Österreich wird geprügelt, aber von wem?

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Seltsam waren die Beschlüsse von 14 Staats- und Regierungschefs wer auch immer den Anstoß dazu gab.

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Seltsam waren die Beschlüsse von 14 Staats- und Regierungschefs wer auch immer den Anstoß dazu gab.

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Seit zwei Wochen beherrscht die Regierungswende in Österreich und die internationale Reaktion - insbesondere die europäische - darauf, die Medien.

Die Vorgänge sind ein Lehrstück in vielfacher Hinsicht: * In Österreich hat man zu lange die verschiedenen Möglichkeiten der heimischen Politik nicht ganz ernst genommen: alle wußten: "Blau-Schwarz" war eine Option; aber die Konsequenzen, wenn es wirklich zu einer entsprechenden Koalition käme, haben sich viele nicht wirklich ausgemalt. Zumindest im Hinblick auf das Umfeld Österreichs.

* Auch die Machtfülle des Präsidentenamtes in einer so ambivalenten Situation wie der jetzigen war nicht allenthalben klar, wenngleich sie auch erst durch die sehr pointierte Art deutlich wurde, in der Thomas Klestil von ihr Gebrauch gemacht hat.

* Zugleich wurde deutlich, daß ein inzwischen in Europa übliches Grundmuster der parlamentarischen Mehrparteiendemokratie in Österreich nicht funktioniert: nämlich das "gesunde" Pendeln zwischen Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Regierungen. Die ÖVP gilt vielen nicht mehr als Partei der Mitte, sondern als "konservativ" (in der Europäischen Volkspartei steht sie am rechten Flügel); die FPÖ steht noch weiter rechts (obwohl sie von vielen Arbeitern gewählt wird); so ist die einzige mehrheitsfähige Alternative zu Rot-Schwarz für alle Linken eine Horrorvision.

* Und auch im Ausland. Dort hat man, wie sich nun herausstellt, ein recht problematisches Bild von Österreich und seiner Politik gehabt. Daß die bisherige Koalition am Ende war, wurde nicht wirklich wahrgenommen; man hat gemeint, nur weil Schüssel unbedingt Kanzler werden wollte, seien die Weichen zu Haider gestellt worden, und deswegen lasse sich das mit etwas gutem Willen rückgängig machen. Was für eine Naivität!

* Ein Hauptproblem war und ist die Einschätzung Haiders und der FPÖ. Das demagogische und populistische Naturtalent wurde da und dort wie eine Neuauflage Hitlers eingeschätzt - welch ein Unfug! Man erinnert sich, daß Haider bei Treffen von Altnazis auftrat und ihnen rhetorisch und phraseologisch entgegenkam (wohingegen Kreisky Altnazis in seine Regierung genommen hatte); aber man dachte nicht daran, daß er der "Deutschtümelei" wie kein anderer Vorsitzender der FPÖ eine Absage erteilte, und daß er seinerzeit, da ihm das opportun erschien, als der österreichische EG-Fan Nummer Eins auftrat.

Aussagen wie die, daß es nach der Amtsübernahme der neuen Regierung "unmoralisch" sei, in Österreich "Ski zu laufen", und daß die FPÖ-Minister schlichtweg "Neofaschisten" seien (so Belgiens Außenminister Louis Michel), zeugen von einer recht seltsamen Realitätswahrnehmung, ebenso wie die Bildunterschrift im Pariser "France-Soir" "Die braune Pest ist zurückgekehrt".

Aber es gibt noch einen anderen Zungenschlag: Die Reaktion der EU-Staaten wurde von manchen Politikern und Kommentatoren geradezu hymnisch als erster Schritt in eine neue Ära der europäischen Einigung gefeiert: Nun endlich könnte die "Politische Union" das Licht der Welt erblicken, weil die Abwehr des österreichischen Rechtsextremismus die demokratischen Staaten zusammenschweiße (so ähnlich "Les Echos", Paris); die Intervention in die österreichische Regierunsgbildung werde vielleicht in Zukunft als einer der ersten Gründungsakte eines gemeinsamen europäischen Vaterlandes betrachtet ("La Republica", Rom). "Die EU hat sich erstmals als Wertegemeinschaft artikuliert" (Freimut Duve, langjährig SPD-Bundestagsabgeordneter, jetzt OSZE-Medienbeauftragter).

Solche Thesen verdienen kritische Hinterfragung.

Um es gleich zu sagen: Was sich in den vergangenen Wochen abgespielt hat, mag von manchen Akteuren im Sinne der "europäischen Wertegemeinschaft" gut gemeint gewesen sein - aber manchmal ist, wie Österreicher wissen, "gut gemeint" das Gegenteil von "gut". So auch in diesem Fall.

Zum Beleg muß man sowohl den Gang der Dinge wie die rechtlichen Voraussetzungen und Maßstäbe in Erinnerung bringen. Das mag umständlich anmuten. Aber angesichts vieler kaum erträglicher Simplifizierungen, die wir in letzter Zeit erlebt haben (in Interviews, oder auch auf Demonstrationstafeln) tut es not, etwas genauer zu unterscheiden.

Daß vor der Möglichkeit einer schwarz-blauen Regierungsbildung europäische und andere politische Größen Besorgnis äußern und Warnungen aussprechen würden, war zu erwarten; sie hatten dazu auch gute Gründe.

Die "Erklärung der Portugiesischen EU-Präsidentschaft" (mit offiziellem Briefkopf) schlug jedoch am 31. Jänner in Wien wie eine Bombe ein: Im Namen von 14 Mitgliedsstaaten wurde mitgeteilt: * im Fall einer FPÖ-Regierungsteilnahme würden alle bilateralen Regierungskontakte auf politischer Ebene verweigert; * Österreicher würden als Bewerber um internationale Posten nicht mehr unterstützt, * österreichische Diplomaten würden nur noch auf unterer Ebene zum Gespräch vorgelassen.

Das "war noch nie dagewesen", aber vor allem ein Vorgang, der hart an der Grenze dessen lag, was man sich nach Maßgabe des EU-Rechts vorstellen konnte.

Problematisch war erstens die Drohung selbst; zweitens die Art, wie sie zustandekam; drittens aber auch die unkorrekte Darstellung in den meisten Medien, die regelmäßig von Drohungen, Beschlüssen oder Sanktionen "der EU" schrieben: "Die EU" - das ist kein Stammtischklub, der Postkarten an ein gerade abwesendes Mitglied schreibt, sondern eine Rechtsgemeinschaft von Staaten, mit Verträgen, die klar festlegen, wer welche Pflichten und Befugnisse hat.

Der Absender des Papiers vom 31. Jänner, Portugals Premier Antonio Guterres, führt derzeit den Vorsitz im Europäischen Rat. Der besteht aus 16 Beteiligten: aus den Staats- beziehungsweise Regierungschefs der 15 (fünfzehn!) Mitgliedstaaten sowie aus dem Kommissionspräsidenten, jeweils mit engsten Mitarbeitern (Art. 4 des EU-Vertrages). Das "normale" Beschlußorgan, der (Minister-)Rat, besteht ebenfalls aus 16 Mitgliedern (Vertreter der 15 Mitgliedstaaten und der Kommission).

Weder der "Europäische Rat" noch der "Rat der Union" hat eine Sanktionsdrohung beschlosssen. Als die Möglichkeit einer ÖVP-FPÖ-Koalition am Horizont erschien, beantragte die Regierung Belgiens zwar eine Sondersitzung des Rates zur Situation in Österreich - aber dazu kam es seltsamerweise nicht.

Tageszeitungen berichteten, daß und wie die Aktion stattdessen an den EU-Organen und Vertragsbestimmungen vorbeigelenkt wurde. Dabei wurde auch behauptet, daß österreichische Politiker die Hand stark im Spiel gehabt hätten.

Wie dem auch sein mag - von einer echten EU-Aktion zu reden ist schlichtweg falsch. Darüber können die Beteiligten nur froh sein; eine solche wäre nämlich durch die "Unionsverfassung" in keiner Weise gedeckt gewesen.

Tatsächlich hält der Vertragsartikel 6 fest, daß die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit allen Mitgliedstaten gemeinsam sind. Dort heißt es auch: "Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten".

Alle Vertragsbestimmungen sind auch von den Mitgliedstaaten nach Treu und Glauben zu erfüllen. Zu ihren Loyalitätspflichten gehört es, in den Organen konstruktiv mitzuarbeiten und alles zu unterlassen, was die Verwirklichung der gemeinsamen Ziele gefährdet. Unionsorgane und Mitgliedstaaten sind, wie eine kompetente Darstellung des EU-Rechts klar entwickelt, im Verhältnis zueinander zur Loyalität und Solidarität verpflichtet, und dies gilt auch für die Mitgliedstaaten untereinander.

Gibt es Schwierigkeiten, dann sind alle verpflichtet, sozusagen partnerschaftlich nach unionsgemäßen Lösungen zu suchen (Thun-Hohenstein/Cede, Europarecht, 3. Aufl. 1999, S. 153ff.).

Zwar kann eine begrenzte Zahl von Mitgliedstaaten im Rahmen der Union unter bestimmten Voraussetzungen gemeinsame Aktionen im Rahmen der sogenannten "verstärkten Zusammenarbeit" einleiten. Aber die einschlägigen Bestimmungen passen zur Guterres-Aktion überhaupt nicht, und sie wurden auch nicht herangezogen.

Die Sanktionsregeln für den "Fall einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung" der erwähnten den Mitgliedstaaten gemeinsamen und für die Union maßgeblichen Grundsätze wurden erst recht nicht angewandt - sie hätten auch gar nicht angewandt werden können.

Die Rede von "Drohungen der EU" ist also falsch. Solche wurden weder vom Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs noch vom Ministerrat beschlossen. Es handelt sich um nationalstaatliche Akteure, und sie agierten außerhalb der Unionsorgane, an ihnen vorbei. Daß sie dabei das Gegenteil von political correctness an den Tag legten, machte viele Bürgerinnen und Bürger Österreichs mit Recht zornig - auch deklarierte Gegner Haiders.

Andererseits haben EU-Organe in der Tat Stellungnahmen abgegeben - aber die klingen deutlich anders: * Zum einen hat das Parlament eine Stellungnahme (mit 406 gegen 53 Stimmen bei 60 Enthaltungen) beschlossen; über den Inhalt war hart gerungen worden: Die beleidigenden, ausländerfeindlichen und rassistischen Aussagen Jörg Haiders wurden verurteilt, die Regierungsbeteiligung der FPÖ wird als Legitimierung der "extremen Rechten" bezeichnet; rechtsextreme Überzeugungen dürften in den Beziehungen zwischen Österreich und der EU "nicht zum Tragen kommen".

Das Parlament begrüßte auch die "Absicht", "gemeinsame europäische Werte ... zu schützen", und zwar "mit gestiegener Wachsamkeit", die sich auf "Österreich und ganz Europa" beziehen solle.

Sanktionsmaßnahmen sollten, dem Vertrag gemäß, "im Falle einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung" der Unionsgrundsätze ergriffen werden - aber daß es diesen Fall gäbe, wurde nicht behauptet.

* Zum anderen hat die Kommission schon am 25. Jänner erklärt, sie werde zu einer neuen österreichischen Regierung erst Stellung nehmen, wenn sie gebildet ist, an Hand ihres Regierungsprogramms.

Auf die Guterres-Erklärung reagierend berief Präsident Prodi (er war ebensowenig wie der Ballhausplatz in die Produktion der Erklärung eingeschaltet worden) eine Sondersitzung der Kommission ein. Resultat: man teile die Sorgen, die der Stellungnahme zugrundelägen - aber die Zusammenarbeit mit Österreich gehe weiter wie bisher. Originalton des Kommissionssprechers: "Wir drohen Österreich nicht".

Tatsächlich gibt es in der ganzen Sache noch viele weitere Ungereimtheiten und Ärgerlichkeiten. Hier und jetzt sollten nur einige wenige Folgerungen festgehalten werden: Nicht "die EU" hat "Strafaktionen" gegenüber Österreich beschlossen. Vielmehr hat sich gerade die geschmähte Brüsseler Kommission als Hort der Korrektheit erwiesen.

Die pathetisch beschworene "Europäische Wertegemeinschaft" wird nicht in willkürlichen Ad-hoc-Aktionen und in Urteilen über die Betroffenen hinweg zu sich selbst finden können, sondern dann, wenn sie die Gesamtheit ihrer eigenen Prinzipien und Rechtsregeln ernst nimmt (nicht nur die, die gerade einer Mehrheit zupaß kommen, aus welchen Gründen immer).

Zu diesen Prinzipien und Rechtsnormen gehört es nicht nur, über Partner erst dann zu urteilen, wenn man sich mit ihnen auseinandergesetzt (sie zumindest angehört) hat, sondern auch die Befolgung der anderen vereinbarten Regeln, und die Bereitschaft, in Schwierigkeiten partnerschaftlich und solidarisch miteinander umzugehen - mindestens so lange, bis ein Beteiligter (also etwa: eine Mitgliedsregierung) sich wirklich massive Verstöße zuschulden kommen ließ.

Selbstverständlich setzt dies voraus, daß alle sich bemühen, die für die Europäische Union und die Mitgliedstaaten bestimmtenden Grundsätze - wie Demokratie und Menschenrechte - zu achten und nach Kräften zu stärken. Wer in der Europäischen Union oder in einem Mitgliedstaat Verantwortung übernimmt, muß diese Pflicht akzeptieren, und auch das Interesse der Partner an der entsprechenden Verläßlichkeit anerkennen.

Sollte das "Lehrstück" der vergangenen Wochen diese Einsichten zutagebringen und damit zu einer neuen Qualität des europäischen Miteinanders führen, dann hätte sich die Bitternis dieser Wochen gelohnt.

Der Autor lehrte als Politikwissenschaftler an österreichischen und ausländischen Universitäten. Er gehört unter anderem dem Beirat für Europarecht des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten an und vertritt hier seine persönlichen Auffassungen.

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