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Im Ghetto dursten

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„Wir müssen vorher die Südtirolfrage wirklich lösen“, meinte Österreichs Handelsminister Kommerzialrat Mitterer vor kurzem in einem Privatvortrag in einem Studentenheim im 19. Bezirk. Miit Blickrichtung auf Österreichs EWG- Bemühungen und den Bremsschuh des italienischen Vetos. Mitterer geht von der Annahme aus, wenn das Südtirolproblem vom Außenamt gelöst sei, werde Italien das Veto zurückziehen und dann wäre der Weg nach Europa für Österreich frei. Er bezieht sich dabei auf Fakten, die stimmen können, aber nicht richtig sein müssen, nämlich:

• Daß die Franzosen dem österreichischen Beitrittsansuchen wohlwollend gegenüberstehen, aber keinerlei Aktivität in Pro-Österreich-Richtung bei den Italienern zeigen wollen und auch aus Gründen der durch de Gaulle hergestellten besseren Beziehungen zu Moskau nicht nach außen hin pro-österreichisch erscheinen öchten.

• Daß die Beneluxstaaten Österreich gegenüber keine negative Haltung beziehen und bezogen haben.

• Daß schließlich die deutsche Bundesrepublik schon immer den österreichischen Assoziierungsbemühun- gbif positiv gegenübersteht. -Sieht Mitterer also außer der ungeklärten Südtirolfrage kaum andere Komponenten, die gegen ein baldiges Arrangement Österreichs mit der EWG sprechen, so hat der Korrespondent der „Presse“ in Brüssel, Hans-Heinz Schlenker, in einem kürzlich in der „analyse“ veröffentlichten Artikel darauf hingewiesen, daß die Chancen Österreichs auf eine baldige Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein besonderes Arrangement mit der EWG gegenwärtig mehr als gering sind. Denn nicht nur das italienische Veto spricht derzeit gegen die österreichische Assoziierung, sondern vor allem die Tatsache, daß die sechs EWG-Länder der Frage der Vollmitgliedschaft der vier Beitrittskandidaten England, Irland, Norwegen und Dänemark eindeutig den Vorrang eingeräumt haben. Erst nachdem der Vertrag mit England und Irland und den beiden skandinavischen Staaten, Norwegen und Dänemark, sowie einer eventuellen Assoziierung Schwedens erledigt ist, gibt man Österreich in Brüssel eine Chance, mit dem Gemeinsamen Markt ein Arrangement zu treffen. Das wird den Fachleuten zufolge aber kaum vor 1970 der Fall sein.

Italiens Blockade

Derzeit hängt die österreichische EWG-Politik allerdings wesentlich davon ab, wer in Italien in Hinkunft am Staatsruder stehen wird. Das italienische Veto, das inzwischen zu einem offenen Geheimnis geworden ist, wurde vom seinerzeitigen italienischen , Ministerpräsidenten Moro erst im Nachhinein sanktioniert. Fanfani, der das Veto aussprach, soll — wenn man Gerüchten in Brüssel Glauben schenken darf — nämlich das Veto aus wohl taktischen Gründen, ausgesprochen haben.

Würde es nämlich nicht das Südtirolproblem geben, Italiens Wirtschaft müßte eigentlich interessiert sein, Österreich bald in den Gemeinsamen Markt einzubeziehen, denn:

• Die Österreicher sind für Italien nach wie vor eines der stärksten Fremdenverkehnskontingente.

• Zählen zu den besten Abnehmern italienischer Orangen und sonstiger Südfrüchte.

• Sind auf Grund der engen Nachbarschaft überhaupt ein guter Wirtschaftspartner, was unter anderem auch daraus hervorgeht, daß die Österreichische Bundeskammer erst kürzlich feststellte, Italien sei von allen EWG-Staaten nach der deutschen Bundesrepublik jenes Land mit den meisten Exporten nach Österreich.

So gehen die engen wirtschaftli-

chen Beziehungen zwischen Italien und Österreich auch aus der Feststellung hervor, daß allein im ersten Quartal 1968 Italien nach Österreich Waren im Werte von 1.167,600.000 Schilling exportierte, während Österreich nach Italien Waren im Werte von 1.261,900.000 Schilling lieferte.

Obwohl Österreich nach wie vor zu keiner Übereinkunft mit Brüssel kam, ist der Wirtschaftsanteil der Sechs an den österreichischen Importen und Exporten nach wie vor im Ansteigen begriffen. So hat Österreich allein im ersten Quartal 1968 bei den Exporten in die EWG eine Steigerung von 6,1 Prozent zu verzeichnen, womit der Anteil der EWG- Länder am österreichischen Gesamtexport auf 40,8 Prozent anstieg. Noch stärker stiegen die Importe aus der EWG mit 8,1 Prozent, womit die EWG-Staaten am österreichischen Import einen Anteil von immerhin 57,9 Prozent erreicht haben.

Übergangsregelung notwendig

Die politische Entwicklung in den letzten Wochen allerdings spricht trotz dieser Wirtschaftszahlen gegen jeden Optimismus in Richtung Assoziierung Österreichs. Denn nach wie vor ist Frankreich im Grunde gegen eine Aufnahme. des Vereinigten Königreiches und ist. inzwischen selbst bedingt durch die innerpolitischen Vorgänge in eine englandähnliche Wirtschaftskrise geschlittert, deren Ende ebensowenig wie das Ende der politischen Krise im Land de Gaulles abzusehen ist. Dadurch könnten aber die Propheten, die für 1969 beziehungsweise 1970 eine Übereinkunft zwischen der EWG und England und den übrigen drei Beitrittskandidaten voraussagten, zu haltlosen Optimisten werden. Das würde aber für Österreich bedeuten, daß in dieser Legislaturperiode die Übereinkunft mit „den Sechs“, auch wenn man mit Italien zu einer realen Lösung des Südtirolproblems kommt, kaum Chance auf Verwirklichung hat. Es gibt also für Österreich nur eine Hoffnung, daß man den vier Kandidaten England, Irland, Norwegen und Dänemark nach dem Wunsch der Fünf in Brüssel eine Übergangsregelung zubilligt. Denn eine solche Übergangsregelung wäre zweifellos auch für Österreich interessant, könnte sie doch, wie Mitterer des öfteren gesagt hat, „viele konforme Handelserleichterungen“ für Österreich bringen. Derartige Erleichterungen würden sicher dazu beitragen, daß zumindestens ein Teil der Diskriminierung der österreichischen Wirtschaft beim Export an EWG-Länder abgebaut wird und daß schrittweise die Handelschranken zwischen Österreich und der EWG reduziert werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß es Österreich gelingt, sich in die Verhandlungen zwischen der EWG und England einzuschalten. Auch einer solchen Einschaltung steht allerdings das italienische Veto entgegen.

Hemmend wirkt sich aber zweifellos auch aus, daß Europa-Präsident Jean Rey zum Unterschied von seinem Vorgänger Hallstein in all den EWG-Verhandlungen bewiesen hat, daß er Österreich zwar sehr freundlich gesinnt ist, aber weder in der Österreich-Frage noch in den anderen EWG-Fragen Eigeninitiative setzen will. So bleibt es dabei, was Österreichs Botschafter bei der EWG, Dr. Schober, bereits zu Jahresbeginn ffeiststeilte: „Wir befinden uns derzeit in einem Ghetto und müssen die Durststrecke, auf der wir jetzt sind, durchstehen.“

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