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Sorgen mit den Gastarbeitern

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Als „Hochspannung“ bezeichnete dieser Tage einer der hohen Beamten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die derzeitige wirtschaftliche Lage im gesamten EWG-Bereich.

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Als „Hochspannung“ bezeichnete dieser Tage einer der hohen Beamten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die derzeitige wirtschaftliche Lage im gesamten EWG-Bereich.

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Dieser Hochspannung auf dem Konjunktursektor gerecht werdend, hat erst vor kurzem der Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft seinen Mifcgliedstaaten empfohlen, doch auf dem Geld- und Kreditsektor eine strengere Politik zu verfolgen und sich bei den öffentlichen Ausgaben einer gewissen Mäßigung zu befleißigen. Grund zu diesen Empfehlungen der Behörde in Brüssel und des EWG-Ministerrates war die Tatsache, daß von der Gemeinschaft der „Sechs“ eine wesentlich stärkere Inflationsrate als in den vorangegangenen Jahren hinzunehmen war.

Nach dem jüngsten Konjunkturbericht der europäischen Kommission ist neben einem kräftigen Anstieg der Verbraucherpreise in allen sechs Ländern aber auch eine verstärkte Beschäftigung von Arbeitnehmern aus nicht zur Gemeinschaft gehörenden Ländern zu verzeichnen. Die Gastarbeiter aus dritten Ländern könnten nämlich immer mehr zu einem Problem werden. Immer mehr EWG-Unternehmen haben infolge der konjunkturellen Überbeschäftigung zur Deckung des zusätzlichen Arbeitskräftebedarfs Fremdarbeiter aus dritten Ländern herangeholt. Nunmehr macht sich dieser Trend, außer in der Bundesrepublik und den Benelux-Ländern, auch teilweise in Frankreich bemerkbar. Nur Italien stellt eine Ausnahme dar. Zur Zeit sind in der Gemeinschaft bereits mehr als 3,5 Millionen Arbeitskräfte aus Drittländern beschäftigt, und man rechnet in Brüssel damit, daß diese Zahl bis zum Sommer des kommenden Jahres — vorausgesetzt, daß nicht unerwartete Ereignisse die Konjunktur zum Stillstand bringen oder dämpfen auf mehr als 4 Millionen ansteigen wird. Diese Gastarbeiter rufen aber auf den Arbeitsmärkten der Gemeinschaft nicht geringe Spannungen hervor.

Deutschland und Frankreich beschäftigen heute allein 90 Prozent der in der Gemeinschaft tätigen Gastarbeiter, wobei Frankreich sehr stark auf Spanien, Portugal und den nordafrikanischen Raum zurückgreift, während die Bundesrepublik Deutschland bisher stärkeren Zustrom aus den Balkanstaaten und der Türkei erhalten hat.

Die derzeit spürbar steigenden Preise in der EWG sind aber — wie die EWG-Kommission feststellt — auf „den weit über die Produktivität hinausgehenden Anstieg der Löhne“ zurückzuführen. Und die billigen Gastarbeiter bieten paradoxerweise keine Möglichkeit für die Eindämmung des Lohnauftriebs.

Gefahr für die Konkurrenzfähigkeit?

Trotz mahnender Stimmen aus Brüssel scheinen sich jedoch im Herbst neue Lohnforderungen in bisher noch kaum dagewesener Höhe abzuzeichnen. Derartige Meldungen laufen in Brüssel nicht nur aus der Bundesrepublik Deutschland ein, sondern auch aus Frankreich und Italien.

All das bringt Probleme mit sich, die sich vor allem auf die Konkurrenzfähigkeit der Produkte aus der EWG auswirken müssen. Denn noch nie war die Verteuerung der Lohnkosten je Produktionseinheit in der EWG so hoch wie in der gegenwärtigen Phase.

Was immer auch die Regierungen tun werden, die Kommission der EWG rechnet auf jeden Fall für den Herbst mit weiter steigenden Preisen.

Gerade zu einem Zeitpunkt, da die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft endlich bereit zu sein scheint, sich nach außen zu öffnen und mit Großbritannien und den übrigen europäischen Ländern — darunter auch mit Österreich — über Beitrittsverhandlungen und Arrangements zu sprechen, dürfte die Brüsseler Europabürokratie wieder einmal mit schweren internen Problemen — diesmal mit dem „Preisteufel“ — zu kämpfen haben.

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