrhaft erschreckendes Ausmaß angenommen.

Man muß sich nur daran erinnern, daß am Ende der ÖVP-Alleinregierung, wieauchinallenJ ahren vorher, das Handelsbilanzpassivum stets durch den Devisenertrag des Fremdenverkehrs abgedeckt wurde und Devisenreserven sowie Goldschatz der Nationalbank ausreichten,

um Importe und sonstige Reserveabflüsse auf sage und schreibe neun Monate abzudecken; wenn damals während neun Monaten nicht eine einzige ausländische Devise nach Österreich hereingekommen wäre, hätten noch immer die Reserven aus gereicht, um die österreichischen Verpflichtungen während dieser Zeit zu erfüllen.

Jedermann weiß auch, daß das in Wählerversammlungen besonders wirksame Argument der „Vollbeschäftigung“ brüchig zu werden beginnt. Ein Blick in zahlreiche Industrien, vor allem auch im verstaatlichten Bereich, zeigt, daß in den letzten zwei Jahren viel Arbeitnehmer unterbeschäftigt waren, was auf die Rentabilität dieser Unternehmen stark drückte und in Einzelfällen zu Riesenverlusten führte. Nun ist natürlich die Entlassung überzähliger Arbeitskräfte keine empfehlenswerte Alternative, aber die Defizitprobleme, die dadurch entstanden sind, haben stellenweise ein beängstigendes Ausmaß angenommen.

Dazu kommt, daß der österreichische Export, vor allem infolge der enorm hohen Belastung der Lohnkonten durch den Soziallohnteil, arg stagniert. Man hat in Österreich bei der ständigen Vermehrung der Soziallasten auf die internationale Entwicklung keine Rücksicht genommen, und heute stehen wir, nicht zuletzt durch internationale Verträge gebunden, einer ernsten Situation gegenüber. Als Mitglied des GATT und der OECD ist

Österreich zu einer hundertprozentig liberalisierten Industriewirtschaft verpflichtet und kann auch durch Zölle seine eigene Produktion nicht mehr schützen. Im Bereich der Europäischen Gemeinschaften aber sind überhaupt protektionistische Handelsmaßnahmen unmöglich geworden.

Das soll natürlich nicht heißen, daß diese internationale Verflechtung der österreichischen Wirtschaft etwas Schlechtes wäre. Ganz im Gegenteil: Die österreichische Wirtschaft kann nur im Rahmen eines großen europäischen Wirtschaftsbereiches existieren. Aber die Voraussetzung dafür ist eben eine Anpassung an die internationalen Produktionskosten, was man übersehen hat - oder auch übersehen wollte! Der harte Kurs des Schillings, im Prinzip eine richtige Methode, tut das Seine dazu, wenn man das System einer Hartwährung so unflexibel handhabt, wie dies bis jetzt bei uns der Fall ist. Dadurch geraten nämlich ständig einzelne Gruppen der österreichischen Exportwirtschaft und der Fremdenverkehr in größte Schwierigkeiten.

Um den Reigen zu schließen, hat die Budgetpolitik der letzten Jahre zu einem Budgetdefizit geführt, dessen Finanzierung so lange unklar bleiben muß, als man sich nicht auf Regierungsseite auch zu drastischen, aber möglichen Sparmaßnahmen entschließt. Wegwerfschulbücher und die Subventionierung pornographischer Zeitschriften, um nur zwei winzig kleine Beispiele zu nennen, seien hier angeführt.

Alles zusammen also ein wenig erfreuliches Bild, das noch düsterer wird, wenn man in Rechnung stellt, daß die Steuerleistung von Herrn und Frau Österreicher einfach nicht mehr vergrößert werden kann. Wie schwierig die Situation gerade auch auf diesem Gebiet geworden ist, zeigt die jüngst geborene Luxussteuer - ein Versuch, der bereits zu anderen Zeiten gemacht wurde und nur den radikalen Rückgang des Konsums sogenannter Luxusartikel, kaum aber höhere Steuererträge zur Folge hatte.

Wie weit die anderen neuen Belastungen budgetmäßige Erfolge zeitigen werden, wird erst die Zukunft zeigen. Die sachlich untermauerte, harte Kritik der Opposition dazu ist jedenfalls nicht überhörbar! Sie wird die Innenpolitik bis zu den nächsten Wahlen (1979) beherrschen.

Abgesehen davon, daß bis zu den nächsten Wahlen noch fast zwei Jahre Zeit ist und in der Zwischenzeit alles mögliche passieren kann, was den Wahlausgang beeinflußt, hängt ein Wahlergebnis in hohem Grade von der Politik ab, die von der Opposition gemacht wird. Hier erhebt sich die Frage: „Konsens oder Konfrontation?“ Begreiflicherweise mehren sich innerhalb der Opposition die Stimmen, die nun auf harte Konfrontation gehen wollen. „Was gehen uns“, so sagt man in diesen Kreisen, „die Schwierigkeiten an, die während der Zeit einer sozialistischen Parlamentsmehrheit entstanden sind? Sollen sie selber sehen, wie sie da herauskommen!“

Vom Standpunkt eines künftigen Wahlerfolges haben solche Meinungen natürlich ein Starkes Gewicht. Auf der anderen Seite stehen zwei Fakten: Einmal hat die Volkspartei während eines Vierteljahrhunderts nach dem Zweiten Weltkrieg die Hauptlast der Verantwortung für die Republik getragen. Sie ist eine staats- und verantwortungsbewußte Partei und tut sich schon aus diesem Grunde in der Rolle der Opposition schwer.

Dann trägt sie als Opposition natürlich auch Verantwortung für ihre Wähler, sie ist verpflichtet, auch unter sozialistischen Mehrheitsverhältnissen dafür zu sorgen, daß die Interessen ihrer Wähler berücksichtigt werden. Das gilt auch für grundsätzliche ideologische Bereiche; man denke etwa an das neue Strafgesetz, das mit Ausnahme der Fristenlösung unter weitgehender Mitwirkung der ÖVP zu- standegekommen ist. Ebenso muß die ÖVP um die Interessen der einzelnen Berufsgruppen besorgt sein, denn sie ist eine echte Volkspartei, also eine Partei, die ihre Wähler in allen Berufsgruppen hat.

Diese Verantwortung macht eine totale Konfrontation schwierig, jedenfalls viel schwierige)? als für eine Partei, deren Wähler vornehmlich nur aus einer Berufsgruppe kommen. Die Führung der großen Opposition wird daher genau abwägen müssen, welchen Weg sie bis zu den Wahlen von 1979 einschlägt. Möglicherweise wird es ein Weg sein, der die Konfrontation sucht, wo immer sie zweckmäßig erscheint, aber den Konsens nicht verweigert, wo er Erfolg für die Wähler der Opposition bringt. Die Abgrenzung der beiden Methoden dürfte nicht allzu schwierig sein. Das Zweite Abgabenänderungsgesetz etwa verlangt die totale Konfrontation, weil es aus gesellschaftspolitischen Erwägungen heraus nicht einmal als eine Verhandlungsgrundlage angesehen werden konnte.

Die Volkspartei wird bei allen diesen Problemen bemüht sein müssen, immer glaubwürdig zu bleiben. Das aber heißt in der Parteipolitik, den Wähler über alle Situationen genau aufklären. Ob und inwieweit dabei auch Alternativen aufgezeigt werden, hängt in jedem einzelnen Fall von den Umständen ab. Keineswegs ist eine Opposition verpflichtet, immer andere Lösungen anzubieten.

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