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Palme, Bratteli, Krag

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Nur etwa vierhundert Stimmen fehlten der neugegründeten „Christlichen Volkspartei“ in Dänemark, um die Sperrgrenze zu überschreiten und vier Mandate im Folketinget zu erhalten. Diese vier Mandate hätten den Parteien rechts von der Sozialdemokratie eine klare Mehrheit und damit den Weiterbestand der Regierung Baunsgaard gesichert Der Mandatsgawinn der Arbeiterpartei bei diesen Wahlen läßt leicht übersehen, daß im vergangenen Jahrzehnt die sozialdemokratischen Parteien im Norden Europas stark an Boden verloren haben, daß es die Parteien der Mitte sind, die ihre Positionen ununterbrochen verstärken können und auf die sich die Hoffnungen einer an Zahl wachsenden Wählerschaft konzentrieren.

Ein gutes Beispiel dafür bietet die Entwicklung in Norwegen. Dort ist im vergangenen Frühjahr die Regierung des Zentrumspolitikers Per Borten durch die Regierung Bratteli abgelöst worden. Die bürgerliche Koalition war an der Europamarktfrage zerbrochen: Per Bortens Partei war gegen die Vollmitgliedschaft Norwegens in der EWG, zwei andere Parteien waren — wie auch die Arbeiterpartei — dafür. Nach den Meinungsumfragen zu urteilen, lag zum Zeitpunkt der Regierungsübernahme die Arbeiterpartei nahe vor der Erreichung der absoluten Mehrheit. Bei den Kommunalwahlen in der vierten Septemberwoche erhielt jedoch die Partei nur noch 41,9 Prozent der Stimmen, gegenüber 46,6 Prozent bei den letzten Parlamentswahlen. Die Mißachtung der Opposition gegen den EWG-Beitritt hatte zur schwersten Niederlage in der Nachkriegszeit geführt. Daß die EWG- Frage der entscheidende Punkt war, geht auch daraus hervor, daß jene zwei bürgerlichen Parteien, die sich gegen die EWG ausgesprochen hatten, eindeutige Erfolge verzeichnen konnten. Per Bortens Partei erhöhte von 10,5 auf 11,6 Prozent der Stimmen. Schon diskutiert man in Oslo die Ablösung Brattelis vom Posten des Parteiführers, doch es ist offenbar, daß es mit einer nur personellen Änderung nicht möglich ist, das geschwundene Vertrauen unter der Wählerschaft wiederzugewinnen. Dazu würde es einer ganz anderen und tiefgreifenderen Wandlung bedürfen. Die Regierung Bratteli kann zu welchem Zeitpunkt immer von der Opposition gestürzt werden!

In Dänemark haben die Sozialdemokraten in der Wahl vom 21. September 100.000 Stimmen und acht Mandate gewonnen. Doch auch die Volkssozialisten, die nur elf Mandate besessen hatten, konnten sechs Mandate gewinnen. Der Wahlerfolg der Sozialdemokraten, der nicht bestritten werden soll, konnte jedoch nur einen Teil jener Verluste wiedergutmachen, die man in den letzten Jahren hatte hinnehmen müssen. So standen am Tage nach der Wahl den 70 Sozialdemokraten und 17 Volkssozialisten unter Axel Larsen 88 Vertreter der bürgerlichen Parteien gegenüber. Zur Stunde, da dieser Bericht geschrieben wird, geht der Kampf um die Stimmen jener vier Abgeordneten, die auf den atlantischen Inseln gewählt werden. Im besten Fall wird eine Regierung Krag — wenn es nun zur Bildung einer solchen kommen sollte — sich auf die Mehrheit einer einzigen Stimme stützen können. Daß Bauns- gaards Partei der Sozialliberalen ihre 27 Mandate behalten konnte, war die größte Überraschung dieser Wahl. Diese Partei hat übrigens in der vorletzten Wahl erst ihre Mandatszahl mehr als verdoppeln können. Auch in Dänemark waren die eigentlichen Verlierer jene zwei Parteien (die Konservativen und libera- lan „Venstre“), die sich für die bedingungslose Eingliederung in das EWG-Lager ausgesprochen hatten, während die Sozialliberalen sowohl gegen die NATO-Mitgliedschaft wie auch gegenüber der EWG mancherlei Bedenken äußerten.

In Schweden kann Olof Palme sich nur noch auf 162 von 350 Mandaten im Parlament stützen und muß abwechselnd um die Unterstützung durch die Kommunisten, die Zentrumspartei oder die Liberalen werben. Im raschen Vormarsch hat hier die Zentrumspartei sich zur führenden Oppositionspartei entwickelt, gegen deren klaren Willen die Sozialdemokratie nicht mehr regieren kann. Die Tage der Alleinherrschaft der Arbeiterpartei sind längst dahin. Die umfassenden Unruhen auf dem Arbeitsmarkt zu Beginn des Vorjahres haben die Partei viel an Ansehen gekostet. Die zahlreichen Konferenzen und „Reichsratschläge“ der letzten Zeit können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Regierung Palme auf einem sehr schmalen Grat laviert und nahezu verzweifelt um die Wiedergewinnung verlorengegangenen Vertrauens wirbt.

In Schweden, Norwegen, Dänemark und in Finnland können heute sozialdemokratische Parteien nur mit Unterstützung durch mindestens eine der Parteien der Mitte regieren. In Schweden und in Norwegen ist man im sozialdemokratischen Lager bereits auf dem Wege zu einer schmerzhaften Gewissenserforschung und Selbstprüfung, Gibt es noch — oder gab es überhaupt — jenen „nordischen Sozialismus“, von dem einmal soviel die Rede war, oder ist man ganz einfach nur zu einen Konkurrenten der bürgerlichen Parteien um hohe Verwaltungsstellen im Staate geworden, zu „Filialen des Bürgertums“, wie sich ein Mitglied der Regierung Baunsgaard ausdrückte? Die Palmes, Brattelis und Krags werden auf diese Fragen eine Antwort geben müssen, und nach Lage der Dinge wird das keine „sozialistische“ Antwort sein.

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