6796044-1971_11_08.jpg
Digital In Arbeit

An Europa zerbrochen

19451960198020002020

Schon im Herbst des Jahres 1970 war erkennbar geworden, daß innerhalb der norwegischen Regierung in bezug auf die Europamarktpolitik schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten bestehen: Die Konservativen, die Liberalen und die Christliche Volkspartei — diese allerdings etwas zögernd — wünschen eine Vollmitgliedschaft Norwegens in der EWG und sind bereit, für die Eintrittskarte aUch Interessen der eigenen Bauern, und Fischerbevölkerung zu opfern.

19451960198020002020

Schon im Herbst des Jahres 1970 war erkennbar geworden, daß innerhalb der norwegischen Regierung in bezug auf die Europamarktpolitik schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten bestehen: Die Konservativen, die Liberalen und die Christliche Volkspartei — diese allerdings etwas zögernd — wünschen eine Vollmitgliedschaft Norwegens in der EWG und sind bereit, für die Eintrittskarte aUch Interessen der eigenen Bauern, und Fischerbevölkerung zu opfern.

Werbung
Werbung
Werbung

Die ZentTumspairtei, diiie auch den Regierungschef Per Borten stellte, vertrat jedoch die Meinung, daß die Eintrittskarte einen solchen Preis nicht wert sei; einer Mehrheit in dieser Partei erschien eine Anglei-chung an die von Schweden vertretene Linie einer Assoziierung oder eines Handelsabkommens mit der EWG als die für Norwegen richtigere Politik. Die unter schweren Bedingungen arbeitende Fischer- und Bauembevölkerung Nordnorwegens hätte nach Annahme der europäischen Landwirtschaftsordnung keine Lebensmöglichkeit mehr gehabt, so sagte man innerhalb der Zentrumspartei und versuchte, die Koalitionspartner zu einer größeren Vorsicht und Zurückhaltung in der Europamarktfrage zu bewegen.

Auf die Dauer entstand eine unhaltbare Situation: Per Borten vertrat offiziell die Linie Norwegens, die auf eine Vollmitgliedschaft abzielt, obwohl er an der Richtigkeit dieser Politik zweifelte. Der nach außen am meisten in Erscheinung tretende Sprecher Norwegens, Außenminister Svenn Stray und der Konservative Käre Willoch vom Außenpolitischen Ausschuß aber beiürworteten den so gut wie bedingungslosen Eintritt Norwegens in die EWG. Willoch kann außerdem den zweifelhaften „Verdienst" für sich in Anspruch nehmen, die NORDEK (die geplante skandinavische Wirtschaftsunion) in den Grund gebohrt zu haben. Die Gegensätze in der Koalition wurden immer größer und konnten nur mit Mühe überbrückt werden.

US-Intervention?

Per Borten hatte einen Bericht des norwegischen Botschafters in Brüssel über ein Gespräch mit einem hervorragenden Mitglied der EWG-Kom. mission den Führer der norwegischen ‘ Anti-EWG-Bewegung lesen lassen — aus Unachtsamkeit oder mit voller Absicht, ist nie klar-

Häuserwänden Sevillas als „Mörder" angeprangert wird — wurden in den letzten Tagen auf Grund einer Verwendung des Erzbischofs, Kardinal Bueno Monreals, zahlreiche Personen freigelassen. 30 bis 40 wurden aus dem Polizeigewahrsam in Gefängnisse übergeführt. Der Erz-bischof, der die Zustände als „lamentabel" bezeichnete, setzte sich für die Festgenommenen auf das Drängen einer Abordnung Sevillaner Katholiken ein.

Obzwar — zumindest in Sevilla — ein Abebben der Polizeigewalt merkbar wird, könnte sie sich in den nächsten Wochen wieder verschärfen. Nachdem das Einheitsgewerkschaftsgesetz vom spanischen Parlament verabschiedet worden ist, dürften die Gewerkschaftsrwahlen aller Wahrscheinlichkeit nach im April beginnen. Wenn bis dahin der Artikel 18 nicht wieder in Gültigkeit ist oder den Arbeitern ausreichende Sicherheiten bei ihren Wahlversammlungen geboten werden (im Gewerkschaftsgesetz wird ihnen die Versammlungsfreiheit sogar innerhalb der Betriebe als Recht ausdrücklich zuerkannt), könnte die Polizeiwillkür böse Folgen für das Gewerkschaftsgesetz und damit für die Bemühungen der Einheitsgewerkschaft haben, die mit dem neuen Gesetz das verlorene Vertrauen ihrer Zwangsmitglieder wiedergewinnen will.

gestellt worden. Dieser Bericht erschien sodann in der Tageszeitung „Dagbladet" und erregte in Norwegen größtes Aufsehen. Es wurde darin festgestellt, daß Norwegen die europäische Landwirtschaftsordnung voll und ganz anerkennen muß, wenn es Vollmitglied der EWG werden will. Schließlich kam es zum Rücktritt des Gesamtkabinetts am 2. März, da sich die Zentrumspartei den Forderungen der Koalitionspartner nach Rücktritt Per Bortens nicht fįgen wollte.

Vorher allerdings war zur ersten oben erwähnten Indiskretion noch eine zweite gekommen: Es wurde bekannt, daß der amerikanische Außenminister Rogers seinem norwegischen Kollegen Stray mitgeteilt hatte, daß die USA einen großen Wert darauf legen, Norwegen als Vollmitglied in der EWG zu sehen, da man sich davon eine Verstärkung der Nofdflanke der NATO verspreche. Diese Information stammt aus Regierungskreisen und gibt dem rein internen Streit eine ganz aindere Dimension. Es ist undenkbar, daß diese verschiedenen Erklärungen auf die Dauer dem norwegischen Volke hätten verheimlicht werden können. Die Lebensbedingungen zweier für Norwegen so wichtiger Wirtscäiafts-zweige wie die Fischerei und die Landwirtschaft sind für das Land ebenso wichtig wie die Klarlegung, daß die größte Militärmacht der Welt an der Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die Hereinnahme neuer Vollmitglieder stark interessiert ist. Außenminister Rogers soll versprochen haben, sich in Brüssel dafür einzusetzen, daß man dort die bisherige unnachgiebige Haltung gegenüber den norwegischen Ausnahmeforderungen aufgibt, mit der offen erklärten Absicht, die Nordflanke der NATO intakt zu halten. In Stockholm, Helsinki und nicht zuletzt natürlich auch in Moskau wird man daraus den Schluß gezogen haben, daß die bisherige Neutralitätshaltung gegenüber der EWG-Politik berechtigt war. Nun sollte der Koalitionsregierung vier bürgerlicher Parteien eine Minderheitsregierung der Arbeiterpartei folgen, die zwar nur über 74 von 150 Mandaten im’Parlament verfügt, jedoch in der EWG-Frage auf die volle Unterstützung der Konservativen rechnen könnte. Die Arbeiterpartei sieht im Beitritt Norwegens zur EWG eine Fortsetzung der internationalen Politik der Sozialdemo-liratie, in den anderen nordisdien Ländern ist man etwas weniger enthusiastisch, sogar in Dänemark, das zweifellos die Vollmitgliedschaft in der EWG anstrebt. Starke Kräfte innerhalb der bürgerlichen Parteien bemühen sich auch bis zur letzten Minute um die Erhaltung der bisherigen Koalition.

Dann fielen die Würfel. Der König beauftragte den ohrisitdiichen PoMitii-ker Bondevyk mit der Bildung einer neuen Regierung. Der TOjährige Politiker nahm an und äußerte die Hoffnung, die neue Regierung innerhalb von einer Woche auf die Beine stellen zu können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung