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Vereinigter Norden?

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Es gibt viele norwegische Politiker, die sich heute in einer Stunde des Nachdenkens fragen, ob es wirklich so klug war, im Jahre 1905 die Auflösung der schwedisch-norwegischen Union zu erzwingen. Nicht wenige von ihnen wagen es sogar, die kühl ablehnende Haltung der norwegischen Regierung zu den schwedischen Vorschlägen auf Bildung einer Verteidigungsunion in den Jahren 1947 48 zu kritisieren. Der Beschluß, der NATO beizutreten, war von allzuvielen eigentümlichen Umständen begleitet, als daß man diese ereignisreichen Tage ganz einfach vergessen könnte. Es ist schon immer sehr leicht gewesen, große Völkergemeinschaften zu zerschlagen, doch unerhört schwer, an ihre Stelle etwas Gleichwertiges zu setzen. Vom Reich Karls des Großen angefangen über das Römische Reich deutscher Nation und Österreich bis zum Deutschen Reich nach 1871 gibt es dafür viele Beispiele.

Heute weiß man in den nordeuropäischen Ländern, daß man wird enger zusammenrücken müssen, wenn man überleben will. Die Große Europäische Gemeinschaft liegt noch in weiter Ferne, erreichbar aber erscheint die Nordische Wirtschaftsunion, um deren Schaffung sich nun zahlreiche der besten Männer und Frauen des Nordens bemühen. Die Situation in den einzel- nen Ländern kann kurz wie folgt gezeichnet werden: '

• Schweden ist gezwungen, sich für den Marktausfall im EWG-Raum zu kompensieren. Die endlosen Schwierigkeiten Großbritanniens haben weitgespannte EFTA-Hoffnungen reduziert. Die britische Politik gab dem Mißtrauen immer neue Nahrung. Bei einem Blick nach Norwegen beunruhigt wieder die starke NATO-Bindung dieses Landes; die Militärs konstatieren nüchtern, daß zwei Drittel des schwedischen Luftraumes von norwegischen NATO- Basen aus kontrolliert werden können. Das ist kein beruhigender Zustand. Man fürchtet auch die zunehmende Isolierung Finnlands. Die Industrie aber sieht in einer engen Zusammenarbeit mit den nordischen Nachbarn eine Möglichkeit, sich gegen die Giganten auf dem Weltmarkt zu behaupten. Alles drängt auf eine Neuordnung im Norden!

• Dänemark ist innerhalb von wenigen Monaten zum eifrigsten Fürsprecher einer großen nordischen Zusammenarbeit geworden. In Kopenhagen begreift man kaum noch, wie man sich so lange Zeit auf die EWG-Linie der Regierung Krag- Haekkerup festlegen lassen konnte. Die Ausfuhrerhöhungen in die Nachbarländer gehen weit über die Erwartungen hinaus, das gilt vor allem für die industrielle Ausfuhr, und die Landwirtschaft beginnt zu begreifen, daß auch eine etwaige Mitgliedschaft in der EWG nicht die Lösung aller Probleme bringen würde. So steuert die Regierung Baunsgaard unter vollen Segeln einer nordischen Union entgegen!

• Norwegen hat in den letzten Monaten vieles von seiner starren atlantischen Bindung aufgeben müssen. Das Land war in Wahrheit der größte Nutznießer der wirtschaftlichen Annäherung im Norden, die ja ein fortlaufender Prozeß ist, auch dann, wenn die aufsehenerregenden Beschlüsse ausbleiben. Eben wurden die großen NATO- Manöver „Nordexpreß“ im hohen Norden beendigt. Aber offenbarer und unmißverständlicher als früher hat die Sowjetunion durch den Aufmarsch von Panzerverbänden bei Boris Gleb demonstriert, daß in ihren Augen die Nordkalotte keine sekundäre strategische Rolle spielt. Die

Vorposten der NATO liegen nun einmal nach sowjetischer Auffassung nicht bei Bardufoss, wie die norwegische Kritik des sowjetischen Aufmarsches behauptete, sondern bei Vadsö und Vardö auf der Varanger-Halbinsel — und von dort kann man sozusagen nach Petsamo hineinschauen. In Norwegen ist man dabei, sich dieser ausgesetzten Lage bewußt zu werden; der Prestigever- lust Amerikas muß schließlich auch in diesem Land eine Reaktion auslösen.

• Finnland steht der schwedischen und norwegischen Linie sehr nahe und wird jedem Beschluß zustimmen, der zu einer engeren Zusammenarbeit führen kann. Man weiß seit langem, daß man sich für Marktverluste im Westen niemals durch eine Erhöhung des Osthandels wird kompensieren können. Die Erleichterung der Kapitalbewegung über die Grenzen würde Finnland zweifellos die größten Vorteile bringen. Und der — vorläufig noch vorsichtige — Zustrom schwedischen Kapitals hat bereits begonnen.

Der europäische Markt

Der gemeinsame Arbeitsmarkt ist bereits verwirklicht und die Sozialleistungen sind ebenfalls schon weit gehend skandinavisches Eigentum. Nun zielt man auf die Erreichung folgender Etappen:

• Schaffung einer gemeinsamen äußeren Zollmauer, dem Durchschnitt der jetzigen Zölle entsprechend.

• Verwirklichung des gemeinsamen landwirtschaftlichen Marktes in kleinen Schritten.

• Rasche Beseitigung der Beschränkungen im Fischeredwesen (wurden zum Großteil wenige Wochen nach Beschlußfassung in Kopenhagen bereits durchgeführt!).

• Liberalisierung des Kapitalmarktes im gesamten Norden.

• Schaffung eines nordischen Finanzierungsfonds, der die Anpassung der einzelnen Länder an den Gemeinsamen Markt erleichtern soll.

• Koordinierung der Hilfe für die Entwicklungsländer, des Bildungswesens, des Wirtschaftsrechtes und der Konkurrenzbestimmungen.

Von den bisherigen starren Bindungen an das Verhalten Großbritanniens wird nichts mehr gesprochen, dagegen betont man, daß die Zusammenarbeit mit den übrigen

Ländern der EFTA durch die Schaffung der Nordischen Wirtschaftsunion nicht gestört werden soll. Man sieht in dieser Zusammenarbeit auch kein Hindernis für einen Anschluß an die EWG, sofern es zu einem solchen Anschluß nun kommen sollte. Doch im Augenblick scheint es, als ob auf dem Wege zu einer Entwicklung zu einer Wirtschaftsunion sich für die EWG-Ländergruppe mehr Hindernisse auftürmen würden als für die kleinen Länder im Norden!

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