Das Bollwerk der EU-Abgrenzung

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Österreich fällt nicht erst seit der missglückten Ratspräsidentschaft durch Europaskepsis auf. Die Tendenz zur Abschottung des Landes hat eine lange Tradition -eine Mahnung zum EU-Wahlkampf.

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Österreich fällt nicht erst seit der missglückten Ratspräsidentschaft durch Europaskepsis auf. Die Tendenz zur Abschottung des Landes hat eine lange Tradition -eine Mahnung zum EU-Wahlkampf.

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In Österreich wird oft so getan, als wären wir das Zentrum Europas oder gar dessen Herz. Das stimmt allerdings weder geographisch noch politisch und wird außerhalb Österreichs auch nirgends so wahrgenommen. In der letzten Zeit entsteht sogar eher der Eindruck, dass Österreich sich von einem imaginierten Zentrum immer weiter entfernt und sich - zumindest metaphorisch gesprochen -freiwillig für die europäische Peripherie entschieden hat. Seit dem Beitritt des Landes zur EU gab es jedenfalls keine Phase, in der die Regierung in so vielen Politikbereichen vom europäischen Konsens abgewichen ist, wie im letzten Jahr. Die Indexierung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder ist nur der jüngste Streich einer langen Liste europaskeptischer Aussagen oder Entscheidungen der politischen Entscheidungsträger. Überraschen mag dies angesichts der handelnden Akteure nicht. Es ist in gewisser Weise vielleicht sogar konsequent, wenn man bedenkt, dass Österreichs Verhältnis zur Idee der europäischen Einigung nie von Euphorie geprägt war, nicht zuletzt wegen eines jahrhundertealten Europabilds der Abgrenzung.

Lange vor dem Entstehen der Europäischen Union hielten die Habsburger eine Idee Europas hoch, die auf dem vermeintlichen Gottesgnadentum ihrer Herrschaft beruhte. Die Monarchie inszenierte sich als Verteidigerin des Abendlandes gegen die herannahenden Osmanen. Neben dieser Bedrohung aus dem südöstlichen Raum kam im Zuge der Aufklärung, der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege eine zweite Bedrohung hinzu, nämlich die liberale und säkulare Vorstellung eines Europas, das sich gegen die Monarchie und das Gottesgnadentum wandte. Dass Marie-Antoinette, die Tochter Maria Theresias, dieser Idee zum Opfer fiel und von den Revolutionären guillotiniert wurde, gab dem Hass auf die aufmüpfigen Franzosen weiteren Stoff.

Kein fruchtbarer Boden

Schließlich wurden auch die slawischen Völker zunehmend als Gefahr für das Habsburgerreich erachtet, wodurch die Idee eines gemeinsamen, völkerverbindenden Europas in Österreich Anfang des 20. Jahrhunderts kaum auf fruchtbaren Boden fallen konnte. Auch wenn sich zwischen den Weltkriegen, rund um die Paneuropa-Bewegung, und vor allem nach 1945 in Österreich führende konservative und sozialdemokratische Politiker für Europa ausgesprochen und eingesetzt haben, entwickelte sich in der Bevölkerung keine große Zustimmung. Leopold Figls Worte von 1951 waren in Österreich kaum jemals mehrheitsfähig: "Was der Souveränitätsglaube der einzelnen Nationen bisher verhindert hat, das wird durch die Nöte der Zeit nun allmählich verwirklicht werden: ein geeintes Europa, dessen Souveränität über die Hoheitsansprüche der einzelnen Nationen gesetzt werden soll."

Von diesen Worten bis zum Beitrittsreferendum im Jahr 1994 verging viel Zeit. Die Schrecken des Krieges schienen überwunden, mit dem Friedensargument holte man die neutralitätsverliebten Österreicher nicht mehr hinter dem Ofen hervor. Es waren eher die Aussicht auf wirtschaftliche Vorteile und die Angst vor den Folgen einer Isolation, die dazu führten, dass doch zwei Drittel (bei einer Wahlbeteiligung von 80 Prozent) für den Beitritt stimmten. Als dieser erfolgte, kam jedoch keine große Euphorie auf, und schon kurz danach verlor die EU durch BSE-Skandal, Transitverkehr und Erweiterungspläne deutlich an Zustimmung in der österreichischen Bevölkerung. Antieuropäische Boulevardblätter feuerten scharf gegen Brüssel, die FPÖ versuchte sich als Advokat der österreichischen Nation, die ihr Chef kurz zuvor noch als "ideologische Missgeburt" betrachtet hatte und liebäugelte immer wieder unverhohlen mit einem Ausstieg aus Euro und EU. Als im Jahr 2000 die erste schwarz-blaue Regierung angelobt wurde und die europäischen Partner darauf sehr kritisch reagierten, wurde die Stimmung gegenüber der EU in manchen Milieus geradezu feindselig.

Spitze der Europaskepsis

Die Einführung des Euro 2002, die Erweiterung 2004, die 2008 einsetzende Finanzkrise und umstrittene Handelsabkommen taten ihr Übriges. Österreich befand sich über viele Jahre hinweg gemeinsam mit Großbritannien an der Spitze der europaskeptischen Länder. Und die Politiker aller Couleurs beherrschten das Blame Game perfekt: Brachte die EU Populäres, verkaufte man es als österreichischen Erfolg. Brachte sie Unpopuläres, verkaufte man es als Brüsseler Schikane, gegen die man sich nicht wehren konnte. Ein Spiel, das bis heute andauert und fast täglich zu beobachten ist. So peinlich und durchschaubar es auch sein mag, es erfüllt seinen Zweck -und übererfüllt ihn.

Denn obwohl die Regierungschefs der letzten Jahre allesamt das Blame Game spielten, beteuerten sie vor Europawahlen stets, glühende Europäer zu sein und erwarteten vom zuvor veralberten Volk, dass es ebenfalls glühte. Doch dies war nicht der Fall, war nie der Fall gewesen. Zu oft wurde die EU als Sündenbock verunglimpft, als dass man sie plötzlich als Heilsbringer sehen mochte. Und die letzten Jahre haben daran nichts geändert, im Gegenteil.

Alte Argumentationsmuster

Als 2015 und 2016 die Migrationszahlen stark anstiegen, wurde Europa von österreichischen Politikern beschuldigt, zu offen, zu unentschlossen, zu human zu sein. Und man bediente sich mehr als je zuvor alter Argumentationsmuster der österreichischen Geschichte: Die Abwehr der Osmanen und das christliche Abendland kehrten als Bilder in den Europadiskurs zurück. Heute brüstet sich die Regierung damit, die Balkanroute geschlossen und eine restriktive Asylpolitik realisiert zu haben. Manche in der Koalition stellen in der Europäischen Charta der Grundrechte verankerte Übereinkünfte, sogar die Menschenrechte unverblümt in Frage. So steht es Anfang 2019 und kurz vor richtungsweisenden Wahlen zum Europäischen Parlament nicht gut um das Verhältnis zwischen Österreich und der EU.

Zwar bekennen sich alle im Parlament vertretenen Parteien mehr oder weniger überzeugend zur Mitgliedschaft. Doch kann dies nicht verdecken, dass führende Kräfte in der österreichischen Politik auf eine Schwächung, wenn nicht Auflösung der EU von innen hinarbeiten. Das ist nämlich die neueste Wendung im österreichischen Europadiskurs. Rechtspopulisten in ganz Europa sprechen heute kaum noch davon, aus der EU austreten zu wollen. Nein, seit kurzer Zeit wittern sie die Chance, die EU von innen heraus zu zersetzen. Denn das von ihnen propagierte Europa der Vaterländer wäre nichts anderes als ein loser Staatenbund, in dem jedes Mitglied seine volle Souveränität beanspruchte und bei jeder Entscheidung ein Veto einlegen könnte.

Das Europaparlament würde ebenso wie die Kommission an Gewicht verlieren. Der Europäische Rat wäre das allein bestimmende Organ. In diesem Europa wären kurioserweise aber auch gerade die nationalen Grenzen, die die Anti-Europäer bewahren wollen, wieder in Frage gestellt. Alte Konflikte um Territorien, Unabhängigkeit und Autonomie würden zwangsläufig wieder aufflammen. In Nordirland bekommt man im Zuge des Brexit bereits einen Vorgeschmack auf dieses Szenario. Südtirol, das Elsass, die Grenzen zwischen den Ländern des ehemaligen Jugoslawien, Mazedonien, Katalonien, Korsika, Flamen und Wallonen - Europa ist voller potentieller Krisenherde, wenn die einigende Kraft der Union in Frage gestellt wird.

Österreichs Verhältnis zu Europa war selten so schlecht wie heute. Es sollte aber gerade rund um die EU-Wahlen nicht leichtfertig mit alten Stereotypen gespielt werden.

Der Autor ist Politikwissenschaftler in Salzburg

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