Erwin Pröll - © J GER R./JAE/APA

Erwin Pröll: Alle unsere Kinder

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Landtagswahlen in Niederösterreich. Rudolf Mitlöhner im Interview mit Landeshauptmann Erwin Pröll.

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Landtagswahlen in Niederösterreich. Rudolf Mitlöhner im Interview mit Landeshauptmann Erwin Pröll.

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DIE FURCHE: Herr Landeshauptmann, wie hoch legen Sie sich persönlich die Erfolgslatte für die kommenden Landtagswahlen?
Erwin Pröll:
Ich glaube, daß in Zeiten wie diesen ein Ergebnis über 40 Prozent ein respektables ist. Und ich glaube auch, daß das für die Volkspartei machbar ist.

DIE FURCHE: Ihr Herausforderer, SP-Chef Ernst Höger, setzt sehr stark auf soziale Themen, auf das "soziale Gleichgewicht", wie er es nennt. Fürchten Sie nicht, daß die Wähler den Eindruck haben, ihre diesbezüglichen Sorgen könnten bei der SPÖ besser aufgehoben sein?
Pröll: Ich glaube nicht, weil es einen äußerst unterschiedlichen Zugang zu diesen Fragen gibt. Etwa im Bereich der Arbeitsplatzpolitik: Hier hängen die Sozialisten einer überkommenen Subventionisierungspolitik an. Worum es jedoch in Zukunft geht, ist, daß wir aufgrund eines attraktiven Standortes im Hinblick auf zukunftsträchtige Arbeitsplätze die Nase vorne haben. Uns geht es in erster Linie darum, daß wir von außen Arbeitsplätze ins Land bringen, dann gelingt es uns auch, Arbeit im Land zu schaffen. Ein anderer Punkt ist der Sozialbereich: Wir leben in einer Gesellschaft, die mehr und mehr von Egoisten geprägt ist. Wir leben in einer Zeit, in der es die Familien, vor allem Mehr-Kinderfamilien, nicht sehr leicht haben. Da ist es mein Ansatz, daß wir jenen Familien, die mehr Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen, auch eine breitere Unterstützung zuteil werden lassen.

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DIE FURCHE: Das sagen Sie auch nach dem Familienpaket?
Pröll: Das sage ich selbstverständliche auch nach dem Familienpaket. Ich bin sehr froh darüber, daß sich die Bundespartei mit der Mehrkinderstaffelung durchgesetzt hat, weil ich selbst aus eigener früherer Erfahrung weiß, daß vier Kinder einfach mehr Belastung bedeuten als zwei oder ein Kind. Wir stehen auch dafür, daß nicht die Wickelkinder schon in den Kindergarten kommen, sondern daß die Kinder in den ersten Jahren bei der Mutter oder der Bezugsperson bleiben können, weil sich natürlich auch medizinisch nachweisen läßt, daß gerade diese ersten Jahre die prägenden Jahre für einen Menschen sind. Die Sozialisten hingegen haben im Zusammenhang mit der Diskussion um unser Kindergartenwesen darauf gedrängt, schon die Wickelkinder in den Kindergarten zu geben.

DIE FURCHE: Höre ich da richtig heraus, daß Sie mit dem Familienpaket noch nicht ganz zufrieden sind?
Pröll: Also ich glaube, daß jemand der die Familie ernstnimmt, eigentlich nie mit dem Status quo zufrieden sein darf. Nur glaube ich auch, daß es ausschließlich der Österreichischen Volkspartei zu verdanken ist, daß die Steuerreform für die Familie vorgezogen wurde, und daß gegen vehementesten Widerstand - insbesondere in den Anfängen von sozialistischer Seite - die Familien ab 1. Jänner 1999 eine Entlastung erfahren.

DIE FURCHE: Es klingt so, als wären Sie derzeit mit der Bundespartei recht zufrieden - was ja nicht immer der Fall war ...
Pröll: Ich würde sagen, wir befinden uns derzeit in einem Stadium, in dem Positionen zu wesentlichen Fragen der Republik, die auch Niederösterreich betreffen, eher deckungsgleich sind. Ich bitte um Verständnis, daß ein Landeshauptmann von Niederösterreich in erster Linie dem Land verpflichtet ist und erst in zweiter Linie jemandem anderen.

DIE FURCHE: Die Freiheitlichen plakatieren in Niederösterreich unter anderem: "Unser Geld für unser Land". Das ist eine deutliche Spitze gegen Brüssel. Sie machen zwar nicht Stimmung gegen die EU, aber ein gewisser Lokal-Chauvinismus spricht doch auch aus Ihren Äußerungen zum Thema EU-Osterweiterung.
Pröll: Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich halte ein größeres Europa für unabdingbar notwendig, wenn wir in der ersten Hälfte des nächsten Jahrtausends neue Konflikte hintanhalten wollen, denn jeder deutliche soziale Unterschied birgt die Gefahr einer bewaffneten Auseinandersetzung in sich. Es ist also klar, daß es eines Tages dazu kommen soll, daß auch die ehemaligen Ostblockstaaten in der Europäischen Union ihre Heimat finden. Allerdings, die Frage ist das Wann. Und hier, glaube ich, gilt einfach die nüchterne Überlegung: Welche Voraussetzungen müssen hier und welche müssen dort erfüllt sein, damit es zu einer friktionsfreien Erweiterung kommt. Zunächst müssen einmal überhaupt die wirtschaftlichen Voraussetzungen in unseren Grenzregionen verbessert werden. Wir haben ja vier Jahrzehnte lang unter der toten Grenze gelitten. Dann, zum Zeitpunkt X, der meines Erachtens nicht vor dem Jahr 2010, 2015 gekommen sein wird, muß versucht werden, noch bestehende Disparitäten im Agrarbereich, bei den Sozialstandards, auf dem Arbeitsmarkt mittels Übergangsfristen abzufangen.

DIE FURCHE: Aber eines ist doch auch klar: Wenn Polen, Tschechien, Ungarn und noch andere der Europäischen Union beitreten, werden selbst die ärmeren Regionen Österreichs im Vergleich zu diesen Ländern noch immer reich sein. Das Projekt Osterweiterung kann also nur so funktionieren, daß die, die jetzt förderungswürdig sind, nachher eben weniger förderungswürdig sind ...
Pröll: Es wird nicht gehen, daß diejenigen, die ohnehin schon Belastungen zu tragen haben, noch zusätzlich zur Kassa gebeten werden, damit andere, die noch mehr Belastungen auslösen, Mitglied werden. Vielmehr muß sich die EU heute überlegen: Welche gezielten Förderungsmaßnahmen müssen heute schon in den beitrittswilligen Ländern getätigt werden, um diese möglichst rasch auf einen höheren Standard zu bringen? Man muß sich im Zuge der Agenda 2000 und des neuen Finanzausgleichs innerhalb der EU einmal um die eigenen Kinder kümmern; gleichzeitig wird man sich überlegen müssen, wie groß jener Anteil ist, den man aufwendet, um Kinder zu unterstützen, die eines Tages zu uns in die Familie kommen sollen.

DIE FURCHE: Aber das wird nicht gehen, ohne daß die eigenen Kinder etwas von ihrem Taschengeld hergeben.
Pröll: Ja, das stimmt. Aber in diesem Zusammenhang wird auch in Brüssel über einen internen Finanzausgleich zu reden sein. Es müssen natürlich jene Länder, die ihre Strukturprobleme schon weitgehend überwunden haben, in Zukunft eher zur Kassa gebeten werden, als jene, die selbst noch mit diesen Problemen kämpfen. Und zu letzteren gehört eindeutig Österreich.

DIE FURCHE: Aber auch zu den reicheren Ländern.
Pröll: Ja, Gott sei Dank, allerdings zu den reicheren mit eigenen Strukturproblemen.

DIE FURCHE: Die Landtagswahlen könnten auch eine Neuverteilung der Regierungssitze bringen. Wie stehen Sie grundsätzlich zu der durch die Salzburger Schnell-Affäre ausgelösten Debatte um die Proporzregierungen in den Ländern?
Pröll: Das Thema wird uns sicher in den kommenden Jahren beschäftigen müssen. Aber ich bitte Sie zu verstehen, daß man eine derartige grundsätzliche Verfassungsfrage nicht drei Wochen vor einer Wahl intensiver diskutiert. Darüber muß fernab von Wahlterminen zwischen den Parteien ernsthaft debattiert werden.

DIE FURCHE: Aber Sie können den Argumenten, die der Salzburger Landeshautpmann Schausberger gegen den Proporz geltend gemacht hat, etwas abgewinnen?
Pröll: Diese Argumente sind sehr diskussionswürdig. Die Angelegenheit wird ja umso brisanter, je eher politische Parteien in die Regierung kommen, die meinen, Regierung und Opposition gleichzeitig spielen zu können.

DIE FURCHE: Als Landeshauptmann und ÖVP-Politiker müssen Sie natürlich überzeugter Föderalist sein. Nun wird aber der Föderalismus immer öfter als ineffizient kritisiert. So gibt es etwa Überlegungen, Länder zu größeren Einheiten zusammenzulegen. Landespolitiker stehen bei dieser Diskussion im Verdacht, ihnen gehe es nur darum, ihren angestammten Hoheitsbereich zu verteidigen ...
Pröll: Zunächst einmal eine Klarstellung: Ich bin nicht Föderalist, weil ich bei der ÖVP bin, sondern ich bin bei der ÖVP, weil ich Föderalist bin. Ich halte von diesen Überlegungen - Zusammenlegen zu größeren Einheiten - sehr wenig. Nicht, weil damit machtpolitische Verschiebungen verbunden wären, sondern weil ich zunehmend sehe, daß die Politik generell auf Dauer nur dann eine Chance hat, wenn es ihr tatsächlich gelingt, zu mehr Bürgernähe zu kommen. Das gilt umso mehr, je mehr wir in ein größeres Ganzes hineingehen. Der Weg nach Brüssel macht es erst recht notwendig, die kleine überschaubare Einheit aufrechtzuerhalten. Ein Europa, in dem die Teilstaaten und die Regionen abgeschafft wären, hätte nicht lange Bestand.

DIE FURCHE: Es geht ja nicht ums Abschaffen, sondern darum, vergleichbare Einheiten herzustellen. Stellen Sie sich ein Europa der Regionen vor, wie es ja immer wieder als Zielvorstellung genannt wird, in dem der Landeshauptmann von Vorarlberg mit 300.000 Einwohnern neben dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen sitzt, der 17 Millionen Menschen vertritt. Kann das eine tragfähige Struktur sein?
Pröll: Es zeigt sich, daß das praktikabel ist, warum soll das nicht so sein! Warum soll der Vorarlberger seinen Typus nicht auch innerhalb einer größeren europäischen Einheit behaupten können. Das hat meines Erachtens nichts mit der Anzahl der Menschen, die in einer bestimmten Region leben, zu tun.

DIE FURCHE: Die Gefahr, daß eine allzu starke Betonung der föderalen Struktur ein Hemmnis für eine effiziente Bundespolitik ist, sehen Sie nicht?
Pröll: Die Zentralisten argumentieren so; aber die Realisten wissen ganz genau, daß in Wahrheit in der gesamten Zweiten Republik die Bundesländer die stabilste Säule gewesen sind. Und: natürlich hängt es, wie immer im Leben, von den handelnden Personen ab. Aber das politische System in unserer Republik Österreich ist so geartet, daß übertriebenes Machtbewußtsein, das sich des Föderalismus als Mittel der Machterhaltung bedient, keine Dauer hätte.

DIE FURCHE: Und daß sich der Bundesstaat zwischen supranationalen Strukturen, sprich EU, und Länderstrukturen mehr und mehr verflüchtigen könnte, glauben Sie auch nicht?
Pröll: Nein, sondern im Gegenteil: Ich glaube, daß der Bundesstaat eher durch die regionalen Strukturen eine Stärkung erfährt gegenüber dem Supernationalstaat.

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