6764260-1968_28_01.jpg
Digital In Arbeit

Im Vorzimmer weiter warten…

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Herr Minister, Sie haben dieser Tage in einer Aussendung des ÖVP-Pressedienstes darauf hingewiesen, daß Österreich auf jeden Fall ein „Arrangement“ mit der EWG braucht. Wie soll ein solches „Arrangement“ aussehen?

MITTERER: Das österreichische Verhandlungsziel ist nach wie vor ein wirtschaftlicher Vertrag besonderer Art, der sich auf nachstehende Gebiete bezieht:

• Volle Beseitigung der Zölle und der noch bestehenden mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen Österreich und der EWG innerhalb eines zu vereinbarendenZeitraumes;

• Harmonisierung des österreichischen Zolltarifs mit dem Gemeinsamen Zolltarif durch Inkraftsetzung eines neuen österreichischen Zolltarifs;

• Angleichung der österreichischen Agrarpolitik an die Agrarpolitik der Gemeinschaft;

• Harmonisierung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und Verkehrsverlagerungen;

• Berücksichtigung der Erfordernisse, die sich aus der immerwährenden Neutralität Österreichs ergeben.

Ganz allgemein gesprochen ist unser primäres Interesse die Beseitigung der mit 1. Juli 1968 neuerlich stärker gewordenen Diskriminierung der österreichischen Exporte im EWG-Raum. Darüber hinaus geht es um das weiter gesteckte Ziel einer möglichst umfassenden Teilnahme der österreichischen Wirtschaft an der Dynamik dieses wirtschaftlichen Großraumes, mit dem uns so enge Beziehungen wirtschaftlicher Art verbinden.

FURCHE: Also „Vertrag besonderer Art“; ist also eine Assoziierung Österreichs mit der EWG damit gegenstandslos geworden?

MITTERER: Die Begriffe „Assoziierung“, „Arrangement“ oder „wirtschaftlicher Vertrag besonderer Art“ schließen einander nicht aus. Der Inhalt des im Römer Vertrag, Art. 238, enthaltenen Wortes „Assoziierung“ ist nirgends näher definiert. Er kann, wie Bundeskanzler Dr. Gorbach es seinerzeit ausdrückte, alles das sein, was bei den Verhandlungen schließlich herauskommt. Dasselbe gilt für die beiden anderen Begriffe. Es kommt ja schließlich nicht auf Worte, sondern auf den Inhalt des von Österreich angestrebten Vertrages an.

FURCHE: In Brüssel kann man immer wieder hören, daß eine österreichische Assoziierung beziehungsweise ein Arrangement mit der EWG auf keinen Fall vor einem Beitritt Großbritanniens zustande kommen dürfte. Sehen Sie hier eine Chance für die österreichischen Bestrebungen, vor dem Jahre 1970 zu irgendeiner Übereinkunft zu kommen?

MITTERER: Was Sie hier als Brüsseler „on-dit“ zitieren, ist eine nicht von der Hand zu weisende Spekulation, aber doch eben eine Spekulation. Tatsache ist freilich, daß im Sommer vorigen Jahres auf Grund der Beitrittsansuchen Großbritanniens, Norwegens, Dänemarks und Irlands sowie auf Grund des schwedischen Antrages eine wesentliche Änderung der politischen Konstellation auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Integration Europas eintrat. Die Frage der Erweiterung wurde zum Zentralproblem der Außenbeziehungen der europäischen Gemeinschaften und dadurch wirken sich die grundsätzlichen Überlegungen der EWG-Staaten zur Erweiterungsproblematik auch auf die Verhandlungen der Gemeinschaft mit Österreich aus. Abgesehen davon ist es bei der bekannten Kompliziertheit multilateraler Verhandlungen auf internationaler Ebene nicht möglich, Prognosen zu stellen …

FURCHE: Prognosen nicht, aber was meint etwa Jean Rey, konnten Sie da schon Klarheit erhalten?

MITTERER: Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean Rey, ist als warmer Befürworter eines Arrangements zwischen der Gemeinschaft und Österreich bekannt. Er hat diese Haltung auch in einem persönlichen Gespräch mit mir im März 1968 in Brüssel neuerlich bekräftigt. Schon in seiner früheren Funktion als „Außenminister“ der EWG hatte er vom Beginn der Österreichverhandlungen an sich stets für eine positive Behandlung des österreichischen Ansuchens ausgesprochen.

FURCHE: Nun, Herr Minister, zu einem heißen Eisen: Haben Sie mit Ihrem Kollegen Außenminister Dr. Waldheim irgendwelche Schritte gegen das italienische Veto besprochen, beziehungsweise haben Sie Hoffnungen, daß dieses Veto gegen Österreichs EWG-Bemühungen aufgehoben wird?

MITTERER: Die Frage der Aufhebung des italienischen Vetos ist primär eine Frage der Außenpolitik und damit des Herrn Außenministers, doch stehen wir darüber ständig miteinander in Fühlung. Das Veto richtet sich nicht gegen die EWG-Bemühungen Österreichs selbst. Dieses Problem ist, weil es ja eine Lebensfrage für die österreichische Wirtschaft und damit für die gesamte Bevölkerung unseres Landes bedeutet, darüber hinaus selbstverständlich auch Gegenstand von Überlegungen innerhalb der Gesamtregierung.

FURCHE: Sehen Sie keine Möglichkeiten, von österreichischer Seite her wirtschaftliche Sanktionen gegen Italien zu ergreifen, um Italien zu zwingen, das Veto aufzuheben?

MITTERER: Wirtschaftliche Sanktionen eines europäischen Staates gegen einen anderen haben im Zeichen der Integration Europas keinen Platz in unseren Überlegungen. Sie würden überdies sofort Gegenmaß-

nahmen des betroffenen Landes und womöglich auch anderer Staaten auslösen. Wem sollte so ein Wirtschaftskrieg nützen? Wir haben, so glaube ich, mit Recht die Verquik- kung der Südtirolfrage mit unserem Ansuchen um ein EWG-Arrangement als ungerechtfertigt bezeichnet. Österreich wird jedenfalls seinerseits bemüht bleiben, offene zwischenstaatliche Probleme, gleichgültig welcher Art, auf dem Verhandlungswege auf gütliche Weise zu regeln.

FURCHE: Glauben Sie also nicht, daß etwa eine Zollerhöhung für Südfrüchte oder Einschränkungsbestimmungen für den österreichischen Reiseverkehr und ähnliches die Italiener zu einer Änderung ihrer Haltung veranlassten könnten?

MITTERER: Die von Ihnen genannten Maßnahmen würden einen unverzeihlichen und üblen Rückschritt in eine als überwunden anzusehende Kategorie „wirtschaftspolitischer“ Methoden bedeuten und außerdem auch von der eigenen Bevölkerung alles andere als populär empfunden werden. Sie stehen daher außerhalb jeder ernsten Diskussion.

FURCHE: Gut. Das betrifft Italien. Es steht aber fest, daß auch die anderen Staaten, so Frankreich und auch die Beneluxstaaten, keine besondere Initiative für Österreich an den Tag legen. Glauben Sie, daß sich in Zukunft Schwierigkeiten für ein Arrangement von dieser Seite ergeben könnten?

MITTERER: Der Umstand, daß Frankreich — das im Augenblick bei Gott andere Sorgen hat — oder die Beneluxstaaten derzeit keine Österreichinitiative an den Tag legen, hängt in erster Linie mit dem Bestehen des italienischen Vetos zusammen. Es liegt eben im Wesen eines Vetos, daß es die positive Einstellung aller anderen Partner unwirksam macht. Das Fehlen einer Österreichinitiätive bedeutet aber anderseits nicht, daß von dieser Seite her Schwierigkeiten für ein Arrangement kommen würden.

FURCHE: Wäre es nicht günstig, die wirtschaftlichen Kontakte mit den Beneluxstaaten und Frankreich zu intensivieren, um auf diese Weise ein größeres Interesse für ein österreichisches Arrangement bei den westeuropäischen Ländern zu forcieren?

MITTERER: Unsere wirtschaftlichen Kontakte mit Frankreich und mit den Beneluxstaaten sind traditionsgemäß eng und gut. Eine weitere Verbesserung der Beziehungen mit Frankreich ist bekanntlich das Ziel der zwischenstaatlichen Kommission, die aus Anlaß des Besuches des französischen Ministerpräsidenten im Herbst des Vorjahres ins Leben gerufen wurde.

FURCHE: Welche Stellung bezieht die deutsche Bundesrepublik in der Frage Österreich bei der EWG?

MITTERER: Die Bundesrepublik Deutschland hat das österreichische Ansuchen in Brüssel stets unterstützt. An dieser Haltung dürfte sich — so eine Voraussage hier zulässig erscheint — auch in der Zukunft nichts ändern.

FURCHE: Wenn — sagen wir — innerhalb der nächsten fünf Jahre also kein Arrangement zwischen Österreich und der EWG zustande käme, welche Folgen würde das haben?

MITTERER: Die Tatsache, daß es bisher zu keinem Arrangement mit der EWG gekommen ist, hat schon in der Vergangenheit zu zahlreichen Schädigungen und finanziellen Einbußen der österreichischen Wirtschaft geführt, da die in den EWG- Markt exportierenden Betriebe ihre Position vielfach nur unter Inkaufnahme starker Gewinneinbußen halten konnten. Es ist klar, daß der wirtschaftliche Schaden mit zunehmender Dauer der bestehenden wirtschaftlichen Kluft noch erheblich wachsen wird, da die Volkswirtschaften in jedem der beiden Wirtschaftsgruppierungen ein immer stärkeres Eigenleben Innerhalb ihres Wirtschaftsbereiches zu führen drohen. Wenn es trotz aller diskriminierenden Effekte gelungen ist, den Außenhandel mit den EWG-Staaten auf einem beachtlichen Stand zu halten, ja noch zu erweitern, so zeugt dies von der Lebenskraft unserer Wirtschaft.

FURCHE: Glauben Sie, Herr Minister, daß eine EFTA-Mitgliedschaft allein für Österreich genügt beziehungsweise wird die EFTA eines Tages nicht auch stärker EWG- gebunden sein?

MITTERER: Es ist immer wieder gesagt worden, daß die EFTA-Mitgliedschaft allein für Österreich nicht genügen kann. Dies ist ja auch der Grund unseres Ansuchens in Brüssel. Überdies darf man nicht vergessen, daß die EFTA ja niemals als Selbstzweck gedacht war und geschaffen wurde, sondern als Gemeinschaft zur Ermöglichung einer multilateralen Assoziation zwischen den EWG-Ländern und den „Non- Six“. Schließlich lindert die EFTA unsere Wirtschaftsprobleme mit jenem Raum nicht, in den immerhin mehr als 40 Prozent der österreichischen Exporte gehen und aus dem mehr als die Hälfte der österreichischen Einfuhren kommt.

Über die künftige Entwicklung der EFTA in Richtung einer Annäherung an die EWG ist heute noch keine exakte Vorhersage möglich. Die an sich ideale Lösung eines „multilateralen Brückenschlages“ war jedoch bisher nicht zu verwirklichen. Vielleicht kann eine Änderung der politischen Konstellation in Europa eines Tages die Chancen hierfür wieder erhöhen. Im übrigen ist es so, daß ja nahezu alle EFTA-Staaten heute gewissermaßen im Vorzimmer der EWG sitzen.

FURCHE: Wie haben sich die österreichischen Handelsbeziehungen zur EWG und zur EFTA in den letzten Jahren entwickelt?

MITTERER: Eben als Folge der Diskriminierung seitens der EWG ist der österreichische Warenverkehr mit diesem Rahm nicht im gleichen Maße gestiegen wie mit den EFTA- Partnem, wo die Vollendung der Freihandelszone mit Ende 1966 und auch schon die stufenweise Binnenzollsenkung vorher ihre Früchte gezeitigt haben. Insgesamt jedoch ist der Anteil des österreichischen Exports in die EWG, gemessen am Gesamtexport, zurückgegangen…

FURCHE: … und das hat eine gewisse Beunruhigung in Österreich zur Folge, weil doch nach wie vor die EWG-Länder, zumindest Deutschland und Italien, Haupthandelspartner Österreichs sind. Welche Schritte wird man also unternehmen, um die Zolldiskriminierung nach dem 1. Juli 1968 für die österreichische Wirtschaft nicht noch spürbarer werden zu lassen?

MITTERER: Diese Beunruhigung ist naturgemäß vorhanden und sie ist berechtigt. Es bleibt daher eine der wichtigsten Aufgaben der Bundesregierung, die größten Schwierigkeiten im Warenaustausch mit der EWG abzubauen, um bis zur Erreichung unseres Integrationszieles die schwersten Auswirkungen auf die österreichische Wirtschaft für die Zwischenzeit zu mildern, Grundsätzlich geht man dabei von der Absicht aus, das Integrationsziel nicht zu gefährden, aber doch für die österreichische Wirtschaft gewisse Erleichterungen zu erreichen. Über das Ausmaß derartiger Möglichkeiten darf man sich natürlich keinen Illusionen hingeben und vor allem kann es sich dabei — dies liegt in der Natur der Sache — nicht um spektakuläre Aktionen handeln. Bei allem guten Willen von unserer Seite muß aber naturgemäß auch auf Seiten unserer Partner ein solcher guter Wille vorhanden sein, soll es hier zu Erfolgen kommen.

FURCHE: Wie sieht es Ihrer Meinung nach mit dem zweiten Veto gegen Österreichs EWG-Bemühungen, nämlich dem der Sowjetunion und ihrer Verbündeten, aus?

MITTERER: Ein formelles Veto der Sowjetunion oder ihrer Verbündeten gegen Österreichs EWG-Bemühungen gibt es nicht. Wohl haben sowjetische Staatsmänner oder Presseorgane fallweise Österreich vor einem „Anschluß“ an die EWG „gewarnt“, doch war dies ohne Einfluß auf die jeweilige Fortsetzung der Brüsseler Verhandlungen. Im übrigen wird aber eine Beufteflufig51'19 des Falles Österreich wohl' frühestens erst zu dem Zeitpunkt möglich sein, da ein detailliertes und umfassendes Verhandlungsergebnis tatsächlich vorliegt.

Österreich hat bei jeder Gelegenheit erklärt, daß das von ihm beabsichtigte Arrangement mit der EWG seine aus dem Staatsvertrag und der immerwährenden Neutralität resultierenden Verpflichtungen selbstverständlich voll respektieren wird.

FURCHE: Sind Sie der Meinung, daß die Liberalisierung, wie sie in der CSSR erfolgt, für die österreichischen EWG-Bemühungen eine günstige Auswirkung hat?

MITTERER: Ich begrüße jede Art von Liberalisierung auf wirtschaftlichem oder politischem Gebiet in Europa, sehe aber zwischen der Entwicklung in der Tschechoslowakei und unseren EWG-Bemühungen keinen Zusammenhang.

FURCHE: Herr Minister, zum Abschluß noch einige mehr persönliche Fragen: Wie fühlt sich der Handelsminister, der die EWG-Bestrebun- gen unterstützen sollte, wenn im Außenministerium derzeit in der Südtirolfrage kaum größere Initiativen gesetzt werden, wo doch gerade diese Frage der Bremsschuh Nummer 1 für Österreichs Weg nach Brüssel ist?

MITTERER: Der Handelsminister fühlt sich durchaus wohl, da er weiß, daß der neue Außenminister als erfahrener Mann der Außenpolitik alle Wege prüfen und beschreiten wird, die zum Ziel führen können. Der Außenminister kann dabei der Unterstützung seitens der gesamten Bundesregierung sicher sein. In welchem Maße hierbei Fortschritte zu erzielen sein werden, hängt freilich auch vom Verhalten unserer Partner ab…

FURCHE: Wie 1st Ihr persönliches Verhältnis in all diesen Fragen zu Herrn Außenminister Dr. Waldheim?

MITTERER: Mein persönliches Verhältnis zum Herrn Außenminister ist in allen diesen Fragen das denkbar beste. Wir sind beide jeder Illusion abhold und der Erfahrung eingedenk, daß auf multilateraler Ebene zu führende internationale Verhandlungen viel Zeit und Geduld aller Beteiligten in Anspruch zu nehmen pflegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung