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Spähtrupp in Brüssel

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Kein Wolkenkratzer überdimensionalen Ausmaßes beherbergt heute die Büros der EWG in der belgischen Hauptstadt — über die ganze Stadt verteilt, sind sie in gemieteten

Objekten untergebracht. Doch am

„Rondpoint Schuman“ ist ein riesiges Bauwerk im Entstehen, gigantisch in seinen Ausmaßen, doch erst in den Umrissen erkennbar. „Ähnlich wie diese Riesenbaustelle sieht im Augenblick die EWG aus“, meint ein hoher Beamter, als wir daran vorbeifahren. Die Mauern stehen wohl schon, doch das Dach fehlt noch: die längst fällige Vereinigung der drei europäischen Gemeinschaften — EWG. Euratom und Montanunion — ist immer noch nicht durchgeführt, ein Ziel, das sich Walter Hallstein noch für seine jetzt ablaufende Amtszeit als EWG-Präsi-

dent gesetzt hat. Doch immerhin: wenigstens diese Probleme sind für Österreich im Augenblick bei der Behandlung seiner Assoziierungswünsche nicht so wichtig

Leiser Optimismus

Die durch Frankreich hervorgerufene Krise war freilich ein harter Brocken für die Behörden in Brüssel. Dennoch glaubt man bereits wieder, vorsichtig optimistisch sein zu können, da der „point of no return“ — ein Terminus, der in Gesprächen mit Funktionären der EWG in Brüssel immer wieder auftaucht — bereits überschritten ist, das heißt, die Verbindung der Wirtschaft der Mitgliedsländer bereits so eng ist, daß das Ausscheiden für Frankreich eine Katastrophe bedeuten würde. Die harten Worte, die über de Gaulles Politik fallen, höflich überhörend, will man Einzelheiten über das Funktionieren der europäischen Behörden wissen: Natürlich auch hier ein Heer von Beamten, Spezialisten ihres Faches, das nationale Gewand eingemottet in den Kasten gehängt, ihre europäische Aufgabe stets eindringlich betonend, selbst die Franzosen unter ihnen. Über die Arbeitsweise der EWG-Organe befragt, sagte Emile Noel, Leiter des Sekre-

Jeder der Mitgliedsstaaten ist im „Die Gemeinschaft ist keine föderalistische Regierung, der im Rahmen ihrer Zuständigkeit die nationalen Regierungen und Parlamente irgendwie untergeordnet werden, ln Brüssel sieht man davon ab, das institutioneile System in eine der von den Völkerrechtlern festgelegten Kategorien einzuordnen: Dies mögen künftige Historiker tun.“ Und so funktioniert die EWG:

Im Vertrag von Rom ist festge legt, daß die der Gemeinschaft übertragenen Aufgaben von vier Organen auszuführen sind: vom

Europäischen Parlament, vom Ministerrat, von der Kommission und vom Gerichtshof.

Das Parlament besteht aus 142 Mitgliedern, die von den-sechs nationalen Parlamenten aus den Kreisen ihrer Abgeordneten ernannt werden.

Jede der Mitgliedsstaaten ist im Ministerrat durch einen ihrer Minister vertreten. Der Rat kann also je nach den zu behandelnden Gegenständen verschieden besetzt sein. Zwar gilt der Außenminister gewissermaßen als der Hauptvertreter seines Landes im Minis terra t, dooh nehmen häufig auch die Minister für Landwirtschaft, Verkehr, Finanzen usw. entweder allein oder als Begleiter des Außenministers an den Sitzungen teil.

Die Kommission besteht aus neun Mitgliedern, die von den sechs Regierungen einstimmig für vier Jahre ernannt werden. Während ihrer Amtszeit müssen die Mitglieder der Kommission völlig unabhängig von ihrer Regierung und auch vom Ministerrat handeln. Der Rat ist nicht berechtigt, einem Mitglied der Kommission das Mandat zu entziehen. Nur das Parlament könnte durch ein Mißtrauensvotum den automatischen Rücktritt der Kommission veranlassen.

Dem Rat und der Kommission steht der Wirtschafts- und Sozialausschuß zur Seite, ein beratender Ausschuß, dem Vertreter aus Wirtschaft, Landwirtschaft, Gewerkschaften usw. angehören. In vielen Dingen muß der Rat oder die Kommission den Ausschuß anhören, ehe ein Beschluß gefaßt werden kann. Der Ausschuß sorgt auch dafür, daß Wirtschaft und Arbeitnehmer bei der Entwicklung der Gemeinschaft mitwirken.

Schließlich achtet der Gerichtshof, der aus sieben von den Regierungen im gegenseitigen Einvernehmen auf sechs Jahre ernannten Richtern besteht, darauf, daß bei der Durchführung des Vertrages das Recht gewahrt wird.

Diese Kurzbeschreibung der Organe ist noch durch einen Überblick darüber zu ergänzen, wie der Rat und die Kommission ihre Ziele unter den für den Einzelfall im Vertrag vorgesehenen Bedingungen erreichen können. Zunächst können sie Verordnungen erlassen. Nach dem Vertrag ist eine Verordnung allgemein anwendbar; sie ist ferner in jeder Hinsicht verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Sie können auch für einen oder mehrere Mitgliedstaaten Richtlinien erlassen. Eine Richtlinie ist für den Mitgliedstaat verbindlich, an den sie gerichtet ist, jedoch nur in bezug auf das Ergebnis; den staatlichen Behörden bleibt es überlassen, die Form und die anzuwendenden Mittel zu wählen.

Eine wichtige Frage

Und spätestens hier muß der Besucher aus Österreich im EWG- Gehiim die Frage stellen, ob sich Mitgliedschaft und Neutralität nach diesem Statut unter einen Hut bringen lassen. Die Antwort erfolgt eher zögernd, man hat sich, scheint’. , in Brüssel und in Wien wohl bereits die Köpfe zerbrochen, eine endgültige Lösung jedoch noch nicht gefunden. In groben Umrissen dürfte das Ergebnis allerdings so aus- sehen: In einem Assoziierungsrat werden Österreich und die EWG gleichberechtigt abstimmen dürfen, was Österreich zu einem Vetorecht verhilft, sollten neutralitätspolitische Erwägungen bei einer Abstimmung berücksichtigt werden müssen. Die Entscheidung darüber, was mit einer Neutralität vereinbar ist, würde Brüssel ebenfalls Österreich überlassen. Ein Schiedsgericht schließlich soll dann entscheiden, wenn es in der Neutralitätsauslegung zwischen der Gemeinschaft und Österreich zu Differenzen käme.

Sicherlich: gerade über diese Abschnitte des Vertrages wird noch viel gesprochen werden müssen. Trotzdem glaubt man, den Vertrag bis Ende 1967 zur Unterschrift vorlegen zu können — und dann können erst recht Schwierigkeiten auf- treten, da er ja durch die Parlamente der Mitgliedsländer — als erstes würde Österreich unterzeichnen — ratifiziert werden muß.

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