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NATO-Unlust

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Westliche Politiker, die sich darum bemühen, ein wahres Bild vom Weg und von den Absichten der dänischen Politik zu erhalten, sehen sich heute vor eine schwere Aufgabe gestellt. Es gibt dänische Erklärungen zu allen wichtigen Tagesfragen, und es gibt ebenso viele Erscheinungen, die an der Richtigkeit dieser Erklärungen zweifeln lassen. Die Unsicherheit im Innern erzeugt ein verwirrendes Bild nach außen.

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Westliche Politiker, die sich darum bemühen, ein wahres Bild vom Weg und von den Absichten der dänischen Politik zu erhalten, sehen sich heute vor eine schwere Aufgabe gestellt. Es gibt dänische Erklärungen zu allen wichtigen Tagesfragen, und es gibt ebenso viele Erscheinungen, die an der Richtigkeit dieser Erklärungen zweifeln lassen. Die Unsicherheit im Innern erzeugt ein verwirrendes Bild nach außen.

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Die Widersprüche sind vor allem in den Fragen des Verhältnisses zur EWG, in der Verteidigungspolitik und im Verhältnis zur NATO bemerkbar; auch in der Frage der nordischen Zusammenarbeit gibt es die Verschiedensten dänischen Stellungnahmen. Sogar aus den Tischreden, die anläßlich des Besuches Jens Otto iCrags in Bonn gehalten worden sind, kann man diese Verschiedenheit der Auffassung herauslesen. Während der deutsche Bundeskanzler betonte, daß er nicht nur an eine wirtschaftliche Zusammenarbeit in der EWG denkt, sondern an weit mehr, und auch einmal mehr unterstrich, wie hoch er die NATO als Grundlage einer europäischen Sicherheitspolitik einschätzt und ihre

Bewahrung als ein „vorrangiges Erfordernis“ bezeichnet, ging der dänische Ministerpräsident mit keiner Silbe auf diese Frage ein. Dabei hatte erst wenige Tage vorher der dänische Verteidigungsminister seinen westdeutschen Kollegen besucht und mit ihm in stundenlangen Gesprächen die von Dänemark angesteuerte Verteidigungspolitik zu erklären versucht. Es ist kein Geheimnis, daß die dänische Verteidigungspolitik sich in völlig anderen Bahnen bewegt als die Vertreter der NATO und sicher auch Brandt und Helmut Schmidt in Bonn wünschen.

Dagegen sprach Jens Otto Krag offen von der Notwendigkeit einer befriedigenden Lösung der Europamarktfrage auch für die nicht beitrittswilligen Länder, in erster Linie dabei wohl an Schweden denkend; doch zu diesem Problem hatte wiederum Willy Brandt nichts zu sagen.

Die einfache Wahrheit ist, daß sich die Auffassungen Dänemarks über die zu führende Verteidigungspolitik von den Auffassungen der USA und auch der Regierung der Bundesrepublik grundsätzlich unterscheiden. In Kopenhagen glaubt man, daß eine Entspannung am besten durch eine Verminderung der Rüstungen erreicht werden kann, in Washington — wie auch in Bonn — aber betont man einmal nach dem anderen - mal den Wert einer Stärkung der NATO, was ja wohl nur erhöhte Rüstungsausgaben für die europäischen Länder bedeuten kann. Es gibt heute keine dänische Regierung, die die Zustimmung des Parlaments für eine Erhöhung der Militärausgaben erhalten könnte.

Erst vor wenigen Tagen hat die amerikanische Regierung ihr tiefes Bedauern über den Beschluß Dänemarks ausgesprochen, diplomatische Verbindungen mit Nordvietnam aufzunehmen. Auch in diesem Punkt bestehen offenbar tiefgehende Meinungsverschiedenheiten zwischen Dänemark und den meisten anderen NATO-Staaten, vor allem den USA.

Auf der anderen Seite werden an die dänische Regierung die schweren Besorgnisse Grönlands über die künftige Stellung in der EWG herangetragen. An der Beitrittswillig- keit der dänischen Regierung kann kein Zweifel bestehen, doch der Landesrat für Grönland wie auch die Landesregierung für die Färöer- Inseln können die Fischereiordnung der EWG nicht akzeptieren, nicht einmal nach der vorgeschlagenen Übergangszeit von zehn Jahren. In Godthäb untersucht man nun die Konsequenzen eines grönländischen Verbleibens außerhalb der EWG bei gleichzeitiger Mitgliedschaft Dänemarks. Auch hier wirken auf die dänische Regierung sehr wiederspruchsvolle Kräfte ein.

Um das Maß voll zu machen, hat nun auch der Rektor der Universität Kopenhagen, Mogens Fog, erklärt, daß er sich außerstande sehe, einem dänischen EWG-Beitritt zuzustimmen. Der Grund: Der Rektor befürchtet, daß im Falle des Beitrittes das dänische akademische Bildungsniveau „eine sehr bedenkliche Senkung erfahren würde, die er niemals akzeptieren könnte. Es gebe auch deutsche Fachleute, die hier Bedenken hegen“!

Angesichts all dieser negativen und beunruhigenden Erscheinungen konstatiert die dänische Presse mit spürbarer Erleichterung, daß die nordische Zusammenarbeit trotz allem weitergeht, sie wird sogar in der nächsten Zeit eine weitere Verstärkung erfahren: Schon am 1. Jänner 1972 wird in Kopenhagen ein „Nordisches Kultursekretariat“ seine Arbeit aufnehmen, das nicht mehr einer einzelnen Regierung, sondern dem Nordischen Rat unterstehen soll. Dieses Kultursefcretariat kann — so hofft man hier — zu einen Schulexempel für die nordische Zusammenarbeit auch in anderen Bereichen werden, und das ist ja immerhin ein Trost angesichts der vielen Sorgen, die man heute ganz im allgemeinen hat!

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