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Außenhandel — Staatsgeheimnis

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Die Handelsbilanz bereitet der Öffentlichkeit ernste Sorgen. Bei einem Gesamtvolumen von 50,9 Milliarden erreichte der Importüberschuß von Anfang Jänner bis Ende Juni 8,95 Milliarden Schilling, dem der Fremdenverkehr nur Mehreinnahmen in Höhe von 4,64 Milliarden Schilling gegenüberstellen konnte, so daß im Vergleich zur analogen Zeitspanne des Vorjahres die Dek-

kungsquote von 75 auf 52 Prozent gesunken war. Die Situation, entschieden besser als im April oder Mai, dürfte in der zweiten Jahreshälfte noch eine weitere Entspannung erfahren.

Trotzdem blieb die Tatsache bestehen, daß die Importe (+ 17 Prozent), die im laufenden Jahr weit über das übliche Maß hinausgingen, entgegen den bisherigen Gepflogenheiten keine weitgehende Deckung durch die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr gefunden hatten. Dabei konnte man kaum von einer ungünstigen Entwicklung der Exporte (+ 7 Prozent) sprechen, deren Zuwachsrate, ähnlich wie in allen anderen Ländern, eine Abschwächung erfuhr. Bei dieser Konstellation gewann die Verteilung des Handels- passivuims an Interesse. Exportüberschüsse erzielte der Handel mit Skandinavien, den Donauländern und dem Nahen Osten, mit Spanien, Griechenland und der Sowjetunion, in Ubersee durchaus überraschend mit Nigeria und Venezuela. Viel länger war die Passivliste der Importüberschüsse mit Westdeutschland (6662 Millionen Schilling), Großbritannien (947,5 Millionen Schilling) und Frankreich (856,6 Millionen Schilling) an der Spitze, anschließend die Vereinigten Staaten und die Lateinamerikanische Freihandelszone. Auch der Handel mit Italien und der Schweiz wurde plötzlich passiv, hoffentlich eine vorübergehende Erscheinung.

Die feinen Schleier Noch immer leidet die Öffentlichkeit an einer lückenhaften Orientierung. Es begann damit, daß die Handelsstatistik, im Gegensatz zu allen anderen Staaten, etwa Finnland, gar nicht zur EFTA zählte. Bei allen Daten über die Entwicklung der Freihandelszone fehlte daher der Warenverkehr mit Finnland, obwohl er kräftige Exportüberschüsse abwarf. Dann wurden die verschiedensten Ereignisse der Handelspolitik des freien Europas mit einem Schleier des Schweigens verhüllt. Man erfuhr nichts über die Konferenz in Bergen und die Kennedy-Runden des GATT. Da die Bemühungen um die EWG — Assoziierung, Vertrag besonderer Art, neuerdings sogar vollwertiger Beitritt zum Römer Vertrag — allmählich zu den Dogmen der Handelspolitik gehören, umfaßte das Schweigen aber auch die Reise des Bundeskanzlers Erhard nach Oslc und Stockholm, seine Initiative zu einem Brückenschlag, die Bemühungen des dänischen Außenministers Haekkerup in Rom und Brüssel, die neue Diskussion zwischen Oslo, Stockholm und Kopenhagen.

Die beabsichtigte Harmonisierung mit der EWG ist, soweit sie die Terminologie und die Sprachregulierung betrifft, anscheinend restlos durchgeführt, so daß Wien im Interesse einer guten Atmosphäre bereits die Wünsche Brüssels befolgt, obwohl die jeweiligen Direktiven der Hallstein-Kommission durchaus nicht der Haltung des EWG-Ministerrats entsprechen, am besten sichtbar an der Stellung gegenüber Großbritannien, dessen Beitritt etwa Holland sogar in einer Thronrede gefordert hat.

Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß die Öffentlichkeit ein starkes und täglich zunehmendes Interesse an dem wahren Stand der wirtschaftlichen Integration hat. Das traditionelle Rezept „Austritt aus der EFTA und Anschluß an die EWG“, beides in einem zügigen Tempo, hat sichtlich an Durchschlagskraft verloren, weil im aller- günstigsten Fall das erhoffte Arrangement erst in zwei oder drei Jahren volle Gültigkeit erlangen könnte.

Die Gründe der Importschwemme

Das Übergewicht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zeigte sich an der Verteilung der Importe auf die einzelnen Staatengruppen (Tabelle A). Von Jänner bis Juni entfielen auf die EWG 58,7 Prozent, die EFTA 16,3 Prozent und die fremden Kontinente 13,2 Prozent des Gesamtimportes, der Rest auf den Ostblock und die Randstaaten. Im laufenden Jahr bemühten sich die Schweiz und Großbritannien, Schweden und Norwegen, Frankreich und Westdeutschland, aber auch die Vereinigten Staaten in auffallender Weise um eine Erhöhung ihrer Lieferungen, während im Rahmen des Ostblocks wiederum Ungarn und Bulgarien große Anstrengungen unternahmen, um die Verluste Rußlands und Rumäniens auszugleichen. Überraschend gut abgeschnitten haben Spanien, die Donauländer und dank Uruguay die Lateinamerikanische Freihandelszone. Zurückgeblieben sind Holland, Belgien, Griechenland, Ostdeutschland und die Tschechoslowakei.

Ein Studium der Warenordnung ergab, daß die Importschwemme auf den verschärften Kampf aller Länder um die österreichischen Märkte zurückging, weil die wiederholten Ankündigungen vom bevorstehenden Übertritt von der EFTA zur EWG alle Interessenten auf den Plan rufen mußten. Einerseits wünschten die EWG-Staaten, besonders Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland, möglichst rechtzeitig zur Stelle zu sein, um alle Chancen der künftigen Zollermäßigungen auszunützen. Anderseits wollte sich die EFTA noch einige Positionen sichern, weil sie mit fühlbaren Zoll- erhöhungen rechnen mußte. Durch die schwache Ernte des Vorjahres erreichte die höchste Zuwachsrate natürlich Getreide (+ 62 Prozent), wobei sich die Bezüge aus der EWG, Kanada und dem Ostblock als rückläufig erwiesen, indes die EFTA beträchtliche, Jugoslawien und die Vereinigten Staaten außerordentliche Erhöhungen buchten. Im einzelnen verdoppelten sich die Importe von Weizen, der bereits aus Frankreich und Westdeutschland stammte. Bei Mais wurde nach dem Ausscheiden Italiens und dem schweren Rückschlag Rumäniens die Lücke gleichfalls durch Jugoslawien und die Vereinigten Staaten geschlossen.

Österreich bezog Rohöl (+ 58 Prozent) aus Rußland und Jugoslawien, Erdölprodukte (+ 22 Prozent) aus Italien, den Donauländern und Westdeutschland. Bei Eisen und Stahl entfiel fast die Hälfte der Importe auf die Bundesrepublik (+ 47 Prozent), während Rußland und Italien zurückfielen. Die Zunahme der Personenautomobile (2,29 Milliarden Schilling, + 23 Prozent) entsprach den traditionellen Tendenzen, aber auch bei Textilien entwickelte sich eine scharfe Konkurrenz zwischen Westdeutschland, Italien, Holland. Großbritannien und der Schweiz, Unter den Maschinen und elektri schen Apparaten dominierte weitaus Westdeutschland mit Zuwachsraten von 16 und 17 Prozent. Besonders drastisch trat das Übergewicht der EWG bei chemischen Erzeugnissen in Erscheinung. Dagegen ruhte die Zunahme von Obst und Gemüse auf Israel, Spanien, Bulgarien und der Zentralamerikanischen Wirtschaftsassoziation. Wolle (400,6 Millionen Schilling, + 22 Prozent) bildete ein Kuriosum, weil Frankreich, Brasilien und die Schweiz einen Rückgang, dagegen Südafrika, Australien und Großbritannien eine Zunahme ver- zeichneten: Plötzlich erschien jedoch ein neuer und wichtiger Konkurrent in Gestalt der Lateinamerikanischen Freihandelsassoziation (+ 174 Prozent)!

Strukturwandel der Exporte

Nach dem neuen Aufschwung der EFTA, die von Jänner bis Juni

19,6 Prozent aller österreichischen Exporte übernommen hatte, unterlag die Rangordnung der Staatengruppen (Tabelle B) im laufenden Jahr abermals einer starken Bewegung, so daß auf die EWG 46,5 Prozent, den Ostblock 14,9 Prozent und die überseeische Staatenwelt 14 Prozent des Gesamtexportes entfielen, während sich die blockfreien Randstaaten mit 5 Prozent begnügen mußten.

Die höchsten Zuwachsraten erzielten die Vereinigten Staaten, Großbritn- nien und Skandinavien, vor allem Schweden (+ 15 Prozent) und Norwegen (+ 16 Prozent), unter den EWG-Ländern wiederum Belgien (+ 19 Prozent) und im Rahmen der Randstaaten sogar Spanien (+ 52 Prozent). Enttäuscht haben Italien, die Sowjetunion und der Nahe Osten.

Die Warenordnung bot einen interessanten Einblick in den Strukturwandel. Eisen und Stahl beklagten schwere Rückfälle in Polen und

Asien, leichte Einbußen in Rußland und Griechenland, blieben stabil in der Schweiz, verdoppelten aber ihren Absatz in Schweden, Großbritannien und der Tschechoslowakei, während Italien, Spanien und Bulgarien, Holland, Westdeutschland gut abschnitten. Die Exporte von Eisen und Stahl erreichten nach der

EWG 1138,7 Millionen Schilling (+ 11 Prozent), nach der EFTA 459,9 Millionen Schilling (+ 22 Prozent). Maschinen erlitten Rückschläge in Asien und Rußland, in der Schweiz und der Tschechoslowakei, erzielten jedoch namhafte Fortschritte in Polen, Spanien und Italien, Afrika, Kanada und Großbritannien. Stabil blieben Belgien, Australien, Jugoslawien und Griechenland. Textilien verzeichneten leichte Rückgänge in Schweden und Westdeutschland, aber große Gewinne in Rußland, Großbritannien und der Schweiz, daneben in einem bescheidenen Umfang in Kanada, Dänemark und Griechenland. Holz vermochte sich bei leichten Verlusten in Afrika und Westdeutschland dank einer Erhöhung in Italien (944,1 Millionen Schilling, -f 10 Prozent) und verbesserten Lieferungen nach der Schweiz gut zu behaupten. Bei elektrischen Apparaten wurden die Verluste in Holland und Afrika durch

Westdeutschland und die Vereinigten Staaten ausgeglichen, während sich die Fortschritte in der EFTA (+ 24 Prozent) auf Schweden und die Schweiz, Portugal und Großbritannien konzentrierten.

Ihre auffallende Expansion verdankten chemische Produkte in Ubersee nur Asien und Afrika, in Europa neben Spanien und Jugoslawien vor allem Ungarn, Rußland und Polen, weil die Kunststoffe (256,7 Millionen Schilling, + 26 Prozent) den Eisernen Vorhang durch- brechen konnten. Papier verteidigte seine gute Position durch Erhöhungen in der Schweiz und Großbritannien, Afrika und Amerika. Kleidung erzielte eine starke Zunahme in Westdeutschland und Dänemark, in der Schweiz und den Vereinigten Staaten. Metallwaren erfreuten sich einer Konjunktur in Belgien, Polen und Afrika, Aluminium (400,2 Millionen Schilling, 4- 20 Prozent) in Belgien, Frankreich, Schweden, Ju goslawien und der Schweiz. Glaswaren (+ 26 Prozent) erzielten Erfolge in Amerika und Westdeutschland.

An der Spitze der Verlustliste standen lebende Tiere, da die Lieferungen nach Italien um die Hälfte zurückgingen. Anderseits wurden bei Molkereiprodukten die Verluste in Italien und Großbritannien durch Westdeutschland ausgeglichen. Polen und Jugoslawien verschuldeten den Rückfall der Zellulose (236,9 Millionen Schilling, —11 Prozent). Auf diese Weise zeigten die Exporte eine weitgehende Spezialisierung nach den verschiedenen Absatzmärkten, weil unter dem Druck der Diskriminierung durch die EWG die meisten Warengruppen neue Ersatzmärkte in anderen Staatengruppen gefunden hatten, besonders in der Freihandelszone, eine Erscheinung, die im freien Europa auch bei vielen anderen Ländern beobachtet werden konnte.

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