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Brattelis Resignation

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Norwegens Regierungschef und Führer der Arbeiterpartei, Trygve Bfatteli (64), hat bekanntgegeben, daß er spätestens auf dem Kongreß seiner Partei, der zu Beginn des nächsten Jahres einberufen werden wird, sein Mandat im Vorstand niederlegen Will. Die Frage der weiteren Regierungsführung ließ er offen. Nach einer langen Reihe von Rückschlägen bereitet nun dieser rechtschaffene, doch in seinem Tun und Lassen nicht immer glückliche Politiker seinen Abgang von der politischen Bühne vor.

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Norwegens Regierungschef und Führer der Arbeiterpartei, Trygve Bfatteli (64), hat bekanntgegeben, daß er spätestens auf dem Kongreß seiner Partei, der zu Beginn des nächsten Jahres einberufen werden wird, sein Mandat im Vorstand niederlegen Will. Die Frage der weiteren Regierungsführung ließ er offen. Nach einer langen Reihe von Rückschlägen bereitet nun dieser rechtschaffene, doch in seinem Tun und Lassen nicht immer glückliche Politiker seinen Abgang von der politischen Bühne vor.

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Nach der kraftvollen Gestalt eines Martin Tranmael, der der Politik der Arbeiterpartei zwischen den beiden Weltkriegen und auch während des letzten Krieges sein Siegel aufdrückte, und dem erfolgreichen, wenn auch in seinen Konturen weniger scharf gezeichneten Einar Gerhardsein, machte Trygve Brat-teli mitunter einen etwas blassen Eindruck. Sicher werden sich auch jetzt Geschichtsschreiber finden, die nach seinem Abgang das etwas übenstrapazierte Epitheton eines „Großen Alten Mannes“ aus dem politischen Vokabularium heraussuchen werden, es kann jedoch kaum bestritten werden, daß selten ein norwegischer Politiker soviel Niederlagen hat hinnehmen müssen wie gerade Bratteli. Für einige von ihnen waren die Ursachen außerhalb des Landes und jenseits seiner Wir-kungsmögUchkeiten zu suchen, andere haben zweifellos ihren Ursprung in der Entwicklung der norwegischen Arbeiterpartei von einer revolutionären Bewegung, die sie nicht nur in ihrem Gründungsjahr — 1887 —, sondern auch noch zu Beginn der zwanziger Jahre war, zu einer Partei der gemäßigten Reform, zur Befürworterin der NATO-Mit-gliedschaft Norwegens und des Anschlusses, an die EG. Dies brachte die Partei an den Rand der Spaltung. Die innere Krise erreichte ihren Höhepunkt bei den Parlamentswahlen des Vorjahres, als die Partei Prozent ihrer früheren Wähler einbüßte und nur noch 62 von 155 Mandaten im Parlament erobern konnte. Die von Bratteli trotz der schweren Wahlniederlage gebildete Miinderheitsregierung verfolgt seither einen gefahrvollen Kurs zwischen den rechts und links sich auftürmenden Klippen, angewiesen auf die Stimmenhilfe dieser oder jener Partei.

Ein schwerer Schlag für die Arbeiterpartei war auch der Wahlerfolg eines aus vier oppositionellen Linksgruppen gebildeten „Sozialistischen Wahlverbandes“, der beim ersten Anlauf 16 Mandate erringen konnte und einige Kommunisten in das Stortinget brachte. Drei von diesen vier Gruppen bestehen so gut wie ausschließlich aus ehemaligen Sozialdemokraten, die sich gegen die NATO- und die EG-Politik der Parteiführung wandten. Der Nährboden dieser Opposition ist das Mißtrauen, das in weiten Kreisen der Linken in Bezug auf die wirkliche Meinung der Parteiführung lebendig ist. Man nimmt in diesen Kreisen an, daß die Parteiführung nur gezwungenermaßen und gegen ihre innerste Uberzeugung auf die Vollmitgliedschaft Norwegens in der EG verzichtet hat. Das Zusammengehen der Parteiführung in dieser Frage mit den Konservativen hat diese tiefe Kluft aufgerissen.

Gibt es nun einen denkbaren Nachfolger Brattelis, dem man eine Chance zusprechen kann, die zwischen 1969 und 1973 verlorenen 25 Prozent der früheren Wählerschaft wiederzugewinnen?

Man nennt in erster Linie Odvar Nordli, den Fraktionsführer der Arbeiterpartei im Stortinget, und den jetzigen steil vertretenden Parteivorsitzenden, Reiulf Steen. Dem Letztgenannten könnte es leichtfallen, die Unterstützung der Linksopposition zu gewinnen, da er sich in der Europamarktfrage gegen eine Vollmitgliedschaft Norwegens in der EG ausgesprochen hat Nordli dagegen dürfte es leichter als Steen haben, mit der Christlichen Volkspartei des früheren Regierungschefs Korvald ins Gespräch zu kommen. Das Einvernehmen der beiden geht so weit, daß man schon jetzt in Oslo von einem kommenden Zweigespann „Norvald“ (Nordli plus Korvald) spricht. Eine solche Zusammenarbeit wäre ein aufsehenerregender Bruch mit der bisherigen Politik der Arbeiterpartei, der es immer schwerfiel, mit anderen Parteien zusammenzuarbeiten und deren Führung ganz offenbar auch das Geschick fehlt, mit der Linksopposition im eigenen Lager fertig zu werden. Es dürfte jedoch die einzige Möglichkeit darstellen, die Politik Gehardsens und Brattelis in den Hauptzügen weiterzuführen. Es wäre allerdings möglich, daß eine solche Zusammenarbeit das Mißtrauen der Linken gegenüber der Führung der Arbeiterpartei noch mehr vertieft. Es wird für den Nachfolger Brattelis schwer sein, hier einen gangbaren Mittelweg zu finden.

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