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Notlösung mit Zukunftschancen

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Mit der Verwirklichung der Freihandelszone und dem Zollabbau wurden wesentliche Zielsetzungen des EFTA-Abkommens Realität. Ist dieser Wirtschaftsraum noch bedeutend?

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Mit der Verwirklichung der Freihandelszone und dem Zollabbau wurden wesentliche Zielsetzungen des EFTA-Abkommens Realität. Ist dieser Wirtschaftsraum noch bedeutend?

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Am 3. Mai 1960 trat die sogenannte Stockholmer Konvention in Kraft, die durch die European Free Trade Association, also die Europäische Freihandelsassoziation, geschaffen wurde. Die sieben Gründungsmitglieder waren neben Großbritannien, das die treibende Kraft darstellte, die drei neutralen europäischen Staaten Österreich, Schweiz und Schweden sowie Norwegen, Dänemark und Portugal. Inzwischen sind Großbritannien und Dänemark zur Europäischen Gemeinschaft (EG) übergewechselt, dafür Island und Finnland (letzteres als assoziiertes Mitglied) der EFTA beigetreten. Immer noch kann von einer Gemeinschaft der Sieben gesprochen werden. Der bevorstehende Beitritt Portugals zur EG würde allerdings sein Ausscheiden aus der EFTA-Ge-meinschaft — voraussichtlich mit Ende dieses Jahres — bedeuten.

Die Gründung der EFTA kann nicht als positive Initiative für ein wirtschaftlich vereinigtes Europa gewertet werden. Sie stellte vielmehr eine Defensivmaßnahme einer Gruppe von Staaten dar, die aus unterschiedlichen Gründen nicht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitreten konnten oder wollten. Den entscheidenden Anstoß zur Gründung der EFTA bewirkte jedoch das Scheitern der Verhandlungen um eine große Freihandelszone im Rahmen der Vorläuferorganisation der heutigen OECD.

Dennoch konnte die EFTA von Anfang an nicht als Gegenstück zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft betrachtet werden, da sich ihre Zielsetzung im wesentlichen auf die Schaffung einer Freihandelszone beschränkte, während die EWG als umfassende Wirtschaftsgemeinschaft mit politischen Zielsetzungen und supranationalen Institutionen konzipiert war. Aber auch im Bereich der Handelspolitik unterscheidet sich die EFTA als Freihandelszone vom Modell der Zollunion, auf das sich die EG stützt: Im Gegensatz zu diesen hat die EFTA auf eine einheitliche Zollregelung Drittländern gegenüber verzichtet Deswegen haben auch die sogenannten Ursprungsregelungen in der EFTA eine besonders große Bedeutung. Gäbe es sie nicht, würde jedes Drittland, das in die EFTA exportieren möchte, dies über das EFTA-Land mit dem niedrigsten Außenzoll tun, auch wenn es nicht das Bestimmungsland der Ware ist.

Die EFTA bildete von Anfang an ein wesentlich heterogeneres Staatengebilde als die ursprüngliche Sechsergemeinschaft. Es fehlte und fehlt die geographische Geschlossenheit, gleichzeitig waren in der EFTA Länder mit höchst unterschiedlicher Wirtschaftsstruktur zusammengefaßt. Dementsprechend blieben die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen auf wenige Bereiche, darunter vor allem die Schaffung einer möglichst breiten europäischen Freihandelszone, beschränkt.

Trotz annähernd gleicher Fläche der beiden europäischen Organisationen stellt die EG eine ungleich größere Wirtschaftsmacht als die EFTA dar: etwa 270 Millionen Einwohnern der EG-Länder stehen etwa 40 Millionen in den EFTA-Staaten gegenüber. Während die EG mehr als ein Drittel zum Welthandel beiträgt, liegt der Anteil der EFTA bei sechs Prozent. 1983 machte der In-tra-EFTA-Handel nur knapp 14 Prozent des Exports der EFTA-Länder aus, während über die Hälfte der EFTA-Ausfuhr in EG-Länder ging. Es lag daher im natürlichen Interesse der EFTA-Staaten, mit den EG-Ländern zu einer Freihandelsvereinbarung zu kommen.

Dies wurde erst im Zuge der Beitritte Großbritanniens und

Dänemarks zur Europäischen Gemeinschaft möglich, die 1972 erfolgten und zu einer Bewährungsprobe für die EFTA-Solidarität wurden. Hatten doch die EFTA-Länder vereinbart, daß ein Beitritt zur EG für ein EFTA-Land nur akzeptabel wäre, wenn auch für die anderen EFTA-Mitglieder eine befriedigende Lösung im Verhältnis zur EG gefunden werden könnte. Diese bestand nun im Abschluß von weitgehend gleichlautenden Freihandelsabkommen der einzelnen restlichen EFTA-Mitglieder mit der EG. Der darin vereinbarte Zollabbau für Industriewaren war — mit Ausnahme einiger sensibler Produkte - im wesentlichen 1977 abgeschlossen.

Der Beitritt Österreichs zur EFTA konnte die Nachteile, die das Fehlen eines Freihandelsabkommens mit der EG unserem Land viele Jahre hindurch gebracht hatte, nicht kompensieren. Der Anteil der sechs ursprünglichen EWG-Länder am österreichischen Export ging zwischen 1960 und 1974 von über 50 Prozent auf 36 Prozent zurück.

Mit der Verwirklichung der Freihandelszone innerhalb der EFTA und dem Zollabbau gegenüber den EG-Staaten war die wesentliche Zielsetzung des EFTA-Abkommens verwirklicht. Es stellt sich daher die Frage nach der weiteren Lebensberechtigung dieser „dauerhaften Notlösung”, wie sie einmal in einem Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung genannt wurde. Sicherlich kommt der EFTA zugute, daß sie mit einem nur rund 70 Mitarbeiter umfassenden Sekretariat in Genf eine ausgesprochen „billige” internationale Organisation ist. Wenn jedoch in der letzten Zeit die EFTA wieder häufig auf den Wirtschaftsseiten der internationalen Presse aufscheint, so spiegelt das vor allem eine geänderte Einstellung der EG gegenüber den restlichen westeuropäischen Staaten wider, die ihren Ausdruck in einem ersten gemeinsamen Ministertreffen der zehn EG- und sieben EFTA-Länder im April des vergangenen Jahres in Luxem-. bürg gefunden hat.

Die Tatsache, daß Europa heute im Kräftefeld zwischen den Vereinigten Staaten und dem pazifischen Raum an Einfluß eingebüßt hat, daß Schlagworte wie Eurosklerose und Europessimismus durch die Medien gehen, hängt eng mit der fehlenden Einheit des europäischen Marktes zusammen. Inzwischen ist längst klar geworden, daß Zölle nur eines von zahlreichen Hindernissen für die Vereinheitlichung und damit

Stärkung des europäischen Wirtschaftsraumes darstellen bzw. dargestellt haben. Nicht-tarifäre Handelshemmnisse, wie unterschiedliche Normen, administrative Behinderungen, Grenzformalitäten, Kapitalverkehrsbeschränkungen, usw., wirken sich zunehmend negativ aus. Anstatt die riesigen finanziellen und menschlichen Ressourcen des „alten” Kontinents zu bündeln, um der amerikanischen und japanischen Herausforderung begegnen zu können, zersplittern sich die europäischen Länder in nationalstaatlichen Egoismen.

Im Sinn einer gemeinsamen europäischen Anstrengung kann auch die EFTA als Plattform der europäischen Nicht-EG-Staaten eine nützliche Rolle spielen, zumal in Fragen, die sinnvollerweise nur multilateral geregelt werden können, wie z. B. die Vereinheitlichung von Ursprungsregelungen, Grenzformalitäten, die gegenseitige Anerkennung von Prüfungszertifikaten für Industrieprodukte, die Durchführung gemeinschaftlicher Forschungsvorhaben, die Erarbeitung einer gemeinsamen Umweltpolitik und dergleichen mehr.

Damit könnte sich aber die Rolle der EFTA fundamental ändern, von einer Freihandelsassoziierung zu einem Sprachrohr gegenüber der Europäischen Gemeinschaft und zu einem Instrument zur Uberwindung eines zweigeteilten freien Europas. Allerdings ist vor jeder Euphorie zu warnen. Denn während die Errichtung der Freihandelszone in Art, Umfang und zeitlicher Abstufung vertraglich geregelt war, bedarf es für die neuen Aufgaben jeweils eines entsprechenden Konsenses innerhalb der EFTA-Mitgliedsstaaten und in einem zweiten Schritt einer Ubereinstimmung mit der EG. Und das bedeutet leider heute noch oft eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Der Autor ist Direktor der volkswirtschaftlichen Abteilung der Creditanstalt-Bankver-ein.

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