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Die ,monocolore' Konfrontation

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Seit Ende der Koalitionszeit wird diese Frage besonders häufig und bisweilen heftig diskutiert. Sehr oft geschieht das in engem Zusammenhang mit der Frage, ob es noch eine gemeinsame Integrationspolitik der großen Parteien gibt bzw. ob es so etwas je gegeben hat. Diese beiden Fragen hängen ohne Zweifel eng zusammen. Zunächst konzentrieren wir uns aber auf die erste.

Die Frage nach der Kontinuität einer Politik muß auf ein Subjekt bezogen werden, auf die Regierung und auf politische Parteien.

Der SPÖ wurde oftmals vorgeworfen, sie sei von Anfang an „gegen die EWG“ gewesen und habe später unter dem Druck der ÖVP und der öffentlichen Meinung ihre Einstellung geändert, zumal sie die Annäherungsversuche der Regierung gegenüber der EWG möglich gemacht hat. Seit die Sozialisten in der Opposition sind, würden sie ihr „wahres Gesicht“ zeigen. Sie trachteten, die Integrationspolitik der Regierung zu sabotieren. Sie seien überhaupt gegen den Sondervertrag Österreichs mit der EWG.

Vorwürfe gegen SPÖ und ÖVP

Der ÖVP wurde vorgeworfen, sie habe zweimal ihre Einstellung geändert. 1959 60 habe sie geleugnet, daß ein Zusammenhang zwischen Neutralität und Staatsver- trag einerseits und Assoziierung mit der EWG anderseits bestünde. 1961 62 habe sie sich aber in der Regierung die sozialistische Auffassung zu eigen gemacht, daß dieser Zusammenhang zu bejahen sei. Nach Ende der Koalition sei die ÖVP in einigen wichtigen Punkten von der gemeinsam erarbeiteten Integrationspolitik abgegangen. Insofern könne nicht mehr von einer Kontinuität der Regierungspolitik in Fragen der Integration gesprochen werden.

Der erste Vorwurf gegen die SPÖ, sie sei „gegen die EWG“, ist sicherlich unhaltbar. Gegner der EWG war nur eine nicht ins Gewicht fallende Minderheit der Partei. Die SPÖ war allerdings im Vergleich zur ÖVP viel kritischer gegenüber der EWG. Überdies war sie unter Kreiskys Einfluß außenpolitisch vorsichtiger. Kreisky wies auf die völkerrechtlichen und außenpolitischen Schwierigkeiten eines Vertrags Österreichs mit der EWG hin. Trotzdem hielt er ein Nahverhältnis Österreichs zur EWG für möglich um ? erstrebenswert.. Die Sozialisten wären bezüglich der Möglichkeit, mit” der EWG” verhältnismäßig rasch einen Associations vertrag abzuscMiießen, sehr skeptisch.

Die erste Kontaktnahme Österreichs mit der EWG wurde von den Sozialisten ganz und gar bejaht, da diese Initiative als Teil einer größeren Initiative fast aller EFTA-Staa- ten, die beiden anderen Neutralen eingeschlossen, aufgefaßt wurde. Die zweite österreichische Kontaktnahme mit der EWG (1963) wäre nicht zustande gekommen — jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt —, wenn die Sozialisten allein entscheiden hätten können. Kreisky hielt diesen Schritt aus den bekannten Gründen damals außenpolitisch nicht für opportun.

SP-Taktik: „Bipartisan“-Po!itik

Die SPÖ entwickelte damals in der Integrationsfrage eine „Bipartisan“- Politik, die den Wünschen der ÖVP, die auf eine rasche Aufnahme von Verhandlungen mit der EWG großen Wert legte, Rechnung zu tragen suchte, ohne die endgültige Entscheidung der SPÖ in der Sache zu präjudizieren. Dabei haben offenbar folgende zwei Gesichtspunkte eine Rolle gespielt:

• Wichtiger als der Zeitpunkt der Verhandlungen — der überdies von selten der. EWG stark hinausgezögert wurde — erschienen der Zeitpunkt und die Bedingungen des Vertragsabschlusses. Hier geht es nicht nur um die Berücksichtigung von Staatsvertrag und Neutralität, sondern überdies um die gesamte Problematik der Erweiterung der EWG.

• Die SPÖ war von allem Anfang an sehr skeptisch, ob es überhaupt oder jedenfalls auf absehbare Zeit zu einem Vertragsabschluß kommen könnte. Wenn der Vertrag nicht auf absehbare Zeit zustande kommt, fällt der — nach Auffassung der SPÖ — verfrühte Verhandlungsbeginn weniger ins Gewicht.

Seit 1967 lassen äußere Umstände die Verwirklichung der Ziele der österreichischen Integrationspolitik auf absehbare Zeit eindeutig nicht mehr als möglich erscheinen. Die Sozialisten fordern von der ÖVP, den veränderten Bedingungen in ihrer Politik Rechnung zu tragen; sie war-

fen der ÖVP bis Jänner 1968 vor, die veränderten Bedingungen nicht zur Kenntnis zu nehmen, und seither, daß sie daraus — von der Amtsenthebung des Vizekanzlers Bock abgesehen — nicht die nötigen Konsequenzen gezogen hätte. Die Politik müsse nun darin bestehen, einerseits alle Möglichkeiten zur Verminderung der Diskriminierung des österreichischen Außenhandels in der EWG auszuschöpfen und anderseits für allenfalls unvermeidbare Verluste in der EWG zumindest teilweise Ersatz zu suchen (vor allem durch verstärkte Ausweitung des Handels mit den EFTA-Partnern und mit den Oststaaten). Nach sozialistischer Auffassung hat die Regierung in dieser Hinsicht nicht alle Möglichkeiten genützt.

„Metamorphose" der ÖVP

Bundeskanzler Raab hat in seinen bekannten Erklärungen vor dem Nationalrat vorn 26. November 1959 und vom 23. März 1960, die formell Regierungsdokumente sind, die Frage offengelassen, ob ein Zusammenhang zwischen Neutralität und Staatsvertrag einerseits und Assoziierung mit der EWG anderseits bestünde, wie die Sozialisten behauptet hatten.

Handelsmimster Bock verneinte mehrmals ausdrücklich den Zusammenhang zwischen Neutralität und - der Stellung Österreichs zur EWG. Am 1. April 1960 schrieb er in einem Artikel: „Wer die Beziehungen Österreichs zum Gemeinsamen Markt mit Neutralitätsproblemen belastet, leistet sowohl der politischen Souveränität Österreichs als auch seiner wirtschaftlichen Entwicklung einen schlechten Dienst.“ Mitte November desselben Jahres stellte er in einem Artikel fest:

„ ergibt sich, daß die österreichische Neutralität in Wirklichkeit kein Hindernis für den Beitritt Österreichs zur EWG gewesen ist, sondern daß es die wirtschafts- und sozialpolitischen Überlegungen waren, die Österreich daran hinderten."

In den Jahren 1961 und 1962 wurde der Zusammenhang zwischen Neutralität und Stellung Österreichs zur EWG in zwei Regierungsdoku-' menten bejaht. Im österreichischen Ansuchen vom 12. Dezember 1961 um die Aufnahme von Verhandlungen mit der EWG ist von der immerwährenden Neutralität und den zwischenstaatlichen Vereinbarungen Österreichs die Rede, welchen Rechnung zu tragen wäre. Desgleichen in der Erläuterung des Ansuchens durch den damaligen Außenminister Kreisky — diese Erklärung beruhte allerdings auf einem Beschluß des Ministerrats — vor dem Rat der EWG am 28. Juli 1962; bei dieser Gelegenheit wurden die Neutralitäts- und staatsvertraglichen Vorbehalte etwas präzisiert.

Österreichs Austritt aus der EFTA?

Es ist wohl unbestreitbar, daß die SPÖ früher als die ÖVP den Zusammenhang zwischen der internationalen Position Österreichs und der Stellung des Landes zur EWG erkannt hat, das heißt, daß eine Vollmitgliedschaft Österreichs in der EWG mit dem außenpolitischen Status Österreichs unvereinbar wäre und daß somit ein andersgeartetes Nahverhältnis, das den österreichischen Bedürfnissen Rechnung trägt, anzustreben sei. Das spricht für eine stärkere Kontinuität der Haltung der SPÖ.

Bezüglich der Stellung Österreichs zur EFTA ist eine Diskontinuität

zwischen der Haltung der von der ÖVP gebildeten gegenüber der Koalitionsregierung objektiv unleugbar. Am 7. Juni 1967 sagte der damalige Vizekanzler Bock — vom Abgeordneten Pittermann durch einen Zwischenruf zu dieser Präzisierung herausgefordert — im Nationalrat,

daß er in der Koalitionsregierung bereits verlangt habe, mit der EWG über die „Arbeitshypothese“ eines Austritts Österreichs aus der EFTA zu verhandeln, allerdings ohne Erfolg. Inzwischen konnte die Verhandlung über diesen Gegenstand nachgeholt werden, da die Zustimmung der Sozialisten nicht mehr erforderlich erschien. Ganz gleichgültig, wie man die Frage materiell beurteilt, die Diskontinuität ist unseres Erachtens sachlich unbestreitbar.

integrationspoliitisehe nßKon- zept der Koalitionsregierung beruhte auf der Hypothese, daß die Ziele (vor allem Sondervertrag mil der EWG) innerhalb eines absehbaren Zeitraums verwirklicht werden könnten. Daß die Wirklichkeitsnähe dieser Hypothese in den beiden Koalitionsparteien unterschiedlich eingeschätzt wurde, ist dabei von sekundärer Bedeutung. Heutzutage ist die Hypothese augenscheinlich unhaltbar: Mit dem Abschluß eines „Sondervertrags“ Österreichs mit der EWG ist gegenwärtig auf absehbare Zeit sicher nicht zu rechnen. Die von der ÖVP gebildete Regierung wollte, wie oben bereits angedeutet, in zweifacher Weise „die Kontinuität aufrechterhalten“:

• Bis zur jüngsten Regierungsumbildung wurden die veränderten äußeren Bedingungen nicht zur Kenntnis genommen, die auf absehbare Zeit die Verwirklichung der Integrationsziele unmöglich erscheinen ließen.

• Die neue Regierung scheint —mit beträchtlicher Verspätung — die veränderten äußeren Bedingungen zwar zur Kenntnis nehmen zu wollen, ohne aber — was viel entscheidender ist — die Integrationspolitik neu zu formulieren. Es genügt nicht, das „Endziel“ zu proklamieren. Die Regierung muß überdies eine Integrationspolitik für die Gegenwart und die nächsten Jahre entwerfen.

Da die veränderte äußere Situation nicht rechtzeitig richtig eingeschätzt worden ist, wurden auch in der Integrationspolitik Fehler begangen. Die Möglichkeiten, die Diskriminierung der österreichischen Exporte in die EWG im Rahmen der Kennedy-Runde zu reduzieren, wurden offenbar nicht voll genützt. Es wurden überdies augenscheinlich nicht genügend Anstrengungen unternommen, Österreichs Handel mit anderen Regionen (vor allem EFTA und Osthandel) stärker auszuweiten, als dies geschehen ist. Zu der Ausweitung dieses Handels kam es trotz der Passivität der Regierungspolitik.

Nach diesen Überlegungen können wir uns konkret die Frage vorlegen, in weicher Partei die Kontinui-

tat der Integrationspolitik stärker gewesen ist.

1. Die SPÖ hat früher als die ÖVP den engen Zusammenhang zwischen der internationalen Position Österreichs und der Stellung des Landes zur EWG erkannt. Das spricht für eine stärkere Kontinuität der Haltung der SPÖ.

2. Die ÖVP ist in einigen Punkten von den von ÖVP und SPÖ in der Koalitionszeit gemeinsam erarbeiteten Grundsätzen der Integrationspolitik abgegangen. Die SPÖ hält sich nach wie vor an diese Grund-

sätze. Das spricht ebenfalls für eine stärkere Kontinuität der Haltung der SPÖ.

3. Die ÖVP trat für die Aufrechterhaltung der Konzeption der Integrationspolitik noch zu einer Zeit ein, da die Bedingungen, auf welchen die Konzeption beruhte, weggefallen sind. Die ÖVP hat bisher keine den veränderten Bedingungen gemäße Konzeption der Integrationspolitik entwickelt.

Damit wird aber deutlich, daß die Köhtinuität nicht unter allen Umständen erstrebenswert ist. Sicherlich kärin šie normalerweise nicht Hauptziel der Außenpolitik sein. Sie ist genaugenommen überhaupt kein Ziel, sondern eine Haltung, die ihren Sinn von der Zielsetzung her bekommt. Eine Politik ist überdies unter anderem nur dann glaubwürdig und „effektiv“, wenn sie nicht zu häufig völlig verändert wird.

Bestimmte Grundsätze der Politik verlangen eine starke Kontinuität, zum Beispiel die Grundsätze der österreichischen Neutralitätspolitik. Die Detaillierung dieser Grundsätze ist eher Wandlungen fähig.

Abhängigkeit von einem Konzept

Die Stärke der Kontinuität einer Politik hängt auch von der Konzeption der Politik ab. Wenn die Kon-

zeption in ihrer Zielsetzung sehr weit geht oder wenn diese sehr eng umschrieben ist, wird die Kontinuität erschwert. Auf unseren Fall angewandt: Die ÖVP hat sich auf den Sondervertrag mit der EWG und auf die Möglichkeit, dieses Ziel auf absehbare Zeit zu verwirklichen, ganz und gar festgelegt. Sie hat sich ein Maximalziel gesetzt. Aus diesem Grund und wegen der Vernachlässigung äußerer Bedingungen mußte es zum Scheitern der Politik kommen. Die ÖVP wird eine eindeutige Änderung ihrer Politik früher oder später nicht vermeiden können.

Die Kontinuität einer Politik wird erleichtert, wenn sich die Konzeption bezüglich der Ziele bescheidet und den äußeren Bedingungen soweit als möglich Rechnung zu tragen sucht. Wieder auf unseren Fall angewandt: Die SPÖ ist in ihrer Konzeption im Vergleich zur ÖVP von weniger weit gesteckten Erwartungen ausgegangen. Sie hat es für nicht sehr wahrscheinlich gehalten, den Sondervertrag Österreichs mit der EWG innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums zu erreichen. Sie trat also für eine pragmatische Politik ein: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft, wodurch die negativen Auswirkungen der Zölle reduziert werden; alle Möglichkeiten zur Verminderung der Diskriminierung der österreichischen Exporte durch die EWG sollten voll ausge- schönft werden; der Handel mit anderen Regionen (vor allem mit den EFTA-Partnern und mit den Oststaaten) sollte so stärk wie möglich ausgeweitet werden.

Dialog oder Konfrontation?

Wenn seit einiger Zeit die SPÖ den Umstand beklagt, daß eine gemeinsame Außenpolitik — insbesondere in der Integrations- und in der Südtirolfrage — der Vergangenheit angehört, so stellt sich die Frage, ob beziehungsweise inwieweit es diese gemeinsame Außenpolitik je gegeben hat. In der Außenpolitik wie auf vielen anderen Gebieten der Politik haben die Koalitioneparteien bisweilen sehr unterschiedliche Meinungen vertreten. Allerdings war man damals miteinander im Gespräch und um einen Kompromiß bemüht. Auf dieser Grundlage konnte die Koalitionsregierung gemeinsame Beschlüsse fassen, die für beide Koalitionsparteien bindend waren.

Dialog wäre geeigneter als Konfrontation

Bezüglich einer gemeinsamen Integrationspolitik seit Ende der Koalition stellen sich drei Fragen: Ist eine gemeinsame Politik möglich, ist sie nötig und ist sie wünschenswert? Von 1960 bis 1966 hat es unter Außenminister Kreisky eine gemeinsame Südtirolpolitik aller drei im Parlament vertretenen Parteien gegeben, also nicht nur der Regierungsparteien. Was damals möglich war, müßte auch heutzutage möglich sein. Ist eine gemeinsame Politik nötig? Zur Verwirklichung der Ziele der Integrationspolitik der Regierung bedürfte es in Österreich der Zweidrittelmehrheit des Nationalrates, also der Zustimmung der SPÖ. Das ist also ein verfassungsrechtliches Erfordernis. Daß eine möglichst breite Unterstützung der Regierungspolitik durch die politischen Parteien außenpolitisch erwünscht wäre, braucht nicht weiter unterstrichen zu werden.

Vor diesem Hintergrund mögen es die Historiker einmal schwer haben, dahinterzukommen, warum es trotzdem keine gemeinsame Politik wenigstens der beiden großen Parteien gibt. Die Opposition wird nur mangelhaft informiert. Damit fällt bereits die Grundbedingung einer gemeinsamen Politik weg. Die von der ÖVP gebildete Regierung hält sich nicht mehr an alle der gemein-

sam mit der SPÖ erarbeiteten Grundsätze und leugnet gleichzeitig in der Öffentlichkeit diesen Tatbestand. Eine gemeinsame Integrationspolitik hätte vorausgesetzt, daß dio Regierung die Politik im Einvernehmen mit der Opposition weiterentwickelt. In einer solchen Situation kann es nicht überraschen, daß auch die Opposition eigene Wege geht, ohne sich vorher mit der Regierung abzusprechen. Die SPÖ empfiehlt im Hinblick auf die veränderten äußeren Bedingungen eine andere Taktik und stellt sich damit ihrerseits in Gegensatz zur Ö57P.

Die Regierung mußte die Nachteile in Kauf nehmen, die ihr aus der außenpolitischen Konfrontation mit der Opposition erwachsen. Wenn die Regierung das legitime Informationsbedürfnis der Opposition — nicht bloß verbal, sondern tatsächlich — anerkennt und wenn sie den Dialog anstatt der Konfrontation sucht, wäre eine baldige Rückkehr zu einer gemeinsamen Außenpolitik denkbar. Die äußeren Bedingungen würden eine solche Entwicklung erleichtern, da sie nahelegen, die Integrationspolitik auf pragmatische Weise neu zu überdenken; so könnten limitierte Ziele gesetzt werden, die auf kurze Sicht (das heißt während des Zeitraums von einigen Jahren) realisierbar wären.

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