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Opposition als Bewährungsprobe für die bürgerliche Alternative

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Fünfzig Stimmen, die bei der ersten Stimmauszählung vergessen worden waren, kosteten Norwegens bürgerlichen Parteien bei den September- Wahlen das 78. Mandat und damit die Mehrheit im Storting. Die sogenannte „bürgerliche Alternative“, bestehend aus den Konservativen, der Christlichen Volkspartei und dem bäuerlichen Zentrum, die gemeinsam die Regierungsverantwortung übernehmen wollten, muß sich nun in der Opposition bewähren.

Der Zusammenhalt der drei Parteien ist seit der turbulenten Wahlnacht auf eine harte Probe gestellt. Denn jene Partei, die der bürgerlichen Zusammenarbeit am kritischsten gegenübersteht - die „Zentrumspartei“ -, hat ein sehr schlechtes Wahlergebnis erzielt. Sie verlor neun jener 21 Mandate, die sie 1973 erkämpft hatte. Vor den Wahlen hatte es in der „Zentrumspartei“ zwei divergierende Ansichten über den künftigen Kurs gegeben. Nach dem Debakel interpretierten beide das Ergebnis so, wie es ihrer Einstellung entsprach. Die Kritiker einer allzu engen Zusammenarbeit mit der konservativen „Höyre“, die davor warnten, das „grüne“ Zentrum, in dem immer die Umweltschutzfragen eine bedeutende Rolle gespielt hatten, an die entwicklungsdynamische „Höyre“ zu binden, sprachen nach der Wahl von einem Denkzettel der Wähler für den offiziellen Kurs der Zentrumspartei, nämlich den Kurs der bürgerlichen Kooperation. Am weitesten war vor den Wahlen der Zentrumspolitiker Björn Un- neberg gegangen, der den Wählern empfohlen hatte, diesmal lieber für die „Arbeiterpartei“ zu stimmen, um eine konservative Dominanz in Norwegen zu verhindern.

Die Parteileitung mit Obmann Gun- nar Stalsett an der Spitze interpretiert das enttäuschende Wahlergebnis anders. Die Zentrumswähler hätten eine bürgerliche Regierung gewünscht. Da die wankelmütige Haltung einiger Zentrumspolitiker es als unsicher erscheinen ließ, ob man nach einer gewonnenen Wahl wirklich in eine bürgerliche Koalition eintreten werde, stimmten viele Zentrumswähler diesmal für jene Partei, die als stärkster Garant für eine Zusammenarbeit der nicht-sozialistischen Kräfte galt - die konservative „Höyre“. Analysiert man das Wahlergebnis, dann kommt man zu dem Schluß, daß diese offizielle Leseweise die wahrscheinlichere ist. Denn nach Unnebergs Wunsch hätte die „Arbeiterpartei“ zahlreiche Zentrumswähler gewinnen müssen. Die „Arbeiterpartei“ hatte denn auch einen Zuwachs von 7 Prozent zu verzeichnen, aber diese Stimmen holte sie sich von links. Denn in gleichem Ausmaß verlor die „Sozialistische Linkspartei“. Die „Höyre“ hingegen gewann beträchtlich, mehr noch, als die „Zentrumspartei“ verlor. Die abtrünnigen Zentrumsstimmen sind wohl fast alle hier zu finden.

Dennoch bleibt die Haltung der „Zentrumspartei“ für die nächsten Jah re die große Unbekannte in der norwegischen Politik. Es sieht so aus, als hätte der große Sieg der „Höyre“ dem erklärten Ziel jener Partei - der Bildung einer bürgerlichen Regierung - geschadet. Denn eine allzu starke konservative Dominanz ist nicht nur für das Zentrum, sondern auch für die „Christliche Volkspartei“ bedenklich. Der neue Obmann der Konservativen, Erling Norvik, spricht von einer Politik der „neuen Mitte“, die seine Partei eingeschlagen habe. Für ihre Kooperationspartner ist es zwar erfreulich, daß sich die „Höyre“ - früher eine Partei, die ausschließlich die Interessen der freien Märktwirtschaft vertrat - politisch den alten Parteien der Mitte nähert; aber sie müssen sich fragen, ob dann für sie selbst noch länger Platz ist. Die „Höyre“ wächst und wächst; bei den Wahlen war sie erstmals größer als alle anderen bürgerlichen Kräfte zusammengerechnet. Jüngste Meinungsumfragen sprechen ihr eine weitere Steigerung zu. Sie wächst auf Kosten ihrer Partner.

Hätten die Bürgerlichen im September gewonnen, dann wäre Lars Korvald von der „Christlichen Volkspartei“ neuer Staatsminister geworden. Doch Korvald ist der älteste der norwegischen Spitzenpolitiker, alle anderen Parteien haben in den letzten Jahren ihre Gallionsfiguren ausgewechselt. In vier Jahren wird Korvald kaum mehr bereit sein, einen derart aufreibenden Posten wie den des Re-

gierungschefs zu übernehmen. Es ist heute kaum vorstellbar, daß der Staatsminister einer künftigen bürgerlichen Regierung anders heißen könnte als Erling Norvik. Er ist eindeutig die Führerpersönlichkeit im bürgerlichen Lager; daß er außerdem telegen ist, hat einem Politiker noch nie geschadet. Doch wenn das Zentrum einen konservativen Regierungschef akzeptieren soll, dann muß die Partei in den nächsten vier Jahren einen deutlichen Sinneswandel durchmachen.

Die „Arbeiterpartei“ verfolgt das interne Ringen der Zentrumspartei aufmerksam. Ihre magere Ein-Man- dats-Mehrheit baut auf die Unterstützung der beiden Linkssozialisten; eine Erweiterung dieser unsicheren Plattform käme den Sozialdemokraten gelegen. Auffallend oft spricht jedenfalls Parteiobmann Reiulf Steen von den zahlreichen Übereinstimmungen, die es zwischen Arbeiterpartei und Zentrumspartei gebe. Sollte die sozialdemokratische Werbung erfolgreich sein, dann wäre ihren Taktikern ein großer Schlag gelungen. Denn dann hätten sie nicht nur die Basis ihrer Regierung abgesichert, sie hätten wohl auf viele Jahre hinaus die Chancen der bürgerlichen Parteien zunichte gemacht, den angestrebten Systemwechsel zu realisieren.

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