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Integration innerhalb der EFTA

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Die Zugehörigkeit Österreichs zur EFTA hat in der öffentlichen Meinung unseres Landes von allem Anfang an eine geteilte Aufnahme gefunden. Die einen halten die Mitgliedschaft bei der EFTA für einen schweren Fehler unserer Außenwirtschaftspolitik, die anderen für wirtschaftlich belanglos, und wieder andere vertreten die Auffassung, daß sie zwar nicht ohne Bedeutung ist, aber zu einer unnatürlichen Umdirigierung unseres Außenhandels führen muß. Obwohl ich nur einer der Väter des EFTA-Anschlusses bin — damals als der Beitritt verhandelt und beschlossen wurde, war Raab Kanzler, Figl Außenminister, Bock Handelsminister und ich Staatssekretär —, will ich mich dennoch nicht an dieser heute so beliebten politischen Kindesweglegung beteiligen, ganz im Gegenteil: Ich will, und ich weiß nicht zum wievielten Male, den Versuch machen zu beweisen, daß Österreichs Zugehörigkeit zur Europäischen Freihandelsassoziation nicht nur segensreiche Auswirkungen für unseren Export gehabt hat, sondern von struktureller Bedeutung für unsere Außenwirtschaftsbeziehungen geworden ist. Das gilt vor allem in noch höherem Maße, wenn nachweisbar, trotz mancher Irreführungen, eine für Österreich mögliche Vereinbarung mit der EWG hisher niemals möglich gewesen ist.

Einer der großen Nachteile der Außenhandelssituation der Ersten Republik lag in ihrer Einseitigkeit: Deutschland und Osteuropa waren unsere entscheidendsten Partner, und jede Konjunkturveränderung in diesen Regionen mußte sich sofort in Österreich bemerkbar machen. Vollends katastrophal wurde unsere Lage, als Hitler den Handelskrieg gegen uns zu führen begann. Heute ist die Situation in vielem anders: Die osteuropäischen Staaten, die in der Ersten Republik ungefähr ein Drittel unseres Exports auünahmen, beziehen von uns wesentlich weniger als ein Fünftel — anstatt der sehr arbeitsintensiven Fertigwaren heute vielfach Kapitalgüter, Rohstoffe und Halbfabrikate. Unsere Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland haben nach 1945 eine weitere Akzentuierung erfahren. Seit dem Abschluß des EFTA-Vertrages ist hier nun ein bemerkenswerter Wandel eingetreten und einige Zahlen illustrieren das deutlich; der Export in die EFTA-Staaten betrug im Jahre 1959 rund 2,9 Milliarden Schilling oder 11,6 Prozent der damaligen Gesamtausfuhr; er betrug im Jahre 1965 7,3 Milliarden oder 17,5 Prozent und im ersten Vierteljahr 1966 nahezu zwei Milliarden oder 20,3 Prozent. Die Exporte nach Großbritannien haben wieder eine Ausweitung erfahren, und man kann davon ausgehen, daß die gänzliche Beseitigung der britischen Importabgabe eine weitere

Steigerung zur Folge haben wird. Die Gesamtexporte in die EFTA-Staaten werden somit im Jahre 1966 um acht Milliarden Schilling herum betragen, was bedeutet, daß unsere Exporte sich innerhalb von sechs Jahren in die EFTA-Staaten nahezu verdreifacht und prozentmäßig nahezu verdoppelt haben — das deshalb, weil der österreichische Außenhandel in dieser Periode um ungefähr 66 Prozent gestiegen ist. Damit ist eindeutig die Europäische Freihandelsassoziation heute der zweitgrößte Abnehmer unserer Waren geworden und der osteuropäische Handel, obwohl auch dieser eine steigende Tendenz aufgewiesen hat, beträchtlich überflügelt worden.

Im EFTA-Export ist aber außer dem Volumen noch interessant, daß er nur zu einem sehr geringen Teil aus Rohstoffen besteht. So wurden in die EFTA-Staaten 1965 Rohstoffe im Werte von 400 Millionen Schilling exportiert, während in die der EWG Waren dieser Kategorie im Werte von vier Milliarden Schilling gingen. Der Fertigwarenanteil im EFTA- Export ist prozentual wesentlich höher als im EWG-Export.

Auch ein anderer Umstand verdient erwähnt zu werden. Die Handelsbilanz Österreichs mit der EFTA war bis vor kurzem nahezu ausgeglichen. Erst in allerletzter Zeit ist das Passivum gestiegen, es. hat .ahfirJsejfe. neswegs beunruhigende Formen angenommen. Es betrug zuungunsten Österreichs 700 Millionen Schilling, während es sich gegenüber der EWG auf nahezu 13 Milliarden Schilling belief. Diese Tatsachen müssen uns doch einige Überlegungen wert sein. Auch wir werden uns in Zukunft in etwas stärkerem Maße als bisher mit Zahlungsbilanzproblemen zu befassen haben und vor allem nach der Entwicklung in Deutschland kann man nicht annehmen, daß wir eine Insel der Seligen bleiben werden. Österreich muß deshalb im Interesse seiner Zahlungsbilanz, die schon im Vorjahr nicht mehr durch den Fremdenverkehr und ähnliche Einnahmen ausgeglichen werden konnte, mit besonderem Interesse die Entwicklung seines Außenhandels in jenen Relationen beobachten, die chancenreich sind und einen relativen Ausgleich bieten. Selbst für den Fall, daß es uns gelänge, in absehbarer Zeit eine für uns wirtschąftlich wünschenswerte und politisch akzeptable Vereinigung mit der EWG zu erreichen — worüber ja im Augenblick wenig gesagt werden kann —, würde ein solches Abkommen zu keiner beträchtlichen Steigerung unserer Exporte in die EWG, sondern durch den Wegfall der Diskriminierung bestenfalls zu ertragreicheren führen. Die EWG-Märkte werden seit Jahrzehnten von der österreichischen Wirtschaft ausgezeichnet bearbeitet; sie konnten sogar, wie Ziffern beweisen, trotz der Diskriminierung mit Opfern gehalten werden. Aber diese Märkte weisen eben gerade für diese typisch österreichischen Exportartikel einen relativen Sättigungsgrad auf. Hingegen müßte es durch den Wegfall der Zölle zu einem rapiden Ansteigen der Importe aus den EWG-Staaten führen, wodurch sich die Zahlungsbilanzsituation Österreichs weiter wesentlich verschlechtern müßte. Diese Tendenz würde dann noch eine zusätzliche Verschärfung erfahren, wenn wir die für die österreichischen Produkte in den letzten Jahren erschlossenen EFTA-Märkte zu einem Teil wieder verlören. Von all dem habe ich im Parlament gesprochen, aber die zuständigen Herren der Bundesregierung — und das ist eine einmalige Situation für eine Demokratie — haben dazu nicht mit einem einzigen Wort in der Budgetdebatte Stellung genommen.

Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich betonen, daß ich nach wie vor für eine Vereinbarung mit der EWG bin und daß sich hier seit der Auflösung der Koalition keine Haltungsänderung ergeben hat. Eine solche Vereinbarung — und das war immer mein Standpunkt — müßte sich vor allem striktest an jene politischen Grundsätze halten, an jenen neutralitätspolitischen Richtlinien orientieren, die mit den anderen zwei Neutralen, der Schweiz und Schweden, seinerzeit ausgearbeitet wurden. Eine solche Vereinbarung aber mußte auch so beschaffen sein, daß sie uns nicht in der Entwicklung unserer Exporte in andere Teile der Welt behindert. Ich habe einige Male den Standpunkt vertreten, daß Österreich kaum als einziger Staat Europas die Chance haben wird, als Vollberechtigter zwei Präferenzsystemen anzugehören. Unter diesen Umständen muß man eben eine Vereinbarung anstreben, die für einen großen Teil der österreichischen Exporte in die EWG die Diskriminierung auf ein Minimum reduziert oder ganz beseitigt. Hier ließe sich so manches denken, um so mehr als ja unsere Importe aus der EWG um mindestens 15 Milliarden Schilling höher sein werden als unsere Exporte dorthin. Es müßte also auch ein Interesse der EWG-Staaten sein, auf dem österreichischen Markt nicht diskriminiert zu sein.

Als Beweis dafür, daß ich hier keinen durchaus illusionären Standpunkt vertrete, will ich anführen, daß mir der französische Außenminister Couve de Murville einmal in einem Gespräch sagte, daß es das beste wäre, mit Österreich einen „sehr einfachen Vertrag“ zu machen — er hat damit ohne Zweifel einen gemeint, der nicht unbedingt den Wünschen der Integrationsperfektionisten entspricht.

Und so möchte ich noch auf einen Umstand verweisen, der in der öffentlichen Debatte immer wegmanipuliert wird — nämlich: daß die Zugehörigkeit zur EFTA dazu führen wird, daß es in ganz kurzer Zeit nicht nur einen gemeinsamen Markt der hundert Millionen, ein Nah Verhältnis mit einigen der bedeutendsten Welthandelsnationen Europas geben wird, sondern daß die Zugehörigkeit zur EFTA auch inkludiert, daß die neutrale Schweiz und das neutrale Österreich au einem gemeinsamen Handelsbereich werden.

Es wird immer wieder der Eindruck erweckt, daß die EFTA im Gegensatz zur EWG ein stagnierendes Handelssystem wäre. Die Ziffern des ersten Quartals 1966 aber sprechen eine andere Sprache: der Export in die EWG ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um elf Prozent gestiegen, in die USA um 37,5 Prozent und in die übrige Welt um 5,4 Prozent. Der gesamte Export der BFTA-Staaten betrug im ersten Quartal 180 Milliarden Schilling.

Aus allen diesen Gründen scheint es mir keine sehr sinnvolle offizielle Politik zu sein, die EFTA-Zugehörigkeit teilweise zu bagatellisieren oder immer wieder zu betonen, wie sehr sie eine Angelegenheit auf Abruf wäre. Österreich müßte als Mitgliedstaat der EFTA sogar bereit sein, in gewissen Bereichen realistische Initiativen zu ergreifen. Ein konkretes Beispiel für das, was ich meine: In der Schweiz ist es aus konjunkturpolitischen Überlegungen zu einer starken Einschränkung der Fremdarbeiterbeschäftigung gekommen. Es ist gar keine Frage, daß wir in Österreich, in Niederösterreich, in Kärnten, im Burgenland, in Teilen der Steiermark Gebiete haben, die über starke Arbeitskraftreserven verfügen — offene oder versteckte. Es wird zusätzliche Reserven dieser Art dort geben, wo es in der nächsten Zeit zu Betriebseinstellungen kommen wird. Es müßte doch möglich sein, die Schweizer davon zu überzeugen, daß die Errichtung von Klein- und Mittelbetrieben in Österreich nicht nur die Förderung der öffentlichen Hand, also der Gemeinde und Länder findet, sondern daß auch verläßliche und hochqualifizierte Arbeitskräfte in der Nähe der zu errichtenden Betriehsstätten vorhanden sind. Durch solche Maßnahmen könnte es auch zu einer Steigerung des Kapitalimports aus einer Quelle, die für uns durchaus wünschenswert ist, kommen. Ich glaube überhaupt, daß es innerhalb der Europäischen Freihandelsassoziation vor allem zu regionalen Integrationsentwicklungen kommen wird — in Nordeuropa und in Mitteleuropa. Es ist aber selbstverständlich, wenn man in der Schweiz nichts über die Absichten und das schließliche Schicksal Österreichs weiß, wird man sich auf keine langfristige wirtschaftliche Zusammenarbeit und vor allem auf keine Risiken einlassen und allen Versuchen dieser Art gegenüber sich rezeptiv verhalten.

Österreich und die Schweiz bilden — ich habe oft darauf verwiesen — in der Mitte Europas eine Zone der Entspannung, die von der pannonischen Tiefebene bis zum Französischen Jura reicht. Die beiden neutralen Alpenrepubliken haben so geradezu eine weltpolitische Funktion für den Frieden in Europa übernommen — eine Tatsache, die vor allem für Österreich nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Darin liegt ja das Neue in der außenpolitischen Situation Österreichs im Vergleich zur Zwischenkriegszeit, darin liegt seine neue Sicherheit und Reputation begründet. Eine Außenpolitik, die diesen Umstand nicht berücksichtigt oder glaubt, ihm mit ein paar problematischen Phrasen Genüge tun zu können, ist im Begriff, eine einzigartige Chance zu zerstören: Aus Österreich eine zweite Schweiz — neben ihr und mit ihr — zu machen. Dazu gehört, wer könnte es bezweifeln, die engstmögliche wirtschaftliche Integration mit der Schweiz; und die Chance dazu liegt in der gemeinsamen Mitgliedschaft zur EFTA, die hier geradezu als Katalysator wirken könnte.

Mit allem soll aber nicht gesagt sein, daß Ich die EFTA und die EWG in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung gleichsetze, vor allem soll nicht der Eindruck entstehen, daß ich blind wäre für das entscheidende und differenzierende Kriterium der beiden Handelssysteme, nämlich daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ihrer Integration einen ImtenBitätsgrad verliehen hat, der meiner Ansicht nach ein Auseinanderfallen ausschließt. Es kann kein Zweifel bestehen, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ein der EFTA überlegeneres System darstellt, vor allem seitdem es gelungen ist, die Landwirt- schaftsfragen einer Lösung zuzuführen. Damit ist es zum „entscheidenden und unwiderruflichen Durchbruch zum gemeinsamen Markt“ gekommen. Bei aller positiven Einstellung zu dieser Entwicklung dürfen wir allerdings nicht übersehen, daß die Landwirtschaftsfragen in einer Weise gelöst wurden, die, wie die „Süddeutsche Zeitung“ feststellt, „nicht zu einem großen gemeinsamen Käufermarkt, sondern mehr zu einem europäischen Verkäufermarkt, zu einer Art europäischem grünen Kartell“ geführt haben. Die Agrarerzeugnisse sind demgemäß auf dem gemeinsamen Markt nicht billiger, sondern teuerer geworden.

Für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die dynamische Entwicklung, die es innerhalb ihrer Industrien gibt, wird sich sehr bald zeigen, daß der gemeinsame Markt viel zu klein ist, und es wird so zwangsläufig ihre primäre Aufgabe sein, nach einer Vergrößerung dieses gemeinsamen Marktes Ausschau zu halten. Nicht nur für die EFTA-Staa- ten, sondern auch für die EWG-Staaten wird ein Arrangement mit dem Ziel eines größeren europäischen Marktes notwendig sein. Diese Entwicklung wird um so eher eintreten, je gefestigter die EWG, je erfolgreicher die ökonomische Politik ihrer Mitgliedstaaten in der Richtung auf die Integration sein wird. Desto rascher wird es zu einem Konzept der Außenwirtschaftspolitik der EWG kommen. Daher sollten wir in der Zwischenzeit nicht unsichere große Avenuen nach Brüssel planen, sondern versuchen, uns auf sicheren Pfaden zu halten, jeden Schritt ohne Nervosität prüfen, und die wichtigsten Dinge zuerst tun. Solche Gedanken sollten uns bei den Verhandlungen in Brüssel leiten, sie sollten unseren Besprechungen, einen „einfachen Vertrag" zu erzielen, zu Grunde liegen.

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