"Emotional ist Europa vollendet“

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Regionalkommissar Johannes Hahn über seine Liebe zu Brüssel, die Euro-Skepsis "alter Herren“ und die 2014 anstehenden Europawahlen. Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Die EU-Regionalpolitik ist eine der wichtigsten politischen Materien der Europäischen Union. Johannes Hahn im Interview über die Probleme des Euro und der Europäischen Union, die Reformfortschritte in Griechenland und die große Hoffnung Europas: Die Jugend.

Die Furche: Inhaltlich gesehen verwaltet Ihr Ressort nicht nur den zweitgrößten Posten des EU-Budgets, sondern auch den Kernpunkt der EU. Es geht um die Hilfe der Stärkeren für die Schwächeren. Sie selbst haben Ihr Ressort zuletzt aber kritisch bewertet. Der Fokus der Politik sei in der Vergangenheit eher auf dem Geldausgeben gelegen. So gesehen hat Brüssel einen Topf Geld hingestellt und gemeint, holt euch das ab, wie, ist uns egal. War das nicht fahrlässig?

Johannes Hahn: Nein. Ich bin weit entfernt, meinen Vorgängern Vorhaltungen zu machen. Bis 2006 haben wir aber immer nur geschaut, ob die Verwendung der Mittel korrekt passierte. Gerade unter dem Eindruck der Krise hat sich das verändert. Als ich angetreten bin, war die Regionalpolitik ziemlich in der Kritik, und es gab Papiere, in denen das Konzept in Frage gestellt wurde. Heute ist sie dank der von mir eingeführten Reformen wieder im Zentrum der europäischen Wirtschaftspolitik.

Die Furche: Wie wollen Sie aus den alten Strukturen ausbrechen?

Hahn: Teilweise hat dieser Prozess schon begonnen. Die historische Aufgabe, die Wohlstandsgefälle zu reduzieren, ist nach wie vor da. 70 Prozent unserer Mittel werden an jenes Viertel der Union gegeben, die tatsächlich am ärmsten sind. Aber wir wollen auch besser steuern. Das geschieht durch Auflagen thematischer Art und quantifizierbaren Zielen - also Steigerung der Forschungsquote, Förderung der Beschäftigung, Steigerung bei erneuerbaren Energien, Unterstützung der KMU - in Übereinstimmung mit der Europa 2020-Strategie. Damit wissen die 273 Regionen Europas: Ihr müsst diese Gelder in diesen Bereichen ausgeben, aber die Projektauswahl obliegt euch.

Die Furche: Waren die Regionen darüber erfreut, dass sie jetzt nicht mehr so machen können wie bisher?

Hahn: Da hat die Krise geholfen, vor allem in Südeuropa. In Nordeuropa passiert diese Politik zum Teil ja schon. Die Regionen sind insofern nicht unglücklich, als sie nun analysieren müssen, was ihr Potenzial ist und was sie eigentlich brauchen. Man ist jetzt mehr gezwungen als vorher, den eigenen komparativen Vorteil, die eigenen Stärken zu definieren.

Die Furche: Zum Beispiel?

Hahn: Zum Beispiel die Azoren.

Die Furche: Die Azoren? Dort gibt es Kühe und Förderungen für die Milcherzeugung, an deren Kürzung beinahe der Vertrag von Nizza gescheitert wäre.

Hahn: Da sehen Sie, was sich alles ändern kann. Die Politiker der Azoren waren eigentlich sehr skeptisch über die neuen Auflagen und jetzt sind sie mit dem Vorschlag gekommen, sie möchten sich als die Service- und Informationsdrehscheibe für die Schifffahrt im Atlantik positionieren. Eine brilliante Idee.

Die Furche: Es ist trotzdem überraschend, wie viel EU-Geld in den reichsten Regionen und Ländern investiert wird. Da gibt es Projekte für die Förderung von Creative Entrepreneurship in Flandern, ein Unternehmensprogramm für Studenten in Dänemark. Geht das nicht zu weit, dass die EU für Dinge zuständig ist, für die im Normalfall die örtliche Handelskammer sorgen könnte?

Hahn: Der Vorteil der Programme ist, dass sie über sieben Jahre laufen, also sehr langfristig sind. Das ist attraktiv für Investoren, die auch als Kofinanziers auftreten. Wichtiger ist aber noch die gesamteuropäische Initiative. Ich kann die CO2-Werte europaweit nur senken, wenn ich das in ganz Europa verfolge. Ich kann die Innovationskraft nur steigern, wenn ich das in allen Mitgliedsstaaten und Regionen verwirkliche, also auch in Flandern oder in Aarhus. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn alle Länder das für sich machen würden. Aber das ist eine Illusion. Jeder hat andere Prioritäten. Die neuen Strukturfonds sind auch ein Tool, das uns erlaubt, gesamteuropäische Ziele kohärent zu verfolgen.

Die Furche: Hätte man in Griechenland nicht mehr Strukturmittel aus den Kohäsionsfonds gebraucht, um den großen Absturz der Realwirtschaft besser aufzufangen?

Hahn: Ich glaube nicht, dass den Griechen mehr Geld geholfen hätte, weil sie zu Beginn gar nicht in der Lage waren, es ordnungsgemäß abzurufen und gemäß den EU-Standards zu nutzen. Tatsache ist, dass man Griechenland vorschreiben musste, eine bestimmte Summe abzurufen und zu investieren. Erst diese Verpflichtung hat dazu geführt, dass sie nun europaweit an vierter Stelle stehen, was die Ausnutzung der Gelder betrifft. Seit Beginn der Krise sind 13 Milliarden Euro geflossen.

Die Furche: Wie werden Sie in Griechenland aufgenommen?

Hahn: Ich habe persönlich sehr viel Zeit und Energie in Griechenland investiert. Ich bin mindestens alle zwei Monate dort. Ich fördere und fordere. Das heißt, ich helfe, mache aber auch klar, dass ich von den EU-Standards nicht abweichen kann. Es wird besser. Auf allen Ebenen.

Die Furche: Also wenn Sie einen so positiven Eindruck haben ...

Hahn: Nein, eher einen optimistischen.

Die Furche: Also optimistisch. Sind Sie auch optimistisch, was den Euro betrifft?

Hahn: Ja. Seit Monaten diskutiert eigentlich auch niemand mehr über diese Frage, im Gegenteil. Der Euro hat sich wieder als zweite Weltwährung etabliert.

Die Furche: Wie sehen Sie dann die Geburtsfehler des Euro - die fehlende Steuer- und Wirtschaftspolitik?

Hahn: Natürlich war die Euro-Einführung eine extrem mutige Entscheidung, die mit Schweiß und Anstrengung verbunden ist. Es ist aber nicht so, dass alle bei der Einführung des Euro kollektiv dumm gewesen wären und nicht gewusst hätten, was noch alles nötig wäre. Aber zum damaligen Zeitpunkt war das politisch nicht durchsetzbar. Die Krise hat uns geholfen, Maßnahmen einzuführen, etwa eine engere Koordinierung der nationalen Budgets, die ohne Krise nicht erfolgt wären. Die Diskussionen über den europäischen Zerfall sind vorwiegend ein Thema für alte Herren.

Die Furche: Sie sind gerne in Brüssel?

Hahn: Ja.

Die Furche: Hierzulande werden Sie schon als Außenminister gehandelt.

Hahn: (lacht) Nur weil ich in Europa bin, komme ich scheinbar nur mehr als Außenminister in Frage. Dabei war ich schon Wissenschaftsminister und Justizminister. Das ist geradezu ein Downgrading meiner fachlichen Kompetenzen. Aber im Ernst: Ich mache meinen Job gerne und ich liebe Europa.

Die Furche: Wie sehen sie die Situation Österreichs vor den EU-Wahlen im Mai?

Hahn: Wir sollten uns vor allem um eine hohe Wahlbeteiligung kümmern. Jede Reduzierung der Wahlbeteiligung geht zu Lasten der schweigenden Mehrheit. Daher sollte es ein gemeinsames Interesse und eine Kooperation der konstruktiven Kräfte geben. Das bedeutet aber auch, dass man über die nationalen Schatten springt und nicht mehr so tut, als sei die EU das Hobby von ein paar Leuten, sondern eine Voraussetzung für das Leben in den Mitgliedsstaaten.

Die Furche: Was macht Sie eigentlich hoffnungsfroh, dass das auch passieren wird?

Hahn: Wenn ich meinen Sohn anschaue und die Jugend generell, die stehen Diskussionen wie jener über den angeblichen Zerfall der EU fassungslos gegenüber. Emotional hat die Vollendung Europas und des Binnenmarktes längst stattgefunden.

Im Kurzporträt

Der Herr der Fördertöpfe

Am 27. November 2009 gab Kommissionspräsident José Manuel Barroso bekannt, dass Hahn als Kommissar für Regionalpolitik vorgesehen sei. Vor dem EU-Parlament meinte Hahn vor seiner Angelobung, er wolle sich besonders für die Förderung der Bildung und Kreativität in Europa einsetzen. Das Parlament stimmte am 9. Februar 2010 mit 488 Stimmen bei 137 Gegenstimmen für die neue EU-Kommission. Im Oktober 2011 stellte Hahn seine Reform der europäischen Regionalförderung (370 Mrd Euro) für die Jahre 2014 bis 2020 vor. Förderungen sollen zielgerichteter verteilt werden. (tan)

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