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Nicht Nordek, EFTA, EWG

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Kann ein Land von der Größe Schwedens es sich heute noch erlauben, weder dem Ostblock noch der NATO, weder der EWG noch dem COMECON anzugehören? Zu einem Zeitpunkt, da niemand mehr an die Bildung einer nordischen Wirtschaftsunion glaubt und die EFTA — die oft geschmähte und doch so unerwartet erfolgreiche — vor dem Zerfall steht? Schwedens Regierungschef Olof Palme versuchte, während der eben zu Ende gegangenen 20. Session des Nordischen Rates in Hel-singfors darauf eine Antwort zu geben. Leider war es eine Antwort, die die Entwicklung der letzten Zeit auf eine eigentümlich anmutende Art ignorierte, eine Antwort, die von Voraussetzungen ausging, die nicht mehr bestehen, und die in Kopenhagen, Oslo und Brüssel Absichten voraussetzt, die auch das schärfste Auge dort nicht wird entdecken können. Palmas Darstellung war voll Illusionen und gekennzeichnet durch ein Wunschdenken, wie es sich kaum ein Staatsmann in dieser Zeit mehr leisten kann.

In die Freude, daß der europäische Großmarkt nun verwirklicht werden soll, sagte Palme, mische sich die unruhige Frage: Soll der Norden nun zersplittert werden? Man möge sich doch erinnern, fuhr er fort, daß in einer Welt voller Spannung und Krisen die Zusammenarbeit im Norden eine große Sicherheit für die beteiligten Völker bedeutet habe. Die unfähigen Fragen, ob das nun alles zu Ende sei, könne man nicht mit dem Hinweis auf die Erfolge der Vergangenheit und die Möglichkeit einer isolierten nationalen Blütezeit beantworten. Man sei doch nun so voneinander abhängig geworden, daß weitere Fortschritte nur durch gemeinsame Anstrengungen erreicht werden könnten Der freie nordische Arbeitsmarkt, die Paßfreiheit, das gemeinsame Recht auf soziale Leistungen auch im Nachbarland, soll das alles nun vorbei sein ... ?

Die Antworten, die von den Vertretern Dänemarks und Norwegens gegeben wurden, waren ausweichend und fast nichtssagend, doch Palme gab sich weiterhin optimistisch und zukunftsgläubig. Er nahm als gegeben an, daß man in Brüssel weitgehendes Verständnis für die Bewahrung der nordischen Zusammenarbeit haben werde — „ ... sind wir doch alle gute Europäer!“ rief er beschwörend aus.

Was man in Brüssel selbst über optimistische Erwartungen solcher Art denkt, hat auf eine dänische Anfrage der Vorsitzende des Ministerrates der EWG, Aldo Moro, bereits am 9. November des Vorjahres gesagt:

„Auf die Bemerkung des Sprechers der dänischen Delegation, daß die nordische Zusammenarbeit auch nach dem Beitritt weitergehen und weiter entwickelt werden soll, wünscht die Gemeinschaft festzustellen, daß kein anderer Traktat die Entwicklung innerhalb der Gemeinschaft bestimmen kann als jener der Gemeinschaft selbst...“

Das war ein klarer Bescheid, gegeben von einer Machtposition aus, verständlich vom Standpunkt der EWG, die kein Liebäugeln mit regionalen Bindungen wünscht, mögen diese historisch noch so wohlbegründet sein. Diese Erklärung Aldo

Moros war geeignet, mit den Illusionen, die man zu diesem Zeitpunkt im Norden über die Möglichkeit von Sondertouren noch haben konnte, Schluß zu machen. Warum sich Premier Palme auch heute noch solchen Träumen an nordischen Kaminen hingibt, ist schwer zu begreifen.

Während dieser Session des Nordischen Rates konnte in Helsdngfors endlich eine neue Regierung gebildet werden, die allerdings nur aus Mitgliedern der Arbeiterpartei besteht. Damit bestehen nun in allen vier nordischen Ländern sozialdemokratische Minderheitsregierungen. Es mag gut sein daran zu erinnern, daß die ersten Minen gegen die nordischen Unionspläne (wie früher schon gegen die Pläne über eine nordische Verteidiguwgsunion!), von einer sozialdemokratischen Regierung in Norwegen gelegt worden sind; erst später hat sich die dänische Arbeiterpartei dem Zug nach Süden angeschlossen. Unter dem bürgerlichen Politiker Per Borten hätte Norwegen wahrscheinlich weniger eifrig um einen Platz in der EWG gekämpft und ohne Norwegen hätte auch Dänemarks Jens Otto Krag kaum einen Alleingang nach Brüssel gewagt. Wenn Schweden nun vor einer Situation steht, in der es weder eine NORDEK-, noch eine EFTA-, noch eine EWG-Mitgliedschaft geben wird, dann ist dies zu einem guten Teil auf die Politik der sozialdemokratischen Führungsgruppen in den Nachbarländern zurückzuführen. Ein Blick in die jüngste Vergangenheit sollte eigentlich die schwedische Regierung vor illusionären Vorstellungen über die Zukunft bewahren.

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