Wolfgang Schüssel - © Fotos: CMF

Wolfgang Schüssel: „Moralischer Zeigefinger? Funktioniert nicht!“

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Wolfgang Schüssel, von 2000 bis 2007 österreichischer Bundeskanzler, hat in einem Buch zusammengetragen, „Was. Mut. Macht.“. Ein Gespräch über Solidarität in Europa, den Umgang mit Italien und Ungarn, Verschwörungen, öffentliche Beichten und Träume.

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Wolfgang Schüssel, von 2000 bis 2007 österreichischer Bundeskanzler, hat in einem Buch zusammengetragen, „Was. Mut. Macht.“. Ein Gespräch über Solidarität in Europa, den Umgang mit Italien und Ungarn, Verschwörungen, öffentliche Beichten und Träume.

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Früher war es das Mascherl, mit dem Wolfgang Schüssel Verspieltheit zeigte. Heute sind es graue Giessweinschuhe mit rosa Schnürsenkeln. In seinem Büro bei der „Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik“ in der Wiener Stallburg steht ein Pianino, hinter ihm eine wandfüllende Zeichnung von Anna Stangl. Zu seinem 75. Geburtstag am 7. Juni hat sich Schüssel ein Buch geschenkt – gefüllt mit Gedanken, Skizzen und ganz viel Europa. Die FURCHE hat ihn besucht.

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DIE FURCHE: Ihr Erinnerungs-Buch soll Mut machen und „eine Vitaminpille für unruhige Tage“ sein. Nun sind diese Tage besonders unruhig. Sie beschreiben die Lehren aus Corona im Kapitel „Die Welt hält den Atem an“ folgendermaßen: „Gerade eine globale Gefahrensituation verlangt koordiniertes europäisches Handeln und Solidarität mit besonders betroffenen Regionen.“ Aber gibt es in Europa tatsächlich Solidarität?
Wolfgang Schüssel:
Doch – und sie ist gewaltig. Die Europäische Union hat ein unglaubliches Rettungsprogramm vorgelegt: mit 540 Milliarden Euro an Nothilfen, einem Anleihenprogramm der Europäischen Zentralbank und Krediten der Europäischen Investitionsbank. Dazu kommt nun das letzte Woche vorgestellte europäische Budget von 1,1 Billionen Euro plus Wiederaufbaufonds. Ursula von der Leyen hat Angela Merkel und Emmanuel Macron ja gebeten, schon einmal vorzupreschen.

Der Vorschlag war: 500 Milliarden – nur Zuschüsse, und jedes Land haftet gemäß seiner Quote. Nun sieht der Kommissionsvorschlag mit 500 Milliarden an Zuschüssen und 250 Milliarden an Krediten genau eine Mitte-Position zwischen Merkel und Macron sowie den anderen Positionen vor. In Summe geht es um knapp zwei Billionen Euro, das ist unglaublich und so viel, wie die Bundesrepublik Deutschland seit 20 Jahren für die Deutsche Wiedervereinigung aufgewendet hat.

DIE FURCHE: Unter den „anderen Positionen“ ist auch jene Österreichs, das als Teil der „Sparsamen“ oder „Geizigen Vier“ – je nach Lesart – den Merkel-Macron-Plan von Anfang an kritisiert hat. Norbert Röttgen, der sich um die Nachfolge Angela Merkels an der Spitze der CDU bewirbt, hat gemeint, das sei „eine einzige Provokation“.
Schüssel:
Diese Aussage halte ich für seltsam. 500 Milliarden Euro sind ja kein Taschengeld, sondern eineinhalb Mal das gesamte österreichische Volkseinkommen. Dass es darüber Diskussionen gibt und man das nicht nur abnickt, ist keine Provokation, sondern eine Notwendigkeit in einer Demokratie. Wobei die wesentlichen Dinge ja außer Streit stehen, etwa dass die Kommission die Mittelvergabe kontrolliert.

Wir dürfen uns doch nicht kleiner machen, als wir sind! Österreich ist ein wichtiger Partner in diesem Europa und hat das Recht, entsprechende Vorschläge zu machen.

Wolfgang Schüssel

Die spannende Frage ist nun, wer das zurückzahlt. Dass die Kommission erstmals neue Eigenmittelquellen andenkt – darunter CO₂-Zertifikate oder eine Digitalsteuer –, ist innovativ, das habe ich schon immer vorgeschlagen. In den kommenden Monaten wird nun darüber diskutiert.

DIE FURCHE: Was die Gesundheitskooperation und das Grenzmanagement betrifft, so war von europäischer Solidarität wenig zu spüren. Die Lieferstopps von Schutzmaterial sind noch in lebhafter Erinnerung.
Schüssel:
Dass man innerhalb der Europäischen Union Lieferbeschränkungen für Schutzkleidung oder Medikamente vorgesehen hat, war wirklich peinlich. Jeder hatte Panik, dass in seinem Land, in seiner Region etwas Furchtbares ausbrechen kann, worauf man sich nicht vorbereitet hat. Aber das ist Gott sei Dank vorbei. Wobei die Gesundheitspolitik bislang ausschließlich Sache der Nationalstaaten ist. Aber es wird eine Lehre sein, dass man zumindest einige Elemente, etwa die Pandemiebekämpfung, zur Gemeinschaftsaufgabe macht. Pandemien sind ja nicht neu, ich darf nur an die Vogelgrippe in meiner Amtszeit erinnern ...

DIE FURCHE: ... angesichts deren Ihre Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat Millionen an Schutzmasken kaufte ...
Schüssel:
... und dafür nur Hohngelächter geerntet hat. Da sieht man, dass man solche Dinge nur dann begreift, wenn es ernst wird. Aber insgesamt ist Europa nun gut aufgestellt. Und ich bin überzeugt, dass auch die Grenzöffnungen in absehbarer Zeit sehr koordiniert ablaufen werden.

DIE FURCHE: Vorerst ist aber insbesondere das Verhältnis zu Italien angespannt. Wegen der bis zuletzt noch immer geschlossenen Grenze und der Kritik an den Coronahilfen empfindet man Österreich als unsolidarisch und egoistisch.
Schüssel:
Jedes Land hat auch eine Innenpolitik. Premierminister Giuseppe Conte hat sich mit der Frage der Eurobonds, die eine gesamtschuldnerische Haftung bedeutet hätten, sehr weit vorgewagt – und niemand hat deswegen gesagt, dass sich Italien unsolidarisch verhalten würde. Am Ende wird ein Kompromiss zu finden sein, und da ist die österreichische Position genauso legitim wie die italienische, griechische, ungarische oder französische. Wir dürfen uns doch nicht kleiner machen, als wir sind! Österreich ist ein wichtiger Partner in diesem Europa und hat das Recht, entsprechende Vorschläge zu machen.

Wolfgang Schüssel - Wolfgang Schüssel im Gespräch mit FURCHE-Chefredakteurin Doris Helmberger-Fleckl. - © Fotos: CMF
© Fotos: CMF

Wolfgang Schüssel im Gespräch mit FURCHE-Chefredakteurin Doris Helmberger-Fleckl.

DIE FURCHE: Sie schreiben im Buch, dass Österreich sehr gut durch diese Krise gekommen sei, „weil wir doppelt so viele Intensivbetten hatten wie Italien“. Wobei der Politikwissenschafter Reinhard Heinisch in einem Gastkommentar für die Wiener Zeitung („Kritik der moralischen Ökonomie“) daran erinnert, dass im Zuge der Sparpakete nach der Finanzkrise viele Spitalsbetten wegrationalisiert worden seien – weshalb die Rhetorik vom Schlendrian südlicher Länder „Doppelmoral“ wäre.
Schüssel:
Also ich habe den Italienern nie etwas vorgeworfen. Abgesehen davon hatte Italien immer viel weniger Intensivbetten als Deutschland, die Schweiz oder Österreich. Jeder ist für seine Gesundheitspolitik allein verantwortlich. Man sollte aber aufhören, den Eindruck zu erwecken, die Italiener hätten eine gigantische Austeritätspolitik betrieben: Das stimmt nicht. Die Spanier haben wirklich gespart, auch die Portugiesen. Aber die einzige italienische Regierung, die wirklich versucht hat, etwas zu verändern, war die unter Mario Monti und anfangs jene unter Romano Prodi, bis er von seinen eigenen Koalitionspartnern gestoppt wurden. Das ist die Realität dort.

DIE FURCHE: Kommen wir zu Angela Merkel, die Sie in Ihrem Buch als „Ausnahmepolitikerin“ beschreiben: Während andere Politiker, meist Juristen, Probleme suchten, würde sie als Physikerin sie lösen, schreiben Sie. Verstehen Sie ihren jüngsten Kurswechsel weg von der Austerität?
S
chüssel:
Das ist ganz logisch gedacht. Sie hat Gott sei Dank die Führung übernommen – wie schon in der Griechenland-Krise, wo sie einen gigantischen Rettungsschirm mitgestaltet hat, der auch gewirkt hat. Und auch nun in der Coronakrise hat sie – mit Ursula von der Leyen, Macron und den übrigen Mitgliedsstaaten – den Versuch gemacht, an einem klugen Vorschlag zu basteln. Das wird auch funktionieren: Die meisten Elemente stehen ja, wie gesagt, außer Streit. Und nun wird verhandelt.

DIE FURCHE: Angela Merkel hat auch in der Flüchtlingskrise Führung übernommen – während Österreich abermals einen anderen Kurs eingeschlagen hat. Völlig ablehnend zeigen sich die Visegrád-Staaten, deren Umgang mit Pressefreiheit und unabhängiger Justiz für Empörung sorgt. Auch Sie orten einen „ziemlich rücksichtslosen Umgang mit dem Rechtsstaat“, zugleich sind Sie aber gegen einen Ausschluss von Viktor Orbáns Fidesz aus der Europäischen Volkspartei. Nun fordern manche, im Rahmen einer EU-Vertragsänderung Gelder mit der Einhaltung der europäischen Grundwerte zu koppeln.
Schüssel:
Das ist ein netter Gedanke, der von einigen Europaparlamentariern immer wieder gepflegt wird, aber er ist nicht realistisch, denn für eine Vertragsänderung braucht es Einstimmigkeit, und die gibt es nicht. Als wir im Jahr 2000 diese unfairen Sanktionen bekommen haben, wurden die sogenannten Artikel-7-Verfahren gestartet, bei denen Vorwürfe konkret an die Kommission herangetragen werden. Das Verfahren gegen Ungarn wurde aber mit einer Unzahl sehr unpräziser Vorwürfe gestartet, das hat bisher überhaupt nicht funktioniert. Deshalb halte ich das nicht für eine sehr zweckmäßige Vorgangsweise.

Ich weiß nicht, warum Journalisten immer darauf bestehen, dass man in einem ,Mea culpa‘ öffentlich Fehler bekennen muss. Vielleicht liegt das am Katholischen in Österreich.

Wolfgang Schüssel

DIE FURCHE: Und was wäre eine zweckmäßige Vorgangsweise gegenüber Ungarn?
Schüssel:
Die gewünschte politische Veränderung, die ich natürlich auch unterstütze, muss von innen kommen. All diese Länder, die zuerst einmal aus ihrer subjektiven Sicht die Unterdrückung im Habsburgerreich oder durch die Nationalsozialisten oder in der Sowjetunion erleiden mussten, haben jetzt seit 1989 erstmals die Möglichkeit, ihr Schicksal autonom zu gestalten. Und jetzt müssen innerhalb der EU wieder manche Souveränitätsrechte abgegeben werden, weil sonst funktioniert ja die Gemeinschaft nicht. Und das macht es wahnsinnig schwer.

Wir haben eine viel längere Tadition mit diesen Dingen; Ungarn, Polen, Rumänien, Bulgarien oder auch die Kandidaten auf dem Balken müssen das zum Teil wirklich lernen. Wenn in Ungarn drei sozialdemokratische Parteien mehr gegeneinander kämpfen als mit Fidesz, darf man sich aber auch nicht wundern, wenn Viktor Orbán am Ende eine Zweidrittelmehrheit bekommt. Der große moralische Zeigefinger von außen funktioniert jedenfalls nicht – das war schon bei uns so, und das wird auch in Mittel-­ und Südostoeuropa so sein.

DIE FURCHE: Orbán hat im Juni 2019 in der Beantwortung der EVP-Fragen Folgendes formuliert: „Christdemokraten sind a priori illiberal.“ Wie sollen Christdemokraten aus Ihrer Sicht sein?
Schüssel:
Für mich steckt im Begriff „liberal“ vor allem Freiheit. Gerade Christdemokraten als aufgeklärte und wertorientierte Bürger müssen diese Freiheit vehement verteidigen. Dazu gehört auch die Toleranz, konträre Positionen auszuhalten. Das Gegenteil von liberaler Haltung, also illiberal, ist, wenn abweichende Meinungen ausgegrenzt werden oder abgewertet als extrem. Übrigens hat Orbán in den letzten Monaten einige Male von der „christlichen Demokratie“ gesprochen. Das war eines der spärlichen Ergebnisse des EVP-­Weisenrates, in dem ich verteten war, bis das Gremium von Donald Tusk still und leise beerdigt wurde.

DIE FURCHE: Sie sagen, „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ von Karl Popper sei eines Ihrer Lieblingsbücher. Illiberalismus muss wohl einer dieser Feinde sein. Was ist mit Verschwörungstheorien, wie sie in Corona-Zeiten verstärkt grassieren?
Schüssel:
Dieses Phänomen ist so alt wie der Schnee am Kilimandscharo! Wenn Sie sich die Wahlempfehlungen des Bruders von Cicero vor 2000 Jahren anschauen oder wenn Sie Gracián oder Machiavelli lesen, dann ist das, was amerikanische Spindoktoren heute machen, ein Lercherl dagegen. Populisten hat es immer gegeben, amerikanische Präsidenten, die gnadenlose Populisten waren, hat es immer gegeben. Es gab Verschwörer und Verschwörungstheorien zu allen Zeiten. Die amerikanische Demokratie hat auch Katholiken nicht zugebilligt, Demokraten sein zu können, weil sie von Rom abhängig seien: Daher durften sie keine hohen politischen Ämter bekleiden, absurd.

Gegen Verschwörungstheorien muss man Stellung beziehen, das ist keine Frage. Und reife Demokratien brauchen natürlich auch reife Demokraten, die erstens nicht alles glauben, was ihnen vorgesetzt wird, und auch akzeptieren, dass es nicht nur eine Wahrheit wie „Koste es, was es wolle“ gibt. Die Kunst der Politik besteht darin, aus einen Bündel an Interessen, Zielen und Notwendigkeiten Lösungsmöglichkeiten herauszufiltern, die hoffentlich im Optimalfall die Dinge bestmöglich vereinen. Und das ist ja auch der Erfolg der europäischen Idee, dass sie seit 70 Jahren in der Lage ist, wirtschaftlichen Erfolg, sozialen Zusammenhalt und gute Umweltbedingungen einigermaßen fair zu halten.

Wolfgang Schüssel Was Mut macht - © Foto: Ecowin
© Foto: Ecowin
Buch

Was. Mut. Macht.

Bemerkungen und Bemerkenswertes von Wolfgang Schüssel
Ecowin 2020. 420 S., geb., € 26,–

DIE FURCHE: Dabei können natürlich immer Fehler passieren, erst recht in einer Krise wie der aktuellen. Sie schreiben in Ihrem Buch, „dass es besser ist, gelegentlich Fehler zu machen, als zu lange zuzuwarten“. Aber warum ist es so schwer, als Spitzenpolitiker einen Fehler auch einzugestehen?
Schüssel: Aber es wird doch ohnehin ununterbrochen korrigiert, jede Novelle zu ASVG ist die Korrektur einer früheren. Ich weiß nicht, warum Journalisten immer darauf bestehen, dass man in einem „Mea culpa“ öffentlich Fehler bekennen muss. Aber vielleicht liegt das am Katholischen in der österreichischen Gesellschaft.

DIE FURCHE: Auch Nicht-Journalisten könnten es schätzen, wenn Menschen zu Fehlern stehen. Man könnte es auch als souverän empfinden. Und einprägsam ist es ohnehin, dazu muss man nicht das große „Mea culpa“ von Papst Johannes Paul II. an der Klagemauer bemühen.
Schüssel:
Das ist schon richtig Ich selbst habe auch oft genug gesagt, wenn ich etwas falsch gemacht habe – etwa dass man die Ambulanzgebühr nicht dem jeweiligen Spital gegeben hat, sondern der Krankenkasse. Aber das sind marginale Punkte. Ich glaube, dass wir immer mit trial und error operieren, man probiert es, man modifiziert es, try again, fail again, fail better. Das ist ein ganz gutes Prinzip.

DIE FURCHE: Politikerinnen und Politiker sind immer Projektionsflächen – und Sie waren es ab 2000 besonders. Sie schreiben, es wäre unehrlich, würden Sie behaupten, die massiven Anfeindungen wären spurlos an Ihnen abgeperlt. Eine Konsequenz war, dass Sie den Kontakt zu den Medien reduziert haben – was Ihnen das Attribut „Schweigekanzler“ eingebracht hat.
Schüssel:
Ich bin ein alter Dinosauer, der auf die Fakten schaut. In einer Statistik habe ich unlängst gezählt, wie oft ich im Radio, Fernsehen oder in den Zeitungen aufgetreten bin, ungefähr doppelt so oft wie jeder andere, so viel zum Thema Schweigekanzler. Ich habe in meinem Leben 400 Reden im Parlament gehalten, dazu tausende öffentliche Reden in meiner ganzen politischen Karriere. Richtig ist, dass manche immer geglaubt haben, dass man das antworten muss, was sie sich vorstellen. Das ist aber nicht der Punkt. Denn es ist zwar jede Frage zulässig, aber auch jede Antwort darauf. Wie jetzt in puncto Corona kommuniziert wird, ist jedenfalls unglaublich transparent und offen.

DIE FURCHE: Um Macht und Mut geht es nicht nur im Titel, sondern auch am Ende Ihres Buches. Sie schreiben, dass es Ihnen immer bewusst war, wie behutsam man mit Macht umgehen müsse. Zugleich meinen Sie, Sie hätten mutiger sein sollen. Wo?
Schüssel:
Hier gibt es keinen spezifischen Punkt. Aber dahinter steckt die letzte Rede des ehemaligen israelischen Präsidenten Shimon Peres, die er im Rahmen einer Konferenz in Italien gehalten hat. Seine Rede hat er damals explizit an seine europäischen Freunde gerichtet, er meinte: Ihr sollt nicht so pessimistisch sein, ihr seid immer noch ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die ganze Welt. Kurz danach hat er einen Hirnschlag erlitten, von dem er sich nicht mehr erholt hat.

Ein Jahr später ist sein Sohn zur gleichen Konferenz gekommen und hat erzählt, dass er seinen Vater gefragt hat, ob er irgendetwas in seinem Leben bedauern würde. Und Peres meinte: My dreams were not big enough, ich habe nicht groß genug geträumt. Dieses think big, diese Träumen in einer vernünftigen, guten Art, realistisch, aber doch mutig, das hat mich sehr beeindruckt. Und das sollte man auch den Jungen heute mitgeben: In den USA kandidiert gerade ein 74­-Jähriger gegen einen 78-­Jährigen, da ist Europa wirklich besser aufgestellt. Ob in Dänemark, Frankreich, Belgien, Finnland oder Österreich: Bei uns haben die Jungen eine Chance, und die sollen das jetzt auch ordentlich machen. Seid mutig! Das ist die Substanz dieses Buches, die ich sagen wollte.

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