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Birmeiimarktähiüiche Verhältnisse

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Nachdem seitens der EG wäh - rend der letzten Jahre immer wieder betont worden war, daß eine umfassende Teilnahme an der eu- ropäischen wirtschaftlichen Inte- gration weder auf dem Wege bila- teraler Einzelabkommen zu errei- chen sein wird, noch vor 1993 an die Behandlung von Beitrittsanträgen gedacht werden könne, bot sich als einzig zielführender Weg eine mul- tilaterale Lösung zwischen EG und EFTA an. Nach eingehenden Vor- arbeiten während des vergangenen Jahres und nach dem positiven Abschluß der exploratorischen Gespräche steht die EFTA nunmehr am Vorabend der formellen Ver- handlungsaufnahme mit der EG, mit dem Ziel, einen umfassenden Europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen, den EWR.

Das Ziel ist ambitiös und rasch umschrieben: die Schaffung eines binnenmarktähnlichen Verhältnis- ses zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten der EFTA. Die- ses Ziel soll erreicht werden durch die - von einzelnen Ausnahmen abgesehen - volle Einbeziehung unserer Staaten in die sogenannten vier Freiheiten des EG-Binnen- marktes, das heißt die völlige Frei- zügigkeit von Gütern, Personen, Dienstleistungen und Kapital, sowie eine möglichst enge und gleichberechtigte Zusammenarbeit in einer großen Zahl sonstiger Gemeinschaftsprogramme, wie etwa in den Bereichen des Umwelt- schutzes, der Bildimg und For- schung, der Sozialpolitik. Mit an- deren Worten, das Ziel ist, eine Situation der wirtschaftlichen Nicht-Diskriminierung zwischen der EG und den EFTA-Staaten innerhalb eines Marktes von insge- samt 350 Millionen Einwohnern herbeizuführen.

Einer der wesentlichsten Unter- schiede zu einer Mitgliedschaft besteht darin, daß die EFTA-Staa- ten nicht gleichberechtigt in die EG- interne Gesetzgebung einbezogen werden können. Die Forderung der EG, ihre interne Entscheidungsau- tonomie beizubehalten, hat ver- schiedentlich zu einer negativen Beurteilung des EWR-Konzepts Anlaß gegeben. Die EFTA-Staaten sind indessen ebensosehr an der Aufrechterhaltung ihrer eigenen Autonomie interessiert wie die Gemeinschaft. Es ist daher eine der zentralsten Aufgaben unserer Un- terhändler, institutionelle Lösun- gen und Prozeduren auszuarbeiten, die beiden Parametern gerecht werden, nämlich dem Wunsch nach Beibehaltung der eigenen Autono- mie und gleichzeitig demjenigen nach einer Mitbestimmung bei der Ausarbeitung der Beschlüsse.

Die Frage, ob das „decision sha- ping" gemäß dem EFTA-Verlangen zumindest teilweise zwischen den 19 Staaten dieses EWR stattfindet oder im Wege von Sprechern beider Seiten, gehört zu jenen offenen Punkten, die noch einer Klärung bedürfen. Die eigentliche Be- schlußfassung, das „decision ta- king", würde nach diesem Konzept zunächst - aufgrund der gemein- sam erarbeiteten substantiellen Basis - separat von den jeweiligen Ratsgremien nach den in der EG beziehungsweise EFTA geltenden Prozedurregeln gefaßt und an- schließend in einem gemeinsamen EWR-Rat je nach Bedeutung - ent- weder auf hoher Beamten- oder Mi- nisterebene - durch Konsens zum rechtsgültigen Beschluß für den EWR erhoben.

Das „Zwei-Säulen-Konzept" impliziert eine Stärkung der „EFTA-Säule", und unsere Erfah- rungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß die EFTA-Staaten durchaus willens und in der Lage sind, zu gemeinsamen Positionen auch in heiklen Fragen zu gelangen und mit einem Sprecher im Namen aller mit der Kommission zu ver- handeln. Im Lichte der großen Herausforderung haben wir unsere internen Strukturen im vergange- nen Jahr bereits erheblich gestärkt - ohne sie deswegen grundlegend zu ändern oder eine Art „Mini-EG" anzustreben - und unsere Bereit- schaft erklärt, eine allenfalls erfor- derliche weitere Stärkung im Lich- te des Verhandlungsergebnisses vorzunehmen.

Darüber hinaus zeichnen sich aufgrund der bisherigen Gesprä- che gemeinsame EWR-Institutio- nen auf verschiedenen Ebenen ab: auf der politischen in Form regel- mäßiger gemeinsamer Ministerta- gungen zur Beratung über die wei- tere Ausgestaltung des EWR, auf der gerichtlichen durch einen E WR- Gerichtshof, der durch eine Erwei- terung des bestehenden Europäi- schen Gerichtshofes durch EFTA- Richter entstehen soll, und auf Verwaltungsebene durch gemein- same Institutionen zur Überwa- chung und Durchsetzung der E WR- Beschlüsse. Ebenso ist an gemein- same Parlamentariergremien und die Einbeziehung der Sozialpart- ner in das System gedacht.

Die Frage, die sich viele Men- schen, nicht nur hier in Österreich, sondern zunehmend auch in ande- ren EFTA-Staaten stellen, ist: Lohnt sich dieser enorme Aufwand, um ein Ziel zu erreichen, das letzt- lich unterhalb der Möglichkeiten bleibt, die ein Beitritt zur EG mit sich bringt? Grundsätzlich gibt es nur drei Möglichkeiten der Annä- herung an die Gemeinschaft: Den EG-Beitritt, eine multilaterale Lösung im Rahmen des EWR, oder den Status quo mit bilateralen punktuellen Verbesserungen. Der EWR hat den großen Vorteil, daß er es der Wirtschaft der EFTA-Staa- ten erlaubt, relativ bald, also mit 1. Jänner 1993, praktisch in den Bin- nenmarkt einbezogen zu werden. Er erlaubt es der Wirtschaf t zudem, sich in der Substanz auf alles ein- zustellen, was dieser große Markt beinhaltet.

Österreich hat durch seinen An- trag vom vergangenen Sommer seinen Willen zum EG-Beitritt unter den bekannten Voraussetzungen klar zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig hat die Bundesregie- rung ebenso klar zu erkennen gege- ben, daß der gegenwärtige EWR- Prozeß im Rahmen der EFTA mit dieser Absicht nicht nur kompati- bel ist, sondern eine ideale Vorbe- reitung für künftige Beitrittsver- handlungen darstellt. Daher arbei- tet Österreich auch voll und ganz an den gegenwärtigen E WR-Bestre- bungen mit. Aus all diesen Grün- den lohnt sich der große Aufwand für den EWR.

Österreich spielt eine Vorreiter- rolle und hat durch seine Beitritts- diskussion die Weichenstellung zum EWR-Prozeß maßgeblich beein- flußt. Diese Vorreiterrolle Öster- reichs hat bereits eine Tradition, die bis in die Gründungszeit der EFTA zurückreicht.

Trotz gelegentlich versuchten Alleingängen ist Österreich meist auf die EFTA-Plattform zurückge- kehrt. Diese ist und bleibt nämlich bis auf weiteres die einzig realisti- sche Grundlage zur Erreichung dessen, was sich bereits die Grün- derväter der EFTA zum Ziel gesetzt hatten: eine enge multilaterale Zusammenarbeit mit der Gemein- schaft.

Zur Rolle der EFTA und ihrer Mitglieder in bezug auf die Reform- bestrebungen in Osteuropa: Eine sehr berechtigte Frage, nicht nur, weil zwischen den meisten EFTA- Staaten usd ihren östlichen Nach- barn traditionelle enge Beziehun- gen bestehen, sondern auch weil die EFTA als solche wegen des Fehlens einer politischen Kompo- nente und wegen ihrer lockeren Struktur für die Staaten Osteuro- pas eine ganz besondere Attrakti- vität aufweist. Es ist daher ver- ständlich, wenn einige dieser Staa- ten in letzter Zeit Fühler in Rich- tung EFTA ausgestreckt haben. Unsere Minister haben bereits an ihrer Dezembertagung in Genf erklärt, daß sie bereit sind, die Re- formbestrebungen in Osteuropa nach Kräften zu unterstützen. Sie erklärten sich ferner bereit, mit den einzelnen Ländern Osteuropas ei- nen Dialog aufzunehmen, um ge- genseitig vorteilhafte Formen der Zusammenarbeit auszuarbeiten. Dieser Dialog ist im Falle Ungarns schon recht weit fortgeschritten, und wir hoffen, daß unsere Mini- ster bei ihrer nächsten regulären Tagung im Juni eine gemeinsame politische Erklärung verabschieden können. Kontakte mit dem gleichen Ziel sind zur Zeit auch mit Polen und der Tschechoslowakei im Gange. Als Fernziel der Zusammen- arbeit mit diesen Staaten wird, bei Vorliegen gewisser Voraussetzun- gen, auch der Abschluß von Frei- handelsabkommen überlegt.

Bei all diesen Bemühungen kann sich die EFTA auf eine Erfahrung von über zwanzig Jahren multila- teraler Zusammenarbeit auf ver- schiedenen Gebieten mit Jugosla- wien stützen.

Mit dem Europäischen Wirt- schaftsraum sollte indessen eine Struktur entstehen, die für die Staaten Osteuropas von großem Interesse sein könnte, gerade weil sie auch neutrale Kleinstaaten umfassen wird. Jedenfalls dürfte der EWR, auch vom Gesichtspunkt Brüssels aus gesehen, ein offenes Konzept bleiben und könnte so möglicherweise Ansatz- und Aus- gangspunkt weitergehender Per- spektiven werden.

Auszug aus einem Vortrag des Generalsekre- tärs der EFTA vor der Sozial- und Wirtschafts- wissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien am 27. März 1990.

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