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Wer schläft, schaut durch die Finger

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Burgenlands Landeshauptmann Karl Stix und Oberösterreichs Wirtschaftslandesrat Christoph Leitl im Gespräch: Wieviel Gestaltungsspielraum bleibt nach dem EU-Beitritt für die heimische Wirtschaftspolitik?

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Burgenlands Landeshauptmann Karl Stix und Oberösterreichs Wirtschaftslandesrat Christoph Leitl im Gespräch: Wieviel Gestaltungsspielraum bleibt nach dem EU-Beitritt für die heimische Wirtschaftspolitik?

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DieFüRCHE: Österreich wird voraussichtlich per 1. Jänner 1995 der Europäischen Union beitreten. Was bedeutet das fiir die Gestaltung der Wirtschaftspolitik? Müssen die Länder Kompetenzen an Brüssel abtreten?

Landeshauptmann Karl Stix: Zunächst einmal muß ich festhalten, daß wir keine Kompetenzen an Brüssel abgeben. Die Gestaltung der Wirtschaftspolitik bleibt Aufgabe des Nationalstaates. Wir werden nur bessere Möglichkeiten bekommen, weil beispielsweise die Diskriminierung unserer Exportwirtschaft wegfällt. Ich kann Ihnen unsere Eigenständigkeit an einem guten Besipiel demonstrieren: Wir haben im Frühjahr ein neues Wirtschaftsförde-rungsgesetz, neue Förderungsrichtlinien und -Zielsetzungen beschlossen. Das ist unsere Aufgabe. In Zukunft wird aber Brüssel überprüfen, ob alles den Wettbewerbsbedingungen entspricht.

Es geht also nicht um die Gestaltung der Wirtschaft durch Brüssel, sonqern die EU prüft nur, ob es durch Wirtschaftsförderungen zu einer unerlaubten Wettbewerbsverzerrung kommt. Das Burgenland wurde als „Ziel 1 ”-Gebiet (bis zu 75 Prozent Förderung der Investitionssumme, Anm. der Redaktion) eingestuft. Das bedeutet für uns, daß wir auch eine hohe Gestaltungskraft bei Wirtschaftsförderungen haben, ohne daß dadurch die Wettbewerbsregeln verletzt werden.

Wirtschaftslandesrat Christoph leitl,: Wir werden auch keine Kompetenzen an Rrüssel abgeben. Im Gegenteil: Vieles, was uns heute noch gefehlt hat, wird jetzt möglich. Ein Reispiel ist die Regionalförderung. Wir sind sehr dankbar, daß es in Zukunft die Möglichkeit einer Zusatzfinanzierung durch die Europäische Union geben wird. Wir haben am Beispiel des Bayerischen Waldes geseheh, daß in Grenzlandgebieten ungeheuer viele Investitionen mit Hilfe der EU geschehen. So etwas schwebt mir auch für das Bundesland Oberösterreich vor. Darüber werden wir mit der Europäischen Union reden.

DIEFURCHE: Was werden Sie als nächstes in Angriff nehmen? STIX: Uns werden von der EU für den Zeitraum 1995 bis 1999 rund 2,5 Milliarden Schilling zur Verfügung gestellt. Das Geld ist reserviert, die Modalitäten sind festgelegt. Wenn wir beitreten, also voraussichtlich am 1. Jänner 1995, läuft das. Wir werden daher im Jänner Entwicklungsprograrmne als „Ziel 1”-Gebiet in Brüssel vorlegen. Es geht dabei -andeutungsweise - um einen grenzüberschreitenden Industriepark Burgenland Nord. Der umfaßt Nordburgenland mit Bratislava und Györ. Es geht auch um die Naturzone Neusiedler See mit dem Nationalpark. Hier haben wir Forschungsprogramme und auch konkrete Projekte ausgearbeitet. Außerdem werden Tourismusprogramme und eine Beihe von Agrarprojekten laufen.

Weiters wird, und das ist für die Wirtschaft ganz wichtig, in Eisen-Stadt ein Aus-, Weiter- und Umschulungszentrum entstehen. Zwei Fachhochschulen beginnen im Herbst ihre Tätigkeit, um den Jugendlichen Europaqualifikation zu vermitteln. leitl: Zuerst werden wir mit Brüssel Verhandlungen führen in Sachen oberösterreichischer „Ziel 2 und 5b”-Gebiete, die ja noch nicht definiert sind. Dann werden wir Projekte in diesen Gebieten festlegen. Wir wollen dann, wenn wir beigetreten sind, also voraussishtlich 1. Jänner 1995, schon fix und fertige und professionell ausgearbeitete Konzepte in Brüssel liegen haben. Denn bei der Europäischen Union gilt das gleiche, wie überall im Leben: Wer schneller dort und besser vorbereitet ist, wird erfolgreich sein. Wer schläft, wird weniger bekommen. Wir haben Steyr und Braunau für Ziel 2-Gebie-te und große Teile des Mühlviertels, Innviertels und der Steyr-Enns-Be-gion für Ziel 5b-Gebiete beantragt. Die Chancen stehen gut. diefurche: Oberösterreich und das Burgenland sind von der Struktur her zwei ganz unterschiedliche Bundesländer. Wo liegen die besonderen Herausforderungen. stix: Im Burgenland liegen sie in einer Veränderung der Wirtschaftsstruktur. Der gewerblich-industrielle

Bereich bis hin zu Tourismus, Sport und Freizeit - unter Reachtung der intakten Natur - wird sich verändern.

LEITL: Wir Oberösterreicher müssen in der stärksten Liga Europas spielen. Wir haben den stärksten Partner des Westens, nämlich Süddeutsch land, durch die Geographie zugelost erhalten. Auf der anderen Seite steht ein starker Partner des ehemaligen Ostens, das heutige Tschechien. Das stellt uns natürlich vor große Herausforderungen. Aber beiden kann die oberösterreichische Wirtschaft mit einer Strategie begegnen und die heißt „hohe Qualität”. Dazu sind qualifizierte und motivierte Mitarbeiter notwendig. Wir sind nicht vergleichbar mit dem Burgenland oder dem Ballungsraum Wien, wohl aber mit der Steiermark und Niederösterreich.

Der EU-Beitritt ist für unsere Beziehungen mit dem süddeutschen Raum insofern sehr wichtig, als die Fragen der Ursprungszeugnisse oder Grenzaufenthalte bei Just-in-time-Lieferungen dann nicht mehr zum Tragen kommen. Für die Geschäfte mit dem Osten ist unsere EU-Mitgliedschaft nicht ganz so wichtig, denn diese sind meistens keine solchen Just-in-time-Geschäfte.

DieFüRCHE: Änderungen gibt es auch durch die jetzt ausverhandelte Bundesstaatsreform Gleichzeitig mit dem EU-Beitritt sollen auch föderalistische Strukturen gestärkt werden Die Länder und Gemeinden erhalten mehr Kompetenzen Wie schätzen Sie das Ergebnis dieser Reform ein? stix: Ich bin sehr zufrieden. Ein Vorteil ist, daß die Verwaltung vereinfacht wird und es zu einer Beschleunigung der Abwicklung der einzelnen Verfahren kommt. Für den Landtag bedeutet die Reform eine Aufwertung.

LEITL: Die Rundesstaatsreform ist ein erster richtiger Schritt auf einem noch langen Weg. Als Mitglied der oberösterreichischen Landesregierung finde ich es sehr positiv, daß hier zwischen Rund und Land vernünftige Schritte zu einer neueren und modernen Form der Arbeitsteilung vorgenommen werden. Meine eigenen Rereiche Wirtschaft, Tourismus, Fragen der Aus- und Weiterbildung, Forschung und Entwicklung haben hingegen mit der Rundesstaatsreform wenig zu tun.

DieFüRCHE: Es wurde kritisiert, daß die Reform fast auschließlich den Vollzugsbereich betrifft und nicht eine Neuordnung in der Gesetzgebung. Die derzeitige Reform bleibe zu sehr in Detailbereichen stecken. Stix: Restimmte Dinge müssen in Osterreich einheitlich geregelt werden. Dazu gehören auch alle Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Auch die Europäische Union vereinheitlicht, um der Wirtschaft bessere Rahmenbedingungen zu bieten. Dazu gehören einheitliche Normen, Umweltstandards oder die relative Vereinheitlichung der Steuersysteme, damit die Wirtschaft wirklich nicht behindert wird.

Die Schwierigkeit in Österreich war, eine Regelung zu finden: was muß einheitlich geregelt und was kann unterschiedlich gemacht werden? Da hat sich herausgestellt, daß die große Chance in der Vollziehung liegt. Natürlich kann man daher bei der jetzigen Reform auch von einem „Vollzugsföderalismus” reden. Aber der ist eben auch ungeheuer wichtig. Denn ein Gesetz schreibt ja den Rahmen vor und innerhalb des Rahmens können sich die Rundesländer bewegen. Es kann daher viel besser auf die Redürfnisse der einzelnen Länder eingegangen werden.

Ich glaube, das die Reform ein richtiger und guter Schritt ist. Man sollte daher nicht so geringschätzig sagen, es geht nur um eine Verbesserung in der Verwaltung. Durch die Rundesstaatsreform wird es uns beispielsweise ermöglicht, alle Verfahren und Förderungen in einer Hand zu bündeln. Das bedeutet in der Praxis, daß jeder Wirtschaftstreibende nur mehr zu einer Stelle gehen muß, und die erledigt alles. Wir fusionieren zu diesem Zweck alle unsere Gesellschaften und die neue Gesellschaft wird „ßurgenländische Wirtschaftsservice AG” heißen. Das bedeutet ein echtes Service für die Wirtschaft leitl: Es gibt natürlich immer etwas zu kritisieren und sicherlich werden noch weitere Schritte auf die jetzige Reform folgen müssen.

Probleme gibt es auch noch bei der Finanzierung. Wer Zuständigkeiten abgibt, will - wie halt überall - möglichst wenig Geld abgeben. Und derjenige, der neue Zuständigkeiten bekommt, will möglichst viel Geld zur Rewältigung erhalten. Aber man wird sich zusammenreden. Den zeitlichen Horizont kann ich allerdings nicht beurteilen, weil das die Landeshauptleutekonferenz mit den zuständigen Rundesstellen macht. diefurche: Wurde bei der Bundesstaatsreform das Ja zur EU schon vorweggenommen? Stdc: Ja, und die Landeshauptleute haben ihrerseits auch die Revölke-rung eingeladen, positiv abzustimmen. Wir gehen davon aus, daß die Rundesstaatsreform auch für den EU-Reitritt geeignet ist.

Die Gespräche führte Elfi Thiemer.

1) Die Details zum Reformpaket siehe Dossier in der Nummer 10 vom

10. März 1994.

2) Förderungsgebiet „Ziel 2” betrifft industrielle Umstellungsgebiete, „Ziel Sb” benachteiligte ländliche Gebiete.

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