Die dritte Republik IN ZARTGRÜN

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Bundespräsident Alexander Van der Bellen will Brücken bauen und die Verfassung ändern. Doch der Dialog ist nicht mehr selbstverständlich.

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Bundespräsident Alexander Van der Bellen will Brücken bauen und die Verfassung ändern. Doch der Dialog ist nicht mehr selbstverständlich.

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Wende und kein Ende

War es das nun wirklich mit der Zweiten Republik? Und wenn ja, wohin soll der Bürger sich nun wenden? Ungeklärt ist, was nach dem "System" kommt, das gerade abgewählt wurde und wer für die Unzufriedenen sprechen darf. Eine Vorstellung von großen und kleinen Wenden und die Voraussetzungen für ihren Erfolg: Einkehr, Einsicht und die Kraft zur Entscheidung.

Redaktion: Sylvia Einöder, Oliver Tanzer, Martin Tauss

Die Bundespräsidentenwahl war nicht nur wegen des 24-stündigen Nachspiels dramatischer als erwartet. Ausgerechnet der sonst nebensächliche Kampf um die Hofburg markiert einen Wendepunkt in der Zweiten Republik und legt gesellschaftliche Entwicklungen offen, die allerdings nicht über Nacht über Österreich hereinbrachen. Viele Tendenzen waren seit Jahrzehnten erkennbar, es mangelte aber an Gegenstrategien. Aus Sicht der politischen Bildung war der Wahlkampf erfreulich: Noch nie waren die Österreicher derart über Macht und Ohnmacht des Bundespräsidenten informiert. Und noch nie so interessiert trotz monatelanger Kampagnen.

Erleichterung und Verschwörungstheorien

Doch zunächst eine Rückblende zum ersten Wahlgang, der das Ende der Großparteien SPÖ und ÖVP markierte. 22,4 Prozent für Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol markierten einen zuvor nicht vorstellbaren Tiefpunkt für eine ehemals Große Koalition, denen das knappe gemeinsame Ergebnis von 50,8 Prozent der Wählerstimmen bei der Nationalratswahl 2013 doch zu wenig Warnung war, mit dem "Weiterwursteln" aufzuhören. Auf den rasanten Schwund von Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der traditionellen Regierungsparteien folgte der Exodus der Stammwähler und erneut die Halbierung der Zustimmung. Die Unzufriedenen wählten bereits im ersten Wahlgang am 22. April zu 48 Prozent Norbert Hofer, die Verärgerten gar zu 60 Prozent. Dieses Bild verändert sich auch vier Wochen später kaum: Sieben von zehn Wählern, die eine Schlechterstellung der persönlichen Lebensqualität befürchten, entschieden sich für die FPÖ. Offensichtlich reichte aber die Grundhaltung zu dieser Frage für jene Beinahe-Mehrheit, auf die die ganze Republik sowie das stark interessierte Ausland so lange warten mussten.

Als schließlich am Montag um 16.40 Uhr Alexander Van der Bellen zum neuen Bundespräsidenten ausgerufen wurde, ging ein Seufzen der Erleichterung durch die sozialen Medien, während die andere Hälfte sich noch sammelte für weitere Verschwörungstheorien. Ein neues Koordinatensystem bei der Betrachtung der österreichischen Gesellschaft wurde deutlich sichtbar: Die Lager bildeten sich nicht rechts und links im politischen Spektrum. Sie fühlen sich oben oder unten in der Gesellschaft und teilen sich in Optimisten und in Ängstliche. Nicht Themen und Interessenslagen einen diese beiden Gruppen, sondern vielmehr Emotionen und auch Feindbilder.

Somit hat diese Wahl nicht zwingend das Ende der Volksparteien eingeläutet, nur vielleicht jenes der uns bekannten. Die Inszenierung des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofers als vernünftigen Anwalt des Volkes entwickelte eine Integrationskraft, die die klassischen Ideen und Parolen von SPÖ und ÖVP längst nicht mehr erreichen. Hofers neue Definition von Volkspartei im populistischen Sinne mit dem Ziel einer plebiszitären Demokratie verfehlte die Mehrheit um 31.026 Stimmen. Doch vom Ausland betrachtet ist Österreich mit dem ersten grünen Staatsoberhaupt nun eher Avantgarde denn Schmuddelkind Europas.

Ansonsten entspricht das Wahlverhalten auch bei diesen beiden Wahlgängen den Erfahrungen aus früheren Abstimmungen: Zuversichtlich scheinen jüngere Frauen mit höherer Bildung in Städten zu sein, hingegen fürchten sich Männer mit Lehrabschluss im ländlichen Raum vor Statusverlust. Die einen wählen grün, die anderen blau. So wie bereits seit Jahren, diesmal nur besser sichtbar aufgrund fehlender Alternativen. Schon bisher blieben SPÖ und ÖVP nur die Älteren, die aufgrund der demografischen Entwicklung zwar einen Hoffnungsmarkt darstellen, aber kaum Zukunftsvertrauen vermitteln. Nichts Neues also, oder doch? Für die traditionellen Parteien scheinbar schon, denn immer noch klammern sie sich an die Vertretung ihrer Klientel, die als homogene, identifikationsstiftende Gruppe nicht mehr existiert. Weder die Hackler und Gewerkschaftsmitglieder für die SPÖ, noch die Gewerbetreibenden oder regelmäßigen Kirchgänger für die ÖVP.

Die viel zitierte Spaltung der Gesellschaft ist hingegen in der Zweiten Republik nicht unbekannt. SPÖ und ÖVP teilten in bester Tradition bereits während der Zwischenkriegsjahre Österreich in zwei Hälften. Vom Parlament über die Verwaltung bis zur Gemeindeebene und Medien hin zu Sportund Freizeitvereinen. Zwei Welten mit kaum Kontakt, dafür mit viel Versorgungsmöglichkeiten übers Parteibuch. Der Fahrstuhleffekt garantierte allen Bevölkerungsschichten Absicherung und Aufstieg in einem expandierenden Sozialstaat. Heute ist neben den Versorgungsmöglichkeiten der Mitglieder auch der institutionelle Zwang zur Zusammenarbeit zwischen den Eliten verschwunden. Das Kooperationsmodell des Proporzes stand viele Jahre konterkarierend über der Dialogunfähigkeit der Lager. Die Abschaffung des Proporzes erfolgte unter der Annahme einer homogenen Bevölkerung. Wenn sich alle wesentlichen Gruppen in einer Gesellschaft über Ziele und Werte grundsätzlich einig sind, führt Proporz zu einem Mangel an Kontrolle, im äußersten Fall zu Korruption, im häufigsten Fall zu sehr teuer erkauften Kompromissen. Doch immer erleichtert Proporz Kommunikation, weil diese eben nicht freiwillig erfolgt, sondern ritualisiert. Heute wird zwar vom "Gräben zuschütten" geredet, doch die Begegnungszonen dafür müssen aktiv von den Partnern geschaffen werden. Die neuen sozialen Medien eignen sich definitiv nicht dafür. So wie zuvor alle Winkel dieser Republik von Machtaufteilung durchdrungen waren, ziehen sich heute alle in ihre Meinungsblasen zurück. Abgrenzung statt Kooperation, Kritik statt Mitarbeit und Trotz statt Kompromiss scheinen die Maximen des politischen Handels geworden zu sein.

Von der Spaltung zur Radikalisierung

Noch etwas offenbarte der Ausgang dieser Wahl: Alexander Van der Bellens knapper Sieg gründet auf einer breiten Anti-FPÖ-Allianz, in der zahlreiche Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur, Medien bis hin zur Religion persönliche Wahlempfehlungen abgaben. Dass Reaktion und Gegenreaktion sich beinahe die Waage hielten, zeigt den Verlust jeglicher Deutungsmacht von Eliten für den Großteil der Bevölkerung. Von "denen da oben" lassen sich "die da unten" nichts mehr sagen. Da ist der Schritt von der Spaltung zur Radikalisierung ein kleiner, es kann ein Funke genügen.

Mit Alexander Van der Bellen scheint der Wandel zur Dritten Republik durch Entmachtung des Parlaments vorerst abgewendet. Ob Norbert Hofer dies wollte und ob es ihm gelungen wäre, bleibt offen. Wohl eher nein, erstens weil ein Bundespräsident wenig Kompetenzen dafür besitzt, zweitens weil die Einmischung in die Tagespolitik dem Amt und damit auch dem Amtsträger nicht guttun würde. Doch halt: Noch am ersten Tag hat der designierte Bundespräsident über einen Verfassungskonvent sinniert. Van der Bellen überlegt, seine eigenen Kompetenzen zu beschneiden.

Dafür zuständig ist zwar das Parlament, doch dieses könnte die Gelegenheit für einen größeren Umbau etwa mit Föderalismus- und Wahlrechtsreform nutzen. Dann stünde wider Erwarten ein grüner Präsident am Beginn einer Dritten Republik. Die Hoffnung auf die Rückkehr stabiler Verhältnisse erscheint inzwischen vielen Bürgern fast als eine Drohung. Vieles scheint besser als weitere Jahrzehnte lähmender Koalition mit kurzsichtiger Klientelpolitik und täglichem Hickhack. Hier rollt der Ball über den Platz ins Bundeskanzleramt.

Die Autorin ist u.a. Professorin für Politikwissenschaft an der FH Kärnten

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