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Die Verflachung der Konjunkturkurve

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Wie immer bietet die Veranstaltung einer Messe, in Besonderheit die Wiener Frühjahrsmesse, Gelegenheit, zu einigen wirtschaftlichen Problemen Österreichs Stellung zu nehmen. Das Hauptmerkmal der wirtschaftlichen Entwicklung, nicht nur in Österreich, sondern in allen Staaten des freien Europas, ist gegenwärtig in einer deutlich sichtbaren Verflachung der Konjunkturkurve zu erkennen. Die Zunahme des Bruttonationalprodukts wird überall unter dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre liegen. Dies bedeutet keineswegs eine Krise der Wirtschaft, sondern vielmehr eine Stabilisierung des gegenwärtig hohen Niveaus der wirtschaftlichen Entwicklung. Man könnte dieser europaweiten Entwicklung daher ohne Sorgen entgegenblicken, wenn man die Überzeugung haben könnte, daß dieser Konjunkturverflachung auch der feste Wille und die politischen Möglichkeiten der Regierungen Rechnung tragen werden. Gerade das aber ist es, was zu Zweifeln und daher auch zu Besorgnissen Anlaß gibt, vor allem in Österreich, aber nicht nur bei uns!

Es sei zunächst auf die Ereignisse in der deutschen Bundesrepublik verwiesen. Professor Erhard hat in klarer Erkenntnis der wirtschaftlichen Entwicklungstendenz deutlich vom Sparen, Maßhalten, ja sogar von der Notwendigkeit, mehr zu arbeiten, mit dankenswerter Offenheit gesprochen. Seiner Initiative war aber kein Erfolg beschieden. Die angekurbelte Lohnwelle — die bedeutendste seit Jahren in der Bundesrepublik — und die strikte Ablehnung der vorgeschlagenen Arbeitszeitverlängerung um eine Stunde je Woche waren eine mehr als deutliche Antwort darauf. Die Produktionskostenvermeh- rung in der deutschen Industrie wird daher bei einer Konjunkturverflachung die deutsche Wirtschaft vor schwierige Probleme stellen.

Auch in Österreich ist für 1966, vielleicht auch noch für das nächste Jahr, mit einem Rückgang der Zunahme des Bruttonationalproduktes zu rechnen. Die Zunahme wird gegenüber 5 bis 6 Prozent in den vergangenen Jahren wahrscheinlich nur mehr 3 bis 3,5 Prozent betragen. Das aber bedeutet unter anderem für die ohnedies aufs äußerste angespannte Budgatsituatiom den Zwang zu größter Sparsamkeit, das heißt Verzicht auf vieles, was man sich gerne erwarten würde. Vor allem aber ist ein besonderes Augenmerk der österreichischen Exportsituation zuzuwenden. Es ist bekannt, daß aus vielen Gründen die Konkurrenzlage auf den Weltmärkten eine immer schärfere wird. Was an steigenden Produktionskosten in großen Wirtschaftsräumen zum Teil durch den fortschreitenden Konzentrationsprozeß in der Produktion von Massengütern noch aufgefangen werden kann, wird in Österreich infolge des noch immer bestehenden Ausschlusses der österreichischen Wirtschaft vom großen westeuropäischen Wirtschaftsraum ein sehr ernstes Problem werden, über das steigende Umsatzziffern nicht hinwegtäuschen dürfen, wenn damit, wie es nun schon sehr häufig der Fall ist, sinkende Erträge, ja sogar Betriebsverluste verbunden sind. Die Forderung nach höherer Produktivität stellt sich somit unabweislich! Die Voraussetzungen hiezu aber, nämlich eine ausreichende Kapitalbasis und der Wille zur Mehrleistung, fehlen hierorts oder sind zumindest nicht in genügendem Ausmaße vorhanden. Diesen eher bedenklichen Aspekten soll aber auch ein erfreulicher gegenübergestellt werden, der sich allenthalben in den österreichischen Betrieben bemerkbar macht: es ist die zunehmende Erkenntnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge in den Reihen der Arbeitnehmerschaft; zahlreiche Diskussionen mit Arbeitern und Angestellten in den Betrieben beweisen mir das. Es bleibt also zu hoffen, daß die heute schon weit verbreitete Einsicht in die Gesetzlichkeit einer sozialen Marktwirtschaft stärker sein möge, als das auf Sekretariatsebene immer wieder feststellbare Bedürfnis, ziffernmäßige Lohnerfolge herauszuschinden, wenngleich dadurch die Reallöhne nicht nur keine Verbesserung, sondern mitunter sogar eine Verschlechterung erleiden müßten.

Wenn ich so offen von bestimmten Sorgen der österreichischen Exportwirtschaft gesprochen habe, dann muß ich in diesem Zusammenhang auf einen bedeutenden Exportfaktor, den Fremdenverkehr, verweisen. Er hat auch im abgelaufenen Jahr eine bedeutende Steigerungsrate aufzuweisen gehabt, und es deuten alle Anzeichen darauf hin, daß sich diese Entwicklung auch im heurigen Jahr fortsetzen wird; das heißt aber, daß wir in diesem Sektor mit der gleichen Zuwachsrate wie in den vergangenen Jahren rechnen können. Dies ist nicht nur erfreulich, sondern auch eine absolute Notwendigkeit, denn nur durch die Devisenüberschüsse aus dem Fremdenverkehr kann Österreich sein ständig steigendes strukturelles Handelspassivum abdek- ken. Wäre es nicht so, müßte Österreich von seiner ‘liberalen Handelspolitik Abstand und zu sehr einschneidenden restriktiven Maßnahmen seine Zuflucht nehmen. Die nun abgeschlossene Importliberalisierung hätte nicht durchgeführt werden können und Österreich wäre nicht in der Lage gewesen, eine wirklich liberale Handelspolitik zu führen.

Die Exportprobleme hängen selbstverständlich auch mit der österreichischen Integrationspolitik eng zusammen. Die Bemühungen um einen Vertrag mit der EWG gewinnen gerade dadurch ihre besondere Bedeutung. Umgekehrt gesagt, heißt das aber auch, daß ein Nichtzustandekommen des von uns angestrebten Vertrages mit Brüssel ernste wirtschaftliche Gefahren für Österreich heraufbeschwören müßte. Um so unverständlicher ist daher die Meinung jener, die die Auffassung vertreten, daß das Integrationsproblem nicht so dringlich wäre und ruhig verschoben werden könne, bis sich allenfalls einmal eine gesamteuropäische Lösung ergäbe. Diese gesamteuropäische Lösung ist aber gegenwärtig leider nicht zu erkennen. Der sogenannte Brückenschlag zwischen EWG und EFTA, ein vom britischen Premierminister vor allem bei der EFTA-Konferenz in Wien besonders stark akzentuiertes Thema, könnte nur dann eine Lösung für Österreich darstellen, wenn mit ihm vor allem das Problem dar Diskriminierung aus der Welt geschafft würde. Hiezu bieten sich nur die zwei Lösungsmöglichkeiten, nämlich eine Zollunion oder eine Freihandelszone zwischen EWG und EFTA, an. Gerade das aber wird von EWG-Seite als geradezu indiskutabel abgelehnt. Alle anderen Bestandteile einer solchen Brücke, wie etwa die Harmonisierung des Wettbewerbsrechtes auf dem Gebiet der Kartelle, des Patent- und Normenwesens, des ‘ Geld- und Kreditwesens und ähnliches mehr, sind zwar ohne Zweifel wünschenswerte Elemente einer solchen Brücke, aber ohne Bereinigung des Zollproblems als völlig unzureichend für einen sogenannten Brückenschlag zu bezeichnen.

Daß uns die EFTA weitgehend enttäuscht hat, bedarf fast keines Beweises mehr. Seit sich die britische Regierung zur Einhebung einer Importabgabe entschließen mußte, die nicht nur die gesamte Zollsenkungsaktion innerhalb der EFTA für die Exporte nach Großbritannien aufgehoben hat, sondern heute in einzelnen Positionen eine höhere Zollbelastung darstellt als vor dem Beginn des EFTA-inter- nen Zollabbaues, sind die Vorteile der EFTA- Zugehörigkeit Österreichs mit Ausnahme gegenüber der Schweiz praktisch uninteressant geworden. Zeigt schon der Bruttovergleich der österreichischen Exportquantitäten nach der EWG bzw. nach den EFTA-Staaten (48 Prozent nach der EWG, 17 Prozent nach der EFTA), daß die EFTA-Vorteile niemals einen Ausgleich für den österreichischen Export gegenüber den Nachteilen der Zolldiskriminie- rung seitens der EWG ergeben können, so verschiebt sich dieser Vergleich auf Grund des eben Gesagten noch bedeutend zuungunsten der EFTA. Die österreichischen Exporte nach Großbritannien sind seit der Einführung der Importtaxe bedeutend zurückgegangen. Fügt man dem noch die österreichische Exportposition gegenüber der Montanunion hinzu und berücksichtigt man ferner, daß rund 90 Prozent des österreichischen Agrarexportes in die EWG-Staaten gehen, so rundet sich das Bild ab, das uns mit krasser Eindeutigkeit die Notwendigkeit eines Vertrages mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vor Augen führt.

Dieser kurze und keineswegs vollständige Hinweis auf einige Gegenwartsprobleme der österreichischen Wirtschaft kann aber auch nicht abgeschlossen werden, ohne zuversichtlich darauf zu verweisen, daß wir die Probleme kennen und, weil wir sie kennen, auch imstande sind, sie zu lösen, wenn der politische Wille dazu und die gebotene Einsicht vorhanden sind. Der Souverän Österreichs, sein Volk, hat vor wenigen Tagen mit der Berufung der Mandatare in den neuen Nationalrat hiezu den Auftrag gegeben!

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