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Wilson vor der EWG

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Mitte Jänner begannen Premierminister Wilson und Außenminister Brown ihre privaten Konsultationen mit den führenden Staatsmännern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die etwaigen Aussichten eines neuerlichen Beitrittsversuches Großbritanniens. Die erste Station war Rom. Wie nicht anders zu erwarten war, hörte sich Ministerpräsident Moro seine Gäste aufmerksam an und nahm höflich und unverbindlich Stellung. Obschon dieser erste Sondierungsversuch insofern gescheitert war, als Mr. Wilson und Mr. Brown am Ende ihres Besuches ebensowenig über die britischen Chancen eines Beitrittes wußten als vor Antritt der Reise, trug er doch zur Klärung wesentlicher Fakten bei. Denn sicherlich unterrichtete der italienische Botschafter in Paris den Präsidenten davon, daß es die britische Regierung offenbar ernst meine, daß es sich nicht bloß um Scheinmanöver handle, die in der innenpolitischen Lage Großbritanniens wurzeln.

Der Besuch in Rom ist jedenfalls ebenso als Präludium zu betrachten wie die Rede des Premnierministers vor dem Europarat in Straßburg. Als Pragmatiker verheimlichte er den westeuropäischen Parlamentariern nicht die Schwierigkeiten, die sein Land überwinden müsse, damit es dem Vertrag von Rom beitreten könne. Aber — so versicherte er seinen Zuhörern — wenn dieser zweite Versuch wieder scheitern solle (bekanntlich war der erste 1963 nach zweijährigen Verhandlungen auf Grund eines französischen Vetos erfolglos), dann liege es gewiß nicht an Großbritannien.

Vergangene Woche folgte der Hauptsatz des polyphonen Stücks in Paris. In der Einleitung mußte Harold Wilson das Mißtrauen überwinden, das seine frühere Ablehnung eines britischen Beitrittes auf dem Kontinent hervorgerufen hatte, zumal er noch vor einem Jahr im Wahlkampf sich bezüglich der EWG sehr zurückhaltend verhalten hatte. Nicht nur auf dem Kontinent, auch hier in London hielt man die plötzliche europäische Aktivität des Premierministers zunächst lediglich für ein taktisches Zwischenspiel, um von der eher tristen wirtschaftlichen Lage abzulenken. In den letzten Tagen gelangte man allerdings zur Überzeugung, daß die Worte Mister Wilsons „we mean business“ wirklich eine ernste Absicht ausdrückten.

Wer den Erfolg des Premierministers, die „Vertrauenskluft“ zu überbrücken, beurteilen will, ist auf die spärlichen Kommuniques angewiesen. Kenner der diplomatischen Tonleiter des Präsidenten wollen aus der Tatsache, daß er in seinem Toast während des offiziellen Diners wohl Außenminister Brown warmherzig erwähnte, einen verbliebenen Rest von Mißtrauen gegen Mr. Wilson persönlich herauslesen. Eine solche politische Deutung gehört doch zu sehr dem Reich der Spekulation an. Auch die offensichtliche gegenseitige Zuneigung, welche die beiden Politiker zueinander faßten, paßt nicht ganz zu dem Bild des Mißtrauens. Jedenfalls wissen gegenwärtig nur die engsten Vertrauten der beiden Männer um ihre echten emotionell bedingten Hintergedanken. Abgesehen davon herrschte während der Pariser Gespräche eine durchaus freundliche Atmosphäre. Sie konnte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich dahinter hartnäckige Fragen verbargen, die zumeist sachlich diskutiert wurden.

Während im den Verhandlungen vor fünf Jahiren die atomare Verteidigung, der Nassauer Pakt, im Vordergrund standen, rückte dieses Mal das Pfund Sterling an diese Stelle. Dem Vernehmen nach haben Mr. Wilson und de Gaulle einen großen Teil der zur Verfügung stehenden Zeit dieser Frage gewidmet. Zynische Publizisten sehen darin eine Bestätigung ihrer Vermutung, daß de Gaulle nicht gewillt sei, Großbritannien zur EWG stoßen zu lassen. Sie sehen darin nur eine Fortsetzung der hinhaltenden und verzögernden Taktik des französischen Präsidenten.

Der vorherrschende Platz des Pfund Sterling in den Pariser Gesprächen ist allerdings durchaus sachlich begründet. Woher soll Frankreich, woher sollen die übrigen EWG-Länder die Gewißheit nehmen, daß die strukturelle Schwäche des Pfundes mit der gegenwärtigen deflationistischen Kuir endgültig geheilt sei? Ist es nicht vielmehr wahrscheinlich, daß der nächste konjunkturelle Aufschwung wieder eine Zahlungsbilanzkrise mit sich bringen wird? Das kontinentale Westeuropa, das in den vergangenen Jahren unliebsame Erfahrungen mit Zahlungsbilanzfragen sammeln konnte, wird sich ohne Zweifel hüten, in die Gemeinschaft ein Mitglied aufzunehmen, das nur als Bremser wirken kann.

Neben der Frage um die Stellung des Pfund Sterling ergab sich derzeit kaum Gelegenheit zu einer ernsten Diskussien. Man vermerkte das Sondervierhältnis Londons zum Commonwealth und nahm befriedigt die geänderte britische Haltung zur EWG-Agrarpolitik zur Kenntnis. Hatte der Premierminister noch vor einem Jahr im Wahlkampf gemeint, daß Großbritannien der Zugang zu den billigen Nahrungsmitteln der Commonwealthländer erhalten bleiben müsse, so ließ er dieses Mal seine Gesprächspartner in Paris wissen, daß man in London die Grundsätze der EWG-Agirarpolitik mit ihren Abschöpfungsbeiträgan annehme. Auch die Veiteidigungs-politik kam noch ins Rampenlicht. Um die Ecke lugte während der Gespräche unausgesprochen die Frage, wer in einer erweiterten EWG die Führerrollie spiele, Frankreich oder Großbritannien? Mr. Wilson scheint hier mit dem Zeitfaktor zu rechnen. Er dürfte bereit sein, bis zum Abgang Präsident de Gaulies in die zweite Reihe zu treten.

Dem unbeteiligten Beobachter drängen sich darüber hinaus andere wesentliche Unterschiede im Vergleich zum ersten Beitritrtsversuch Londons auf. Damals führte Mister Heath die Verhandlungen, die ausschließlich auf wirtschaftlichem Gebie“ geführt wurden. Die Arbeiterpartei, damals in Opposition, lehnte eine EWG-Mitgliedschaft Großbritanniens ab. Heute führen der Premierminister und der Außenminister, also die zwei ranghöchsten Mitglieder des Kabinetts, die Verhandlungen, die sich vor allem auch auf politische Fragen ausdehnen. Denn die politische Vereinigung scheint man sowohl in Paris wie in London als Voraussetzung für ein Arrangement mit Osteuropa, wie überhaupt für einen stärkeren europäischen Einfluß auf die Weltpolitik anzusehen. Hiezu kommt noch, daß der Premierminister im Unterhaus auf Unterstützung durch die Tories rechnen darf.

Der Pariser Aufenthalt Mr. Wilsons diente vergangene Woche nur einem Sondieren. Aber schon dies vermittelte einen Vorgeschmack, wie hartnäckig die Detailverhandlungen sein werden. Davon abgesehen haben sie einen Mechanismus in Gang gesetzt, der nicht mehr leicht unterbrochen werden kann. Der Premierminister ließ keinen Zweifel daran, daß er ein Neir de Gaulles nicht hinnehmen wolle. Der Biesuch in Paris kann über kurz oder lang nur ein Ergebnis zeitigen: den Einzug Großbritanniens in die EWG. Daran würde, wie gesagt, auch eine ablehnende Haltungs Frankreichs nichts ändern, sie würde es nur verzögern.

Mit einer solchen Verzögerung muß wahrscheinlich gerechnet werden. Zunächst hat de Gaulle keine eindeutige Antwort gegeben, schon mit Rücksicht auf die Wahlen im kommenden März. Er hat aber die Tür nicht zugeschlagen, sondern neue Gespräche mit Wilson durchaus begrüßt. Ober der Premierminister nun im Sommer oder erst später die formelle Beitrittserklärung in Brüssel hinterlegt, wird nichts Entscheidendes ändern- Großbritannien wird Mitglied der EWG — aber nicht jetzt!

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