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Die Jahre vor uns

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In der historischen Sitzung des Unterhauses am 31. Juli 1961, in der Premierminister MacMillan Verhandlungen über den Beitritt Englands zur EWG ankündigte, kam es zu Tumulten. Die leidenschaftlichen Proteste einiger konservativer Abgeordneter gipfelten in der Forderung des am rechten Flügel der Partei stehenden Anthony Fell, der die Erklärung des Premiers ,,politisch unaufrichtig" und schockierend nannte, ihn zum sofortigen Rücktritt aufforderte und rief: „Der Premierminister ist ein nationales Unglück!"

In Österreich kam es, auf die Mitteilung hin: „Alle Mitgliedstaaten der EFTA erklären ihre Absicht, mit der EWG die Mittel und Wege zu untersuchen, durch die alle Mitglieder der EFTA an einem einzigen Markt beteiligt werden, der rund 300 Millionen Menschen umschließt“, weder zu Tumulten noch auch zu Jubelausbrüchen breiterer Kreise, die in dieser Ankündigung ein „nationales Glück“ sehen. Ja, gerade jene Kreise der Wirtschaft, die , bisher besonders laut Österreichs Anschluß an die EWG forderten, besannen sich sehr schnell auf die Warnung, die in dieser Stunde Minister Bock, ein überzeugter Verfechter de EWG-Assoziierung, aussprach: „Die Integration ist keine Einbahnstraße,

auf der die österreichischen Waren frei und ungehindert in das Ausland gelangen können, sondern sie ist eine echte Zweibahnstraße, auf der ebenso die ausländischen Waren nach Österreich hereinkommen werden. Diesem verstärkten Importdruck müssen wir mit verstärkter Rationalisierung und vorsichtigster Preiskalkulation begegnen. Preis- und Lohndisziplin sind daher das Gebot der Stunde.“

Hier ist nüchtern angesagt: Österreichs Wirtschaft, und mit ihr unsere gesamte Gesellschaft, die ja nicht zuletzt Konsumgesellschaft ist, wird bedeutende Anstrengungen machen müssen, um sich im Strom der EWG, im Einstrom billiger EWG-Produkte behaupten zu können. Es wird also bereits „rein wirtschaftlich“, von allen politischen Aspekten abgesehen, Österreich ein Maß von Umsicht, Planung, Entschlossenheit abverlangt, an das man hierzulande im lauwarmen und heißen Klima der Konjunktur der letzten Jahre so gar nicht gewöhnt ist. . . Nicht minder gering und schwerwiegend für unsere Zukunft sind die politischen Leistungen, die uns abverlangt werden: nicht von außen, sondern von innen. Da es aber, anders als eilfertige EWG-Gläubige hierzulande forderten, eben gerade nicht zu einem „Anschluß“ an die EWG

kommt und kommen kann, sondern zu einer Assoziierung, die alle EFTA- Staaten, mit England an der Spitze, umfaßt, wobei Österreich mit den anderen neutralen Staaten diese Assoziierung in besonderen Formen aushandeln muß, können wir uns bei den langwierigen bevorstehenden Verhandlungen, die frühestens im Herbst beginnen werden, in vielem zunächst einmal Englands Verhandlungen als einen Modellfall für die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Assoziierung näher besehen. Die englische Regierung hat soeben erklärt, daß für sie ein Beitritt nur bei Wahrung der Interessen des Commonwealth, der EFTA- Partner und der britischen Landwirte schäft in Frage kommt. Der Rücksicht* nähme auf die 650 Millionen Men- sehen des Commonwealth, dessen Vertreter ihre Sorgen und Forderungen eben in London anmelden, muß bei uns die Rücksichtnahme auf unsere politische Freiheit und die Selbstbehauptung unserer Wirtschaft entsprechen.

Wir haben in unserer Zeitschrift, deren erstes und letztes Prinzip der Kampf für ein freies Österreich in einer freier werdenden Welt ist, in diesen Jahren, die hinter uns liegen, nachdrücklich auf die Problematik aufmerksam gemacht, die mit der Bildung eines europäischen Marktes von 300 Millionen Menschen verbunden ist. Jetzt ist die Stunde gekommen, in der Regierung, Volk, Wirtschaft und nicht zuletzt unsere Parteien, sehr handgreiflich, sehr direkt, sich mit der Fülle von Einzelproblemen und Schwierigkeiten werden auseinandersetzen müssen, die da auf uns zukommen. Da gilt keine Flucht mehr, nicht ein Wunschdenken, sondern nur eines: Diese Aufgaben müssen in ihrer ganzen Wucht gesehen, richtig angefaßt und gelöst werden. Wenn dem so ist, besser: sein wird, dann werden wir in der Assoziierung bestehen, uns behaupten und Gewinn haben können. Die Zeit der Bewährung, die Jahre der Erprobung und Prüfung unserer Fähigkeiten und unseres Freiheitswillens liegen vor uns.

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