Europas bunter Haufen

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Wenn am 9. Mai der Europatag gefeiert wird, passiert das nicht in Form großer Volksfeste. Ein Zeichen dafür, wie schwer sich die Europäerinnen und Europäer noch mit ihrer Gemeinsamkeit tun. Nichtsdestotrotz wird diese am 7. Juni bei der Wahl des neuen Europaparlaments aufs Neue manifestiert.

Es waren emotionale Augenblicke, als 1994 "Mister Europe" Alois Mock nach dem erfolgreichen Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen Österreichs seiner Begeisterung mit Freudentränen Luft machte. Diese Begeisterung war offenbar ansteckend: Am 12. Juni 1994 stimmten zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung mit ihrem Ja für den Beitritt in die Europäische Union. Der Honeymoon dieser neuen Verbindung währte allerdings nur kurz und auch heute noch, nach 14 Jahren Mitgliedschaft, fällt es den Österreicherinnen und Österreichern schwer, sich als EU-Bürger zu fühlen - und sie sind dabei in der EU keine Ausnahmeerscheinung. Wenn am 9. Mai der Europatag als Geburtsstunde des Vereinten Europas gefeiert wird, passiert das vielerorts, wenn überhaupt, im kleinen Kreis und nicht als Volksfest. Das ist natürlich nur ein Detail am Rande. Es zeigt aber sehr deutlich, dass es nicht so einfach ist, in einer Staatengemeinschaft, in der die Souveränität der einzelnen Mitgliedsstaaten weiterhin absoluten Vorrang hat, ein gemeinsames Wir-Gefühl zu entwickeln.

Wirtschaftskrise als Zerreißprobe für die EU

In der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise bauen allerdings die EU-Bürger, so sehr wie schon lange nicht, auf die gebündelte Kraft der Europäischen Union. Die EU wird von seiner Bevölkerung wieder mehr akzeptiert. Das ist eine große Chance für alle Beteiligten, zu zeigen, was man gemeinsam weiterbringen kann. Gelingt dies, dann könnten auch andere globale Themen wie eine neue Finanzarchitektur, der Klimaschutz, die Ernährungssicherung oder das Energieproblem besser und erfolgreicher gemeinsam gemanagt werden.

Gelingt es nicht einmal jetzt in der Krise zu überzeugen, dann könnte das zu einer Zerreißprobe für die EU werden. Denn eines muss klar sein: Es rumort in der Gesellschaft und auf der Suche nach Schuldigen wird sehr schnell die EU gefunden. Die verständliche Angst der Menschen, in der Krise den Job und Erspartes zu verlieren, ist ein guter Boden für undifferenzierte Verdächtigungen gegen "die da draußen in Brüssel." Geschürt wird dieses Gefühl noch von der leider bei uns schon lange üblich gewordenen einseitigen Information, die negative Entwicklungen auf die EU schiebt und Positives prinzipiell der eigenen Politik "zu Hause" zuschreibt.

Dabei müsste es leicht nachvollziehbar sein, dass gerade für die Europapolitik gilt: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Gelingt es, gemeinsam erfolgreiche Politik zu machen und damit auch die Weltpolitik mitzugestalten, dann entsteht für alle Mitgliedsstaaten der EU ein deutlicher Mehrwert. Ist die EU schwach, schwächt das auch die Position seiner Mitglieder.

Gerade in Krisenzeiten und bei der Bewältigung von globalen Problemen bleibt die Stimme eines einzelnen Staates im Chor der großen Player ungehört. Die EU, die immerhin 500 Millionen Menschen repräsentiert, kann sich da im internationalen Konzert schon viel eher durchsetzen. Die Verhandlungsposition der EU schwächen dabei vor allem das Fehlen einer substanziellen gemeinsamen Außenpolitik, der einzelstaatliche Egoismus und die ständig neuen Ansprechpartner aufgrund der wechselnden Präsidentschaften. Trotzdem gibt es eine Reihe von guten Gründen, sich für das gemeinsame Europa einzusetzen, nicht nur, aber auch in Hinblick auf die Europawahl am 7. Juni.

Stellen Sie sich vor, in Österreich wird gewählt, aber keiner geht hin. So drastisch wird die Situation bei den EU-Parlamentswahlen am 7. Juni sicher nicht ausfallen, aber die neueste Eurobarometer-Umfrage prognostiziert, dass nur jeder fünfte Österreicher wählen will. Andere Umfragen sprechen von etwa 50 Prozent Wahlbeteiligung. Im Vergleich: Bei der letzten Nationalratswahl im Jahr 2008 betrug die Wahlbeteiligung in Österreich mehr als 70 Prozent.

Was könnten Gründe für dieses eklatante Desinteresse an der Gestaltung eines gemeinsamen Europas sein? Ist es das fehlende Bewusstsein dafür, wie sehr es der EU zu verdanken ist, dass wir in Europa die längste Friedensphase in der Geschichte haben? Oder liegt es daran, dass fast zwei Drittel der Österreicher nicht daran glauben, dass das EU-Parlament auf die Bürgerinnen und Bürger in Europa hört? Ist es die falsche Kommunikationspolitik oder das Fehlen von begeisterten Europäern in Österreich, die die Menschen auch emotional näher an die EU heranbringen? Oder liegt es an der Angst "des Kleinen", vom "Großen" gefressen zu werden? Es ist wahrscheinlich das Zusammentreffen dieser und vieler anderen Faktoren, die zu der aktuellen, demokratiepolitisch kritischen Situation einer großen Ignoranz gegenüber Europa geführt haben. Es ist nicht nur notwendig, gerade in der Krise gute Politik zu machen. Mindestens genauso wichtig ist es, diese Politik und ihre Auswirkungen für die Menschen auch begreifbar und fühlbar zu machen.

Dialog: der Schlüssel zu mehr EU-Vertrauen

Wir müssen in zwei Richtungen besser werden: Erstens in der Kommunikation mit der Bevölkerung - es braucht einen ständigen Kontakt der EU-Politiker mit der Bevölkerung, bei dem die Menschen ihre Sorgen und Ängste äußern können. In einem offenen Dialog mit der Zivilgesellschaft liegt der Schlüssel für mehr Vertrauen und mehr Begeisterung für die Europäische Union. Verbessern müssen wir aber auch manche Positionierungen in der EU-Politik. Es ist erfahrungsgemäß gut möglich, nationalstaatliche Anliegen in den gemeinsamen Entscheidungen der Europäischen Union zu verankern - mit einer trotzigen "Wir sind wir"-Mentalität ohne Blick auf das Ganze ist man aber sicher nicht erfolgreich.

Die EU ist von einigen wenigen Mitgliedern auf eine Gemeinschaft mit 27 Mitgliedsstaaten angewachsen. Das erfordert neue Entscheidungsstrukturen, wie sie der Lissabon-Vertrag vorsieht. Ohne diesen Modernisierungs- und Demokratisierungsschub wird die Europäische Union in ihrer politischen Krise stecken bleiben. Mit diesem Vertrag würde auch die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips wesentlich gestärkt, die nationalen Parlamente würden stärker in die europäische Gesetzgebung einbezogen, die Arbeit in Brüssel transparenter und besser nachvollziehbar gemacht. Die EU würde erstmals eine eigene Rechtspersönlichkeit werden und könnte internationalen Organisationen beitreten. Der Vertrag von Lissabon hat insgesamt das Potenzial, die Stärken der EU besser zu nützen und sie schlagkräftiger zu machen: Denn wie gesagt: Gemeinsam ist Europa mehr als die Summe seiner Teile.

* Der Autor ist Präsident des Ökosozialen Forums und war von 1995 bis 2004 EU-Kommissar für Landwirtschaft, Entwicklung des ländlichen Raumes und Fischerei

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