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Enttäuschte Optimisten

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Zehn Jahre werden es lm Dezember sein, daß sich Österreich um ein Abkommen mit der EWG bemüht. Und die Optimisten unter Österreichs EWG-Kämpfem glaubten schon oft, ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt zu sehen. Allein: immer dann, wenn sich eine konkrete Lösung abzeichnete, folgte ein Rückschlag.

Eine dafür typische Situation trat nunmehr neuerlich ein: Eigentlich hatte man erwartet, daß der EWG- Ministerrat am 18. Oktober ein Verhandlungsmandat für Österreich verabschiedet. Noch im vergangenen Nationalratswahlkampf versuchten die beiden großen Parteien, aus dieser Erwartung Kapital an Wählerstimmen zu schlagen, jede wollte den größten Anteil am vermeintlichen Erfolg für sich in Anspruch nehmen. Die geweckten Hoffnungen erwiesen sich jedoch sehr bald als unbegründet, die Wartezeit Österreichs vor der EWG-Tür in Brüssel wurde prolongiert.

30 Prozent Zollabbau

Die Entwicklung 1st, lm Gegensatz zu offiziellen Stellungnahmen, durchaus nicht erfreulich, allerdings haben realistische Beobachter der Szene eine derartige Situation bereits vorausgesehen. Was für die Optimisten ein Rückschlag ist, nehmen die Realisten als gegeben hin: Sicher nicht vor dem 8. November wird der EWG-Ministerrat das österreichische Verhandlungsmandal verabschieden, das ist — bei den drei Terminen, die zur Diskussion gestanden sind — die schlechteste Variante. Immerhin besteht aber noch die Hoffnung, in diesem Jahr ein gutes Stück weiterzukommen.

Für die mit 1. Jänner 1972 ins Auge gefaßte 30prozentige Zollsenkung durch ein Zwischenabkommen Österreichs mit der EWG scheint freilich damit die letzte Stunde geschlagen zu haben. Weiters unerfreulich für Österreich ist die Erweiterung der Ausnahmeliste — vor allem durch Forderungen Frankreichs — auf Nichteisenmetalle, Edelstahl und Papier, sowie die harte EWG-Haltung gegenüber der Einbeziehung der Landwirtschaft in ein Abkommen.

Wie erst jetzt bekannt wird, versuchte Außenminister Kirchschläger bei seinem jüngsten Aufenthalt in New York anläßlich der UN-Vollver- sammlung mit französischen Vertretern Gespräche in dieser Angelegenheit zu führen; doch ließ Frankreich keine Änderung seiner Haltung durchblicken. Die beiden Großparteien sind sich durchaus einig, daß die Ausnahmeliste für die Freihandelszone möglichst klein und die Einbeziehung der österreichischen Landwirtschaft in ein Abkommen möglichst umfassend sein sollte. Die Regierungspartei und ihr Außenminister Kirchschläger nehmen aber jetzt — da man sich bereits einmal bei Frankreich „kalte Füße geholt“ halt — eher eine abwartende Haltung ein, während der VP-Außenpolitiker Karasek auf dem Standpunkt steht, die österreichische Regierung sollte bei den Regierungen der EWG- Mitgliedsstaaten und den Regierungen der Beitrittskandidaten vorstellig werden, damit noch rechtzeitig auf die Verabschiedung des nunmehr für 8. November zu erwartenden Verhandlungsmandates in einer für Österreich annehmbaren Form eingewirkt werden kann.

Vorzug für England

Dabei trifft Österreich an den eingetretenen Verzögerungen keine Schuld, wenn man davon absieht, daß durch die berechtigten Wünsche unsererseits die Verhandlungen schwieriger werden. Nach wie vor scheitern an England die EWG-Bemühungen anderer, Staaten. Nachdem sich am 28. Oktober im britischen Unterhaus der EWG-Beitritt Englands entscheiden wird — man rechnet, daß die konservative Regierungspartei eine Mehrheit zustande bringt —, könnte am 8. November dann tatsächlich „grünes Licht“ für Österreich gegeben werden. In diesem Zusammenhang fehlt es auch im sozialistischen Lager nicht an Kritik am englischen Sozialistenführer Wilson, der letzten Endes durch die Haltung der Inselsozialisten die österreichische Wartezeit verlängert hat. Dem Vernehmen nach prallten beim jüngsten „sozialdemokratischen Gip feltreffen“ von Regierungschefs ln dieser Frage die Meinungen hart aufeinander, weil eben die Inselsozialisten für eine zielführende europäische Integrationspolitik im Sinne ihrer Genossen auf dem Festland kein Verständnis haben und „Europabremser“ sind.

Wenn man bedenkt, daß rund 40 Prozent des österreichischen Exportes nach der EWG gehen und bei einer Erweiterung der Wirtschaftsgemeinschaft durch England, Norwegen, Portugal und Dänemark sogar rund 50 Prozent unseres Exportes in einen gemeinsamen Markt fließen würden, so scheint die Dringlichkeit der österreichischen Bemühungen genügend motiviert. Diese Tatsache sollte aber auch Anlaß für noch intensivere österreichische Verhandlungen sein, denn die Erfahrung hat gezeigt, daß Optimismus allein nicht genügt. Die Verabschiedung eines Verhandlungsmandates am 8. November müßte sichergestellt sein, denn sonst — bei jeder weiteren Verzögerung — müßte man auch offiziell eingestehen, einen schweren Rückschlag erfahren zu haben.

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