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Chemiefasern aus Österreich

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Österreich hat keine nennenswerte Eigenproduktion an natürlichen Textilrohstoffen.

Diese lapidare Feststellung läßt in wenigen Worten die wirtschaftliche Bedeutung der Produktion künstlicher Textilfasern für Österreich erkennen. Man wird dem vielleicht entgegenhalten, solche nationale oder regionale Autarkiebestrebungen hätten doch im Zeitalter der EWG und EFTA jedwede Daseinsberechtigung verloren. Die Antwort auf einen solchen Einwand wäre ebenfalls mit einem Satz zu geben: Selbst das gesamte freie Europa hat keine nennenswerte Eigenproduktion an Naturfasern!

Allerdings wollen diese Feststellungen nicht in einem extremen Sinne aufgefaßt werden, etwa so, daß in Hinkunft in Europa nur noch Chemiefasern verwendet werden sollen. Die Chemiefasern einschließlich der mengenmäßig Bedeutendsten von ihnen, der Viskosezellwolle, wollen weder Konkurrenz noch auch Ersatz für die Naturfasern sein. Alle Spinnfaserarten, ob künstlich oder natürlich, haben nämlich ihre spezifischen Eigenschaften, die sie für bestimmte Verwendungsgebiete prädestinieren, wenngleich

Verschiebungen natürlich möglich sind. So ist es durchaus vernünftig, wenn in Australien Schafwolle, in Ägypten Baumwolle — und in Europa Chemiefasern bevorzugt werden.

Unser kleines Österreich mit seinen sieben Millionen Einwohnern gehört zu den Hauptproduktionsländern der Erde an Zellwolle und liegt unter diesen an siebenter Stelle. Nur etwa 15 Prozent der Produktion der Zellwolle Lenzing Aktiengesellschaft als des einzigen österreichischen Chemiefaserwerks genügen, um den derzeitigen Inlandverbrauch zu decken, während die anderen 85 Prozent exportiert werden müssen.

zu steigern, vor allem durch Beschleunigung der Arbeitsvorgänge und der Fadenlaufgeschwindigkeit. Der höheren Beanspruchung trägt die höhere Gamfestigkeit Rechnung.

Ferner ist in Lenzing eine Spezialfaser in Entwicklung, die für Mischgespinste mit synthetischen Fasern bestimmtest. Diese sind einerseits durch extrem hohe Reißfestigkeit, anderseits durch sehr geringe Saugfähigkeit charakterisiert. Zellwolle hingegen besitzt hohe Saugfähigkeit, aber geringere Festigkeit. Es ist deshalb für vielerlei Zwecke von Vorteil, die Eigenschaften beider Chemiefaserarten zu kombinieren, indem man sie mischt, beispielsweise für Leibwäsche, von der Saugfähigkeit verlangt werden muß. Damit aber die hohe Festigkeit der synthetischen Faser bei der Verarbeitung ausgenutzt werden kann, ist es notwendig, auch die Festigkeit der mitverarbeiteten Zellulosechemiefaser entsprechend zu steigern. Es ist nun tatsächlich möglich, Viskosefasern herzustellen, deren Festigkeit an die der Baumwolle heranreicht.

Aus ähnlichen Überlegungen ist auch die Entwicklung einer Teppichspezialfaser vorangetrieben worden, die in nicht ferner Zeit bereits produktionsreif sein wird. Sie trägt der Entwicklung der Schlingenflortenteppiche (Tufted carpets) Rechnung. Auch in Österreich werden derartige Bodenbeläge bereits in zunehmendem Umfang produziert. Die neue Teppichspezialfaser wird gegenüber den bisherigen Teppichfasertypen wertvolle Verbesserungen aufweisen. Sie wird kreisrunden Querschnitt und daher geringere

Schmutzhaftung zeigen als die bisherigen Typen mit ihrer für Viskosefasern charakteristischen Längsriefung. Sie wird stark gekräuselt sein und einen dichten Flor mit guter Standfestigkeit bilden. Es ist zu hoffen, daß diese Spezialfaser der heimischen Tufted-Produktion die Einführung dieses neuen Bodenbelages erleichtern wird.

Gemeinsam mit den Österreichischen Stickstoffwerken in Linz ist die Produktion einer inländischen Polyacrylnitrilfaser geplant, einer synthetischen Faserart von hohen Gebrauchseigenschaften, unter denen insbesondere eine höhere Lichtbeständigkeit, geringes spezifisches Gewicht, hoher Knitterwiderstand und hohe Wärmebeständigkeit zu erwähnen ist. Mit dem Anlaufen dieser Produktion kann in etwa zwei Jahren gerechnet werden, wobei die Österreichischen Stickstoffwerke das Rohmaterial herstellen werden, welches in Lenzing in einem gemeinsamen Werk beider Firmen zur Textilfaser weiterverarbeitet werden wird Die Acrylfaser hat sich bisher schon bestens, insbesondere als Beimischungsfaser zur Wolle bewährt und hat besonderen Eingang in der Wirkwarenindustrie, in der Teppichindustrie und in der gesamten wollverarbeitenden Industrie gefunden.

Daneben ist außerdem, ebenfalls in Gemeinschaft mit einem zweiten Unternehmen, die Produktion einer Polyesterfaser geplant. Die Polyesterfaser ist eine sehr hochwertige, aber auch teure Faser, welche sich infolge ihrer hohen Qualitätseigenschaften in der Textilverarbeitung immer mehr einführt.

Diese ungleiche Relation hat zwei Ursachen: Gerade wenn man europäisch denkt, wird man Zellwolle in Europa zweckmäßig dort produzieren, wo das Ausgangsprodukt Zellulose zur Verfügung steht. Das ist nun in unserem waldreichen Österreich der Fall.

Die zweite Ursache aber ist, daß, ganz allgemein gesprochen, die Chemiefaserindustrie stets Großindustrie ist und sein muß. Kleine Betriebe kann es in der verarbeitenden Industrie geben. Webereien, Wirkereibetriebe, Färbereien, Konfektionierungsbetriebe gibt es in allen Größenordnungen. Die Chemiefaserindustrie aber, die eigene Energiezentralen und Dampfkesselanlagen benötigt, Wasserenthärtungsanlagen, Laboratorien chemischer und textiler Richtung, Versuchsanlagen, Tankanlagen für explosive und ätzende Chemikalien, Rückgewinnungsanlagen und vieles mehr, ist als Mittel- oder gar Kleinbetrieb schlechthin undenkbar. Die Errichtung einer Chemiefaseranlage, einerlei, welche Art von Kunstfaser erzeugt werden soll, ist auf jeden Fall ein Vorhaben, das hohen Kapitalaufwand erfordert.

Absatz im EWG-Bereich

Die Gründung der beiden Großwirtschaftsbereiche EWG und EFTA hat die österreichische Chemiefaserindustrie vor neue Aufgaben gestellt. Ein wesentlicher Teil des Lenzinger Experts war in EWG-Staaten gegangen, namentlich in die Bundesrepublik Deutschland. Viele bewährte Verbindungen sind dadurch, daß Österreich aus Gründen seiner Neutralität nicht der EWG angehören kann, unterbrochen oder doch zumindest schwierig geworden, ohne daß innerhalb der EFTA gleichwertige neue Beziehungen hätten angeknüpft werden können. Denn unser unmittelbares Nachbarland, die Schweiz, verfügt selbst über eine hochentwickelte Chemiefaserproduktion und befindet sich in ähnlicher Lage wie Österreich. Dänemark hat zwar keine eigene Chemiefaserproduktion und käme somit als Abnehmer in Betracht, doch besitzt es leider auch keine nennenswerte Textilindustrie. Der EFTA gehört weiter England an, welches das drittgrößte Chemiefaserproduktionsland der Erde ist und als Abnehmer ebenfalls nicht in Frage kommt. Auch die übrigen drei, der Bevölkerungszahl nach kleinen Länder Schweden, Norwegen und Portugal, verfügen bereits über eine eigene Chemiefaserproduktion. Finnland, welches neu hinzugestoßen ist, hat eine noch größere Zöljulösfckapäzität’ als, jÖäifefjeich juniT wirdj gewiß alles daransetzeH, jum siÄn&e111 Ckemiiefp/Sdüktion ‘lJeiier 1 auszubauen.

Somit bietet die Zugehörigkeit zur EFTA der österreichischen Zellwolleproduktion keinen auch nur annähernd gleichwertigen Ersatz für die verlorenen Exportmöglichkeiten in den jetzigen EWG-Raum. Deshalb ist ein baldiger Erfolg der Bestrebungen für eine Einigung zwischen EWG und EFTA gerade für diesen Produktionszweig der heimischen Industrie von größter Bedeutung. Dann allerdings dürfte Lenzing gute Chancen einer stabilen Entwicklung haben.

Während im letzten Jahrzehnt das Lenzinger Unternehmen dauernd seine Produktionsmengen steigerte, ist es derzeit daran, die Qualität der erzeugten Viskosezellwolle dem letzten Weltmarktstandard anzugleichen. Viskosezellwolle, im Weltmarktverbrauch zwischen der Baumwolle und der Schafwolle rangierend, ist nach Wie vor die wichtigste Chemiespinnfaser. Sie ist nicht nur die billigste, sondern gleichzeitig auch die wandlungsfähigste aller Chemiefasern und wird in dieser Hinsicht von keiner anderen künstlichen oder natürlichen Faser übertroffen.

Synthetische Fasern

Schon in wenigen Wochen wird Lenzing mit einer neuen Type auf dem Markt erscheinen, die gegenüber der bisherigen Zellwolle eine um rund zwanzig Prozent erhöhte Reißfestigkeit aufweist. Dies ist weniger für die Gebrauchsgüter als in erster Linie für den Verarbeiter, den Spinner und Weber, von Wichtigkeit. Auch in diesen Industrien zwingt der ständig schärfer werdende Konkurrenzdruck dazu, die Produktivität

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