6783882-1970_04_09.jpg
Digital In Arbeit

Reaktion auf EWG

Werbung
Werbung
Werbung

Das Ende des nigerianischen Bürgerkrieges ist ein Ereignis, das alle anderen politischen Geschehnisse der letzten Tage überschattet hat. Aber letzte Woche haben verschiedene britische Politiker auch wesentliche Erklärungen über Großbritannien und Kontinentaleuropa abgegeben.

Auf einer Londoner Konferenz westeuropäischer Journalisten hat sich Außenminister Stewart in sehr positiver Weise zur Frage eines britischen Beitritts zur EWG geäußert. Er sagte, Großbritannien sei zu diesem Schritt noch ebenso entschlossen wie im Jahre 1967. Es akzeptiere voll und ganz die politischen Aspekte des römischen Vertragswerks, habe keine Bedenken hinsichtlich der Struktur der europäischen Gemeinschaft und werde sich nicht gegen die Weiterentwicklung der betreffenden Einrichtungen wehren. Früher hatte man Stewart verschiedentlich vorgeworfen, er erwecke den Eindruck, als trete Großbritannien für eine europäische Föderation ein. Zu dieser Frage hat jetzt Premierminister Wilson im Fernsehen erklärt, er sei für einen engeren politischen Zusammenschluß in Europa, glaube aber nicht, daß die Mehrheit der EWG-Länder im Augenblick bereit sei, eine föderative Lösung zu befürworten. Eine derartige Lösung komme möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in Betracht; die Frage müsse dann von einer kommenden Generation entschieden werden. Demnächst werde die britische Regierung ein Weißbuch über die Kosten veröffentlichen, die Großbritannien durch einen Beitritt zur EWG entstehen würden. Wilson meinte, dieses Weißbuch werde beiden Seiten — den Anhängern wie den Gegnern eines Beitritts — Argumente zur Stützung ihrer These liefern. Und er sagte mit aller Deutlichkeit: die britische Regierung wünsche Großbritanniens Beitritt zur EWG, würde aber darauf verzichten, wenn sich keine angemessenen Bedingungen erlangen ließen.

Jugend für Europa

Anderseits hat Außenminister Stewart in seiner Rede vor den ausländischen Journalisten betont, man dürfe die wiederholten Erklärungen der britischen Regierung, Großbritanniens Beitritt sei nur unter allgemein fairen Bedingungen möglich, nicht mißverstehen. Überdies haben Stewart und der stellvertretende Oppositionsführer, Reginald Maud-ling, der ebenfalls auf dieser Konferenz sprach, den Journalisten geraten, sich nicht durch Meinungsbefragungen irreleiten zu lassen, die darauf hindeuten, daß die Mehrheit des britischen Volkes einen Beitritt zur EWG ablehnt. Stewart meinte, das britische Volk — besonders die ältere Generation — sei gegenüber jeder Neuerung mißtrauisch; aber

die junge Generation sei von der Europa-Idee begeistert. Weiter vertrat Stewart die Ansicht, eines der stärksten Argumente für einen Zusammenschluß Europas sei das Gefühl der Ohnmacht, das darin begründet sei, daß Europa heute keine Möglichkeit habe, der Außenwelt weitgehend zu helfen. Die Menschen Europas nähmen an den Geschehnissen in der Außenwelt leidenschaftlichen Anteil, und nur ein Vereintes Europa könne gewährleisten, daß der Kontinent in den großen politischen Fragen unserer Zeit wirklichen und nachhaltigen Einfluß ausübt

Am selben Tag sprach Enoch Powell über die Frage der Souveränität. Powell ist vielleicht der gewichtigste Gegner eines britischen Beitritts zur EWG, obwohl er noch vor ziemlich kurzer Zeit anders gedacht hat. Er wies auf die Voraussage Jean Reys, des Präsidenten der EWG-Kommission hin, daß die Staaten des Gemeinsamen Marktes in zehn Jahren eine gemeinsame Währung und ein aus EWG-Wahlen hervorgegangenes Parlament haben werden. Powell zeichnete ein Zukunftsbild, worin die britische Wirtschaftspolitik von außen her bestimmt wird und das Parlament von Westminster einer europäischen Körperschaft untergeordnet ist. Er sagte, die britischen Wähler müßten die Möglichkeit erhalten, ihre Meinung über solche Folgen eines EWG-Beitritts zum Ausdruck zu bringen.

Nun ist aber die Führung aller drei Parteien für Großbritanniens Beitritt zur EWG, und so wird diese Frage im Wahlkampf kaum eine Rolle spielen. Allerdings finden es die meisten Politiker wegen der bei der Bevölkerung anzutreffenden Bedenken ratsam, gewisse Vorbehalte zu machen. Vielleicht wird man erst nach Beginn der Verhandlungen klare Vorstellungen davon bekommen, was ein Beitritt zur EWG für Großbritannien mit sich bringen würde. Bis dahin geben die Ergebnisse von Meinungsbefragungen wohl kein zuverlässiges Bild über die endgültige Einstellung der Bevölkerung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung