Der Wandel als Patentrezept

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Die Agenda ziele, wie Jacques Santer, der Präsident der EU-Kommission, am 16. Juli 1997 vor dem Europäischen Parlament ausführte, auf innere Stärkung der Union, auf Schaffung geeigneter Voraussetzungen für ihre Erweiterung und auf Sicherstellung entsprechender Finanzmittel.

Welche Anliegen artikuliert nun die Agenda? Da geht es zunächst um die Schaffung von Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum. Der Euro werde für "Stabilität, höhere Markteffizienz und eine verstärkte Investitionstätigkeit sorgen," heißt es im Kommissionspapier "Eine stärkere und erweiterte Union". Effizientere Vorschriften müßten Wettbewerbsverzerrungen und Hemmnisse beseitigen. So werde Europa ein dynamischer und attraktiver Wirtschaftsstandort.

In der Agenda liegt die Betonung auf Begriffen wie Dynamik, Produktivität, Markt, Wettbewerb, Verflechtung, neue Technologien. Besonderes Augenmerk soll dem Ausbau der Transeuropäischen Netze, der Telekommunikation und dem Energiesektor gewidmet werden. "Technologischer Wandel und Innovation stellen Europa vor große Herausforderungen ... Die Gemeinschaft muß also unbedingt ihrer Politik auf dem Gebiet der Forschung und technologischen Entwicklung neue Impulse verleihen," so das Kommissionspapier.

Gefordert wird weiters eine Straffung der Arbeit der EU-Organe. Die Kommission werde sich künftig auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren, stellte Santer in der erwähnten Rede fest. Pro Land sollte nur mehr ein Vertreter in der Kommission sitzen. Noch vor der EU-Osterweiterung sei eine Regierungskonferenz einzuberufen, um eine Reform "über die Zusammensetzung und Funktionsweise der Organe herbeizuführen, die in jedem Falle zur generellen Einführung der Beschlußfassung mit qualifizierter Mehrheit führen muß." (Kommissionspapier).

Breiter Raum wird dem Anliegen gewidmet, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der Gemeinschaft zu stärken. Im Vertrag über die EU ist dieser Aspekt neben der Wirtschafts- und Währungsunion und dem einheitlichen Binnenmarkt einer der drei Pfeiler des europäischen Aufbauwerks. Bisher wurden zum Zweck der Strukturverbesserung Programme, die sieben Ziele gefördert haben, finanziert. Diese Förderung sei zukünftig zu straffen. Es soll nur mehr drei Ziele geben. "Der Prozentsatz der ... förderfähigen Bevölkerung der Fünfzehnerunion muß von 51 auf 35 bis 40 Prozent zurückgeführt werden", fordert das Kommissionspapier.

Zwei Drittel der Mittel werden in die neuen Ziel-1-Regionen fließen, in denen das durchschnittliche Pro-Kopf-Produkt höchstens 75 Prozent des entsprechenden EU-Durchschnittswertes ausmacht. Gebiete in äußerster Randlage der EU will man den Ziel-1-Regionen gleichstellen, was für Österreich von Bedeutung ist.

Im neuen Ziel 2 will man zukünftig ländliche Regionen und solche mit starkem wirtschaftlichem Wandel, Krisengebiete, die von der Fischerei abhängen und Problemzonen in Städten fördern. Die dritte Strukturförderungsschiene (Ziel 3) zielt in allen Mitgliedsstaaten auf "Anpassung und Modernisierung der Ausbildungs-, Berufsbildungs- und Beschäftigungssysteme". Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist nämlich ein weiterer Schwerpunkt der Agenda. In diesem Bereich bleiben die Vorstellungen allerdings eher vage. Man findet die Schlagworte: lebenslanges Lernen, aktive Arbeitsmarktpolitik, Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung. Aber die Frage nach dem Wie bleibt offen.

Was die zukünftige Agrarpolitik anbelangt, sei an dieser Stelle (Näheres Seiten 14 und 15) nur die Stoßrichtung der Kommissionsvorschläge gekennzeichnet. Mehr Wettbewerb und bessere Chancen auf dem Weltmarkt lautet die Parole, die Präsident Santer ausgab: "Die von der Kommission vorgeschlagene stärkere Ausrichtung auf die Weltmarktpreise wird nicht nur die künftige Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaften in den wichtigen Sektoren Getreide und Rindfleisch erhöhen. Sie wird der Union auch eine starke Position für die zukünftigen Verhandlungen im Rahmen der WTO verschaffen. " Empfindlich gesenkt werden sollen die Garantiepreise bei Getreide und Rindern, weniger stark bei Milch. Beihilfen sollen die Einkommensverluste ausgleichen, allerdings nicht voll. Für Österreichs Bauern ergäbe das Schätzungen zufolge ein Minus von zwei Milliarden Schilling.

Ein weiteres wichtiges Kapitel der Agenda ist der Osterweiterung gewidmet. Bei den Beitrittskandidaten Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik, Slowenien und Zypern stellt sich das Problem, daß in vielen Bereichen erst die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft geschaffen werden müssen. Vermieden werden soll nämlich, daß "am Ende der Verhandlungen ... allzu lange Übergangsfristen vorgesehen oder dauerhafte Ausnahmeregelungen getroffen werden müssen."

Beitrittspartnerschaft mit den Oststaaten Mit jedem der Länder soll daher eine Beitrittspartnerschaft dafür sorgen, vorhandene Defizite abzubauen. Es gilt auch, das Vertrautwerden mit den Programmen und Arbeitsmethoden der Gemeinschaft zu fördern. Ab dem Jahr 2000 werden finanzielle Hilfen diese Heranführung unterstützen, vor allem damit die Länder in den Bereichen Verkehr und Umwelt den Anschluß an den EU-Standard finden.

Bleibt noch die Frage der Finanzierung für die Periode 2000 bis 2006. Als Finanzrahmen sind maximal 1,27 Prozent des Gemeinschaftsprodukts vorgesehen. Ihn will die Kommission allerdings nicht ausschöpfen, rechnet sie doch mit 2006 mit einem Wirtschaftswachstum von 24 Prozent. Es würde gewährleisten, daß die verfügbaren Mittel stark genug steigen. Ob die Finanzierung jedoch im bisherigen Stil fortgeführt werden kann, wird sich erst weisen müssen.

Für Förderungen will man bis 2006 insgesamt 270 Milliarden Euro (3.715 Milliarden Schilling) einsetzen. 620 Milliarden Schilling davon sind für die Osterweiterung budgetiert, allein 96 Milliarden Schilling für die Heranführungsstrategie.

Was läßt sich zusammenfassend über die Agenda 2000 sagen? Sie strotzt vor Optimismus und ist von der Überzeugung geprägt, daß Veränderung das Heilmittel schlechthin sei. Von Konsolidierung ist nirgends die Rede - und das, obwohl die EU im letzten Jahrzehnt mit Veränderungen konfrontiert wurde, daß "die Bürger sich von dem beschleunigten institutionellen Zusammenwachsen Europas überrollt fühlen und sich nicht damit identifizieren konnten," wie selbst die Kommission diagnostiziert.

Dies hält sie aber nicht davon ab, weiter auf Wandel zu setzen. Man bedenke, daß allein die Osterweiterung die EU-Bevölkerung um 25 Prozent erhöhen und einen Binnenraum mit 500 Millionen Bürgern (doppelt so viele wie in den USA) unterschiedlichster Sprachen, Kultur und wirtschaftlicher Voraussetzungen erzeugen wird.

Und dabei: Welche Probleme bereitet allein schon die Vereinigung Deutschlands!

Die Kommission jedenfalls sieht die Zukunft in Rosa: "Mit einem neuen Vertrag, einem starken Europa und einem großen Binnenmarkt dürfte die EU beflügelt durch die Dynamik der Erweiterung für das nächste Jahrhundert besser gerüstet sein als unter den gegenwärtigen Bedingungen."

Zum Dossier Die Agenda 2000 betrifft nicht, wie viele aufgrund der heftigen Auseinandersetzungen um die Agrarreform meinen mögen, vorrangig die Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik der EU. Sie versteht sich vielmehr als ein umfassendes Konzept, das die Politik der Gemeinschaft in den Jahren 2000 bis 2006 leiten soll.

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