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Korvalds hundert Tage

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Der Norden ist keine ruhige Insel mehr im Weltgeschehen. Man braucht nicht einmal nach den vom rasenden Erdinnern bedrohten Vestmanna-Inseln zu schauen, um das bestätigt zu erhalten. In Dänemark, in Finnland und auch in Norwegen gehen die Wogen der politischen Erregung hoch. Im letztgenannten Land hat der von seinen politischen Gegnern hart bedrängte Führer einer kleinen Partei eben seine ersten hundert Tage als Regierungschef hinter sich gebracht, und das wird hier beinahe als ein Wunder betrachtet, denn diese Regierung hat im Parlament ine schwächere parlamentarische Unterlage als jemals eine Regierung in der Geschichte Norwegens.

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Der Norden ist keine ruhige Insel mehr im Weltgeschehen. Man braucht nicht einmal nach den vom rasenden Erdinnern bedrohten Vestmanna-Inseln zu schauen, um das bestätigt zu erhalten. In Dänemark, in Finnland und auch in Norwegen gehen die Wogen der politischen Erregung hoch. Im letztgenannten Land hat der von seinen politischen Gegnern hart bedrängte Führer einer kleinen Partei eben seine ersten hundert Tage als Regierungschef hinter sich gebracht, und das wird hier beinahe als ein Wunder betrachtet, denn diese Regierung hat im Parlament ine schwächere parlamentarische Unterlage als jemals eine Regierung in der Geschichte Norwegens.

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Lars Korvald (56) kann sich im Parlament nur auf 47 von 150 Mandaten stützen; sogar seine eigene Partei, die Christliche Volkspartei, leistet ihm nur zur Hälfte Gefolgschaft. Seine großen Gegner, die Führungen der Arbeiterpartei und der Partei der Konservativen, beobachten ihn argwöhnisch, wollen ihm jedoch eine Gnadenfrist gewähren, bis er einen Handelsvertrag mit der EWG unter Dach und Fach gebracht hat. Die Mehrheit des norwegischen Volkes hat sich bekanntlich gegen eine Vollmitgliedschaft in der EWG ausgesprochen, wünscht aber dennoch ein für Norwegen akzeptables Handelsabkommen. Diesen Wunsch müssen auch die bei der Volksabstimmung unterlegenen Fürsprecher einer Vollmitgliedschaft Norwegens berücksichtigen.

Das Merkwürdige ist nun, daß sich Lars Korvald, der sehr religiöse frühere Kleinbauernsohn, durchaus nicht damit begnügt, zu einem erträglichen Abkommen mit der EWG zu gelangen, sondern auf kulturellem und sozialem Gebiet seine eigene Linie verficht, die sich beträchtlich von jener der früheren Regierung unterscheidet. Er scheute sich nicht, bereits vorliegende Regierungsentwürfe weitgehend zu ändern, verbesserte beispielsweise die Bedingungen für private Krankenhäuser, beseitigte die von Brat-teli vorgeschlagene Wahlfreiheit in den Schulen zwischen Philosophie und Religion, fügte dem Schulplan den Unterricht über fremde Religionen hinzu und ersetzte den Vorschlag über die Schaffung von Einheitsschulen.

Korvald, ein bisher recht unbekannter Mann, hat also bewiesen, daß er sich sehr wohl ein eigenes politisches Profil zu schaffen vermag und daß er sich durchaus nicht mit der Rolle des Leiters eines Verlegenheitskabinetts begnügen will.

Die Verstärkung der Stellung dieser Minderheitsregierung ist jedoch nicht nur auf die Persönlichkeit und das wachsende Ansehen Lars Korvalds zurückzuführen, sondern vor allem auf die zwiespältige Rolle der Arbeiterpartei und ihres Führers Bratteli, der etwas zu Unrecht von der Presse Mitteleuropas als der „große Europäer" bezeichnet worden ist.

Von den Mitgliedern der Regierung Bratteli wandte sich nur ein einziger Minister entschieden gegen die Vollmitgliedschaft Norwegens in der EWG, von den 74 sozialdemokratischen Abgeordneten des Stor-tingets waren es nur elf bis zwölf, in einzelnen sozialdemokratischen Organisationen wandten sich jedoch 75 Prozent und mehr der sozialdemokratischen Wähler gegen - die Linie ihrer eigenen Partei! Darin besteht die Tragödie der Arbeiterpartei und auch der Gewerkschaftsführung.

Für die EWG-Mitgliedschaft sprachen sich eindeutig nur die Konservativen und die Führung der Arbeiterpartei aus, gegen die EWG-Mitgliedschaft hingegen die Zenterpartei und die Sozialistische Volkspartei. Die Parlamentsgruppe der Christlichen Volkspartei ist in dieser Frage gespalten, ebenso die liberale Venstre, in der die EWG-Anhänger nun sogar eine eigene neue Partei gebildet haben.

In der Arbeiterpartei findet zur Zeit ein erbitterter Kampf um die Nominierung der Kandidaten für die kommende Parlamentswahl statt. Die EWG-Gegner fordern, daß die Meinung der Volksmehrheit bei der Nominierung beachtet werden müsse, der Parteivorstand der Arbeiterpartei will verständlicherweise keine EWG-Gegner in der Parlamentsfraktion sehen und hofft — zusammen mit den Konservativen — anscheinend darauf, daß man das Ergebnis der Volksabstimmung vom vergangenen Herbst schon in naher Zukunft werde korrigieren können.

Unter diesen Umständen spricht man bereits davon, daß auch nach den Parlamentswahlen Lars Korvald ein durchaus akzeptabler Leiter einer neuen Regierung sein könnte. Und in diesem Fall hätte die Arbeiterpartei mehr als nur eine Volksabstimmung verloren.

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