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Die politische Szene ist in Bewegung geraten

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Am 10. Juli wird die Hafte der 252 Räte des japanischen Oberhauses für eine sechsjährige Amtsdauer neu gewählt Fünfzig Sitze werden vom ganzen Volk vergeben, der Rest von den einzelnen Wahlkreisen. Die landesweit zu wählenden Vertreter sollten nach dem Willen der neuen Verfassung als eine Art Geistesadel in den Reichstag Einsitz nehmen, denn die Schöpfer der Verfassung hofften, auf diese Weise berühmte Persönlichkeiten des Kulturlebens als Kandidaten zu gewinnen. Diese Hoffnung erfüllte sich aber nur 1947, bei der ersten Wahl, als eine Gruppe von 92 Intellektuellen und Künstlern ohne Parteibindung die stärkste Fraktion bildete. In der Folge aber sank die Zahl der Parteilosen von Wahl zu Wahl; sie mußten den zünftigen Parteipolitikern Platz machen. Erfolg erringt auf dieser Liste nur, wer ungefähr eine Million Stimmen auf sich vereinigen kann, und damit sind Kandidaten, die von Gewerkschaften, religiösen Sekten oder einem gut organisierten Parteiapparat (Kommunisten) unterstützt werden, im Vorteil.

Außerdem aber muß ein Kandidat nach allgemeiner Ansicht für die landesweite Liste mindestens 40 Millionen Schilling für Propaganda und Stimmenkauf aufwenden; in den lokalen Wahlkreisen dürften schon acht Millionen den Sieg gewährleisten. Nach den gesetzlichen Vorschriften dürften aber nur etwa zwei Millionen pro Kandidat ausgegeben werden, die nur zu einem geringen Teü aus der Parteikasse stammen. Der Sieger muß daher auf jeden Fall das Gesetz brechen. Das Dunkel, das diese illegale, aber offenbar allseitig geübte Wahlfinanzierung umgibt, bildet den Hintergrund des Lockheed-Skandals.

Die diesjährigen Wahlen stehen im Zeichen einer bisher nie erlebten Unsicherheit, weil die politischen Fronten in Fluß geraten sind. Seit den fünfziger Jahren standen sich zwei konservative (Liberale und Demokraten, später zur herrschenden Liberaldemokratischen Partei fusioniert) und zwei sozialistische (Sozialisten und Sozialdemokraten) Parteien gegenüber. Die buddhistische Komeito siedelte sich später in der Mitte an, die Kommunisten verdankten ihre gelegentlichen Erfolge den unzufriedenen Protestwählern. Seit Kriegsende waren konservative Kräfte, abgesehen von einem kurzen Intervall, ohne Unterbrechung an der Macht. Dieses Monopol der LDP dürfte bei den kommenden Wahlen zu Ende gehen. Die Regierungspartei müßte alle 65 zur Wahl stehenden Sitze gewinnen, um ihre Mehrheit zu wahren, doch ist dies nicht wahrscheinlich. Sie hat von Wahl zu Wahl Stimmen verloren, schon wegen der schnellen Urbanisierung. Viel eingebüßt hat sie auch durch den Lockheed-Skandal.

Für die stärkste Oppositionspartei, die Sozialisten, böte sich die Chance, den Wählern eine anziehende Alternative vorzulegen und durch eine Koalition an die Macht zu kommen. Sie hat diese Chance aber bereits jetzt verloren, denn sie ist von einer Gruppe radikaler Klassenkämpfer beherrscht, die nicht begreifen will, daß die städtische Mittelklasse zwar soziale Reformen wünscht, nicht aber an der Abschaffung des kapitalistischen Systems interessiert ist, das ihr eine bisher nie erlebte Prosperität gebracht hat. Die Sozialisten bestehen darauf, die Kommunisten in eine Koalition aufzunehmen, die Sozialdemokraten und die Komeito lehnen dies unerbittlich ab. Der populärste Führer der Sozialisten, Saburo Eda, der eine Öffnung zur Mitte anstrebt, verließ deshalb die Partei und gründete dann eine Sozialistische Bürgerliga, um darin den rechten Flügel der Sozialisten aufzunehmen und eine Koalition der Mitte zu bilden. Er starb aber noch vor Beginn der Wahlkampagne. Sein Sohn sprang in die Bresche, doch ist unsicher, wie die Liga, die ihre Gallionsfigur verlor, abschneiden wird.

Auf der Linken gibt es eine von 100 Intellektuellen und Künstlern gebildete Progressive Liberale Union, die zehn Kandidaten aufstellt. Sie will die Armee abschaffen und Japan eng an die roten Nachbarn binden.

Eine erstmals auftretende Frauenpartei, die eine absolute Suprematie der Frauen, nötigenfalls mit Gewalt, durchsetzen will, vermochte nur vier Kandidatinnen zu gewinnen.

Eine Umweltschutzpartei nimmt sich der landesweit auftretenden Bürgerinitiativen an. Sogar eine Christliche Partei zieht erstmals in die Arena.

Die Kommunisten stehen im Schatten der antisowjetischen Stimmung, die durch die unerbittliche Haltung der Russen in den Fischereiverhandlungen erzeugt wurde. Die Kommunisten profilieren sich als Kämpen für nationalistische Gelüste, indem sie nicht nur die Rückgabe der von der Regierung verlangten vier Inseln im Nordosten Hokkaidos, die seit Kriegsende von den Russen besetzt sind, fordern, sondern die ganze Kurilenkette. Sie sowohl, wie die Sozialisten, gewannen bis jetzt die meisten Stimmen auf Hokkaido. Die Einbußen aber, die japanische Fischer von den Russen in Kauf nehmen müssen, werden beide Parteien zweifellos viele Stimmen kosten.

So erwartet man, daß die LDP und die Sozialisten als Verlierer aus den Wahlen hervorgehen werden. Der Neue Liberale Club bietet den Konservativen eine Alternative und könnte mit der LDP eine Koalition der Rechten bilden, doch sind auch andere Kombinationen denkbar, etwa mit den Sozialdemokraten und der Komeito. Sollte die LDP nur 60 Sitze erhalten, dürften die Tage des Premiers Takeo Fukuda gezählt sein. Ein erstarkter Miki wartet in den Kulissen, um Fu- kudas Nachfolge als Chef einer Koalition anzutreten, nachdem er in Westeuropa, auf einer Studienreise, erforscht hat, wie Koalitionen entstehen und funktionieren.

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