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Österreichs Integrationsreife

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Am 31. Dezember 1966 werden innerhalb der EFTA die Zölle auf Industriewaren vollständig beseitigt sein, was bedeuten wird, daß ein Markt von 92 Millionen Menschen seine Verwirklichung finden wird. Dieser Markt wird zwar von verschieden hohen Zollmauem umgeben sein, da aber innerhalb des Marktes die Zollschranken beseitigt sein werden, wird der freie Strom der Waren, soweit er aus Mitgliedsstaaten der EFTA stammt, gewährleistet sein. Ein Umstand, dem meiner Ansicht nach zu wendig Beachtung geschenkt wird, ist der, daß damit auch zwischen Österreich und der Schweiz ein gemeinsamer Markt geschaffen werden wird, ähnlich wie zwischen den skandinavischen Ländern.

Ich habe bei verschiedenen Gelegenheiten darauf verwiesen, daß die Strukturprobleme, die sich in Niederösterreich und da vor allem im Waldviertel ergeben, eine Lösung finden könnten, wenn Schweizer Industrielle, die heute nicht mehr in der Lage sind, italienische Arbeitskräfte unbegrenzt heranzuziehen, daran interessiert werden könnten, Bertiebe mittlerer Größe (zwischen 150 und 300 Beschäftigten) in besonders krisengefährdeten Gebieten zu errichten. Durch entsprechende Maßnahmen der Gemeinden und des Landes sowie durch eine besser dotierte Kommunalbank könnte das noch erleichtert werden. Daß man von Schweizer Seite von dieser Möglichkeit bisher nicht Gebrauch gemacht hat, scheint mir auf zwei Gründe zurückzugehen, erstens, daß man sich in der Schweiz über die vorhandenen Möglichkeiten und vor allem die beträchtlichen versteckten Arbeitskraftreserven in bestimmten Teilen Österreichs nicht genügend im klaren ist, und zweitens, daß man kein allzugroßes Vertrauen in die EFTA-Mitgliedschaft Österreichs hat.

Die Entwicklung der EFTA hat gezeigt, daß die geographischen Entfernungen zwischen den Mitgliedstaaten sich nicht nachteilig auf den Handelsverkehr ausgewirkt haben. So ist der Export Österreichs in die EFTA-Länder von 3,3 Milliarden Schilling oder 13,2 Prozent des Gesamtexports im Jahre 1959 auf 6,9 Milliarden Schilling oder 18,6 Prozent im Jahre 1964 angestiegen. Für die wichtigsten EFTA- Mitgliedstaaten sehen diese Ziffern wie folgt aus:

Die EFTA hat, das soll nicht geleugnet werden, in diesem Jahr einen schweren Rückschlag durch die Einführung der englischen Importtaxe erlitten, die vor allem Österreich sehr stark getroffen hat. Es besteht jedoch Grund zur Annahme, daß im Lauf des kommenden Jahres die britische Importtaxe entweder eine wesentliche Reduktion oder eine vollständige Beseitigung erfahren wird. Damit würde der britische Markt wieder offenstehen, der sich ja in Wirklichkeit nicht auf die britischen Inseln beschränkt, sondern der österreichischen Exportwirtschaft Kontakt mit Firmen eröffnet, die über Niederlassungen und Verbindungen in der ganzen Welt verfügen.

Wenn am 31. Dezember 1966 die zollpoliti- sche Zielsetzung der EFTA erreicht sein wird, wird sich, so glaube ich, die Frage stellen, inwieweit die EFTA-Staaten zu einer weitergehenden Integration auf anderen Gebieten bereit sind.

Das alles überschattende Problem der nächsten Jahre ist ein anderes; Die EWG- Binnenzölle werden bis spätestens 1970 zur Gänze beseitigt seto, und dann werden wir im demokratischen Europa zwei Handelssysteme haben. So wie die EFTA-Staaten in ihren Exporten in die EWG diskriminiert sein werden, so werden auch die EWG-Staa- ten in ihren Exporten in die EFTA einer Diskriminierung unterliegen. 1964 haben die EFTA-Länder aus den EWG-Ländern Waren im Wert von 247 Milliarden Schilling importiert, jedoch nur Waren im Wert von 179 Milliarden Schilling in die EWG-Länder exportiert. Daraus ergibt sich ein massives wirtschaftliches Interesse seitens der EWG-Länder an einer Beseitigung dieser Diskriminierung, wozu noch kommt, daß infolge des raschen Wirtschaftswachstums Kapazitätsausweitungen entstanden sind, die so groß sind, daß ihre Rentabilität bei Fortdauer der Wirtschaftlichen Spaltung Europas in Frage gestellt sein muß.

Es ist gar keine Frage, daß es technisch möglich wäre, zu einer Überwindung der wirt-

schaftlichan Zweiteilung des demokratischen Europa zu gelangen. Fis handelt sich lediglich um ein politisches Problem, nämlich darum, daß auf beiden Seiten der politische Wille vorhanden sein muß, eine Lösung in dieser Richtung herbeizuführen.

Ich habe bereits am 21. Juli 1960 in einem Artikel in der Lodoner „Financial Times” den Vorschlag gemacht, daß der beste Weg, eine Zusammenarbeit zwischen EWG und EFTA herbeizuführen, die Abgabe einer verbindlichen politischen Deklaration des Inhaltes wäre, daß wir — die EWG und die EFTA — einen gemeinsamen europäischen Markt innerhalb einer bestimmten Zeit realisieren wollen. Ich habe mich bei zahlreichen anderen Gelegenheiten für eine Zusammenarbeit zwischen EWG und EFTA in Form einer multilateralen Assoziation ausgesprochen. Von den in letzter Zeit gemachten Anregungen in dieser Richtung möchte ich nur auf den Aufsatz von Professor Müller-Armack in der „Wirtschaftspolitischen Chronik” des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität in Köln, Heft 3/1965, verweisen, in welchem ein Rahmenvertrag zwischen EWG und EFTA zur Beseitigung des Grabens und Schaffung eines gemeinsamen europäischen Marktes gefordert wird.

Ich bin mir darüber im klaren, daß es auch zahlreiche andere Wege geben kann. Ich glaube nur, daß es bei der gegenwärtigen Entwicklung innerhalb der EFTA durchaus möglich ist, daß in absehbarer Zeit die Voraussetzungen für einen sogenannten Dialog, für ein Gespräch zwischen EWG und EFTA gegeben sein werden. Und wenn man einmal zu reden beginnt, dann ist es für demokratische Regierungen nicht leicht, mutwillig eine isolche Gesprächssituaticm zu zerstören.

Man mag in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob ich hier nicht Überlegungen anstelle, die längst durch die Entwicklung unserer Verhandlungen in Brüssel überholt sind, um so mehr, als gerade in letzter Zeit sehr optimistische Meldungen in der Presse zu lesen waren. Ich darf daher kurz feststellen, wo wir gegenwärtig mit unseren Verhandlungen in Brüssel stehen.

In den bisherigen fünf Verhandlungsrunden seit März dieses Jahres wurden, ohne daß in irgendeinem Punkt eine Vertragsformulierung ins Auge gefaßt worden wäre, teilweise im Detail, teilweise aber auch nur im Grundsätzlichen erörtert:

• die Frage des1 Abbaues der Zölle und der anderen Handelshemmnisse zwischen Österreich und der Gemeinschaft und deren Zeitablauf,

• die Harmonisierung des österreichischen Zolltarifs mit dem gemeinsamen Außentarif der EWG,

• die Frage des Osthandels,

• der gesamte Komplex der Landwirtschaft,

• die allgemeine Harmonisierung, einschließlich der Harmonisierungsmängel, sowie

• die Erfordernisse, die Neutralität und Staatsvertrag gebieten.

Die Verhandlungen führten in mehreren Bereichen zu einer Annäherung der Standpunkte, in anderen zu einem relativen Verständnis für die österreichische Haltung, so insbesondere auf dem Gebiet des Osthandels und der Neutralitäts- und Staatsvertragserfordernisse. In anderen Bereichen gestatten die Grenzen des derzeitigen EWG-Mandats eine Annäherung noch nicht. Die Diskussion über die mit der EFTA-Mitglledschaft zusammenhängenden Fragen wurden auf österreichischen Wunsch bis zu einem späteren Zeitpunkt zurückgestellt.

Aus allem geht hervor, daß noch mit einer längeren Verhandlungsdauer zu rechnen ist, und daß es gefährlich wäre, wenn sich die österreichische Öffentlichkeit aus wähl taktischen Gründen hier einer Täuschung zuführen ließe.

Schließlich möchte ich auf die Frage der Integrationsredfe Österreichs ZJU sprechen kommen. Es ist sehr schwierig, darauf eine eindeutige und kurze Antwort zu geben. Man kann aber zu einer ungefähren Orientierung gelangen, wenn man davon ausgaht, daß Österreich etwa ein Viertel seiner industriellen und gewerblichen Produktion exportiert. Bei besonders exportorientierten Industrien ist dieser Anteil oft noch wesentlich höher, so zum Beispiel 1964 bei der Eisenerzeugung 42 Prozent, Papiererzeugung 35 Prozent, Sägeindustrie 57 Prozent, Maschinenerzeugung 48 Prozent, Elektroindustrie 42 Prozent und Textilindustrie 28 Prozent. Das heißt, daß österreichische Waren auf fremden Märkten Absatz finden, wobei sie mit härtester Konkurrenz zu rechnen haben. Nun scheint mir der Schluß durchaus zwingend zu sein, daß wir bezüglich dieses Teiles unserer Produktion, die ja zum Großteil auch im Inland ihren Absatz findet, die Integrationsreife besitzen müssen. Dazu kommt aber nun, daß jener Teil unserer Produktion, der gegenwärtig noch zollgeschützt ist, dieses Zollschutzes in Hinkunft wird entraten müssen, wodurch seine Leistung gesteigert werden wird. Eine dritte Gruppe unserer Produktion wird dazu nicht in der Lage sein, wobei es heute schwer festzustellen ist, um welchen Prozentsatz unserer Gesamtproduktion es sich hiebeLhan- delt. Ich würde der Auffassung zunligen, daß ungefähr ein Viertel unserer wirtschaftlichen Aktivität sich in dieser Gefahrenzone befindet. Als erschwerend kommt hinzu, daß die betroffenen Produktionsstätten vor allem in den östlichen Bundesländern (Wien, Niederösterreich und Steiermark) gelegen sind. Hier hätte seit langem eine aktive Strukturpolitik, das heißt, eine vorausschauende Regionalplanung die Integration sreife der österreichischen Wirtschaft zu fördern gehabt.

Mehr hierüber zu sagen, würde mich allzusehr in die Nähte jener Diskussion führen, die meiner Ansicht nach im Rahmen des Wahlkampfes geführt werden müßte. Sie würde den Wahlkampf auf ein Niveau heben, das einer Demokratie würdig ist, jedenfalls würdiger als jene Auseinandersetzungen, die wir, so fürchte ich, in den nächsten Wochen zu erwarten haben.

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