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Gute Nachricht aus Genf

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Die Zollverhandlungen der Kennedy-Runde, die am Pfingstmontag in Genf mit Erfolg, ja mit überraschendem Erfolg albgeschlossen werden konnten, waren einst gedacht als integraler Teil des heute schon fast vergessenen „grand design“ einer atlantischen Partnerschaft. Diese von Präsident Kennedy verkündete Vision der außen- und verteidigungspolitischen Partnerschaft sollte durch eine möglichst enge wirtschaftliche Verflechtung abgestützt werden.

• Die „Trade Expansion Act“, die der Kennedy-Rände zugrunde liegende gesetzliche Basis, verlieh dem Präsidenten der Vereinigten Staaten die mit fünf Jahre befristete Ermächtigung — sie läuft nun Mitte dieses Jahres ab —, die US-Einfuhrzölle bis zu einem Ausmaß von 50 Prozent gegen entsprechende Konzessionen anderer Länder zu senken. Das Gesetz ermächtigte ihn weiters, die Zölle für Güter, bei denen 80 Prozent des Exportes der freien Welt auf die USA und die Länder der EWG entfallen, auf null zu reduzieren.

Diese Vollmachten waren die größten, die einem Präsidenten der Vereinigten Staaten jemals auf handelspolitischer Ebene erteilt wurden. Sie erlaubten es, einen neuen, ungemein wirkungsvolleren Stil in internationalen ZollverhandLungen zu bringen; anstelle des mühsamen positionsweisen Aushandelns und Ausbilanzierens von Konzessionen ermöglichten sie eine generelle Halbierung der bestehenden Zollsätze. Als institutioneller Rahmen für die Verhandlungen wurde das GATT,das auf dem Meistbegünstigungsprinzip beruhende Allgemeine Zoll-und Handelsabkommen, gewählt.

Die Idee einer atlantischen Gemeinschaft traf auf den harten Widerstand des französischen Präsidenten, der darin die Gefahr einer Vorherrschaft der USA über Europa sah. Er setzte ihr sein Konzept eines politisch, militärisch und wirtschaftlich selbständigen und unabhängigen Kontinentaleuropa entgegen; wichtige Stationen auf diesem Wege Frankreichs waren das Veto vom Jänner 1963 gegen den Beitritt Großbritanniens zur EWG, das Scheitern des Planes zur Schaffung einer atlantischen, multilateralen Atomstreitmacht und schließlich der Rückzug Frankreich aus der NATO. Kennedys große Vision sollte keine Verwirklidhung finden, die Entwicklung der atlantischen Beziehungen nahm einen anderen Lauf.

Ein sehr konkretes Stück des un-verwirklicht gebliebenen „grand design“ aber überlebte: Die Zollverhandlungen der Kennedy-Runde. Diese Verhandlungen hatten anfänglich das wesentliche Ziel, die Zollbarrieren zwischen den USA und dem EWG-Europa abzubauen — wobei damals, im Jahre 1962, die Annahme zugrunde lag, daß dieses EWG-Europa neben den sechs EWG-Gründerstaaten auch England und die anderen EFTA-Länder umfassen würde. De Gaulles Veto gegen den EWG-Beitritt Großbritanniens aber gab der Kennedy-Runde eine neue, sozusagen innereuropäische Bedeutung: Da die handelspolitische Kluft in Europa nun vorläufig weiterbestehen sollte, würde ein Erfolg der Kennedy-Runde auch die Zollbarrieren zwischen EWG und EFTA und damit die gegenseitige Diskriminierung abschleifen.

Es ist dieser zweite Aspekt, der den jetzt errungenen Erfolg für die europäischen Teilnehmer an den Verhandlungen, für die EWG- und EFTA-Länder und damit für Österreich, so besonders wertvoll macht.

Das glückliche Gelingen ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Vereinigten Staaten darauf verzichteten, einen wesentlichen Abbau des EWG-Schutzes für Agrarpro-dukte zu fordern — eine Beschneidung der Vereinigten Staaten, die der Regierung Johnsons sicherlich noch einige Kritik und Schwierigkeiten im Kongreß und der amerikanischen Öffentlichkeit bringen wird. Anderseits aber zeigte sich auch Frankreich, nachdem es innerhalb der EWG nun die Frage der gemeinsamen Agrarpolitik in seinem Sinne gelöst hatte, auf dem Gebiete des Abbaues der Zölle für gewerblichindustrielle Waren entgegenkommend und kompromißbereit. Der von vielen kaum mehr erwartete Erfolg der Kennedy-Runde ist aber vor allem ein ermutigendes Zeichen dafür, daß trotz bestehenden Zwistes und trotz gewisser Desintegrationstendenzen im „atlantischen Lager“ ein Fundus gemeinsamer Verantwortung weiterbesteht.

Was bringt der Erfolg der Kennedy-Runde im konkreten? Die vereinbarten Konzessionen erfassen ein Handelsvolumen von 40 Milliarden Dollar, das ist ungefähr ein Drittel des Welthandelsvolumens der Industriestaaten. Noch nie vorher hatte eine internationale Zollsenkungskonferenz ein Ergebnis von solcher Breite, aber auch Tiefe erbracht. Neben dem Abschluß eines Weltweizenabkommens, der Einigung über eine Getreidehilfe an Entwicklungsländer und wichtigen Konzessionen auf niohttarifischem Gebiet muß für Österreich vor allem der Umfang der Zollsenkungen herausge-gestellt werden.

Die ausgehandelten Zollsenkungen werden nach den Mitteilungen der führenden Unterhändler in Genf im Durchschnitt ungefähr 35 Prozent betragen. Nach den Ausführungen des Chefunterhändlers der EWG, Jean Key, soll der EWG-Außentarif im Durchschnitt zwischen 35 und 40 Prozent gesenkt werden. Dies würde heißen, daß die derzeitige EWG-Zollbarriere von durchschnittlich zwölf Prozent auf knappe sieben Prozent abgesenkt würde; die für Österreich so wichtigen — und schmerzlichen — EWG-Stahlzölle sollen von neun Prozent auf 5,7 Pro-zent fallen. Selbstverständlich werden auch die Einfuhrzölle Österreichs entsprechende Senkungen erfahren.

Experten werden in den kommenden Wochen das Erfolgspaket der Kennedy-Runde noch in konkrete Einzelziffern umrechnen müssen. Doch zeigt schon der erste Blick, daß das Ergebnis der Kennedy-Runde neben seinem Impuls für den Welthandel eine erhebliche Minderung der Zolldiskriminierung zwischen den beiden europäischen Handelsgruppen EWG und EFTA bringen wird. Dies wird auch Österreichs derzeitige Schwierigkeiten auf den EWG-Märkten erleichtern — sofern diese Schwierigkeiten überhaupt auf die Zolldiskriminierung zurückzuführen sind.

Österreich hat damit zumindest eine Atempause gewonnen, was die Dringlichkeit einer Vereinbarung mit der EWG betrifft. Eine Atempause, die es Österreich leichter machen könnte, mit seinem EWG-Arrangement zuzuwarten, bis es zu der erhofften umfassenden Lösung zwischen EWG und allen EFTA-Län-dern kommt. Österreichs Weg wäre dann jedenfalls — im Politischen und Wirtschaftlichen — leichter und weniger riskant.

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